Von Michael Rothe
Dresden. Rechtsextreme Wahlerfolge in der EU können nach Ansicht von Ifo-Präsident Clemens Fuest gemeinsames Handeln bei Verteidigung, Außen- und Migrationspolitik, Entwicklungshilfe oder der Handelspolitik untergraben. „Europa ist nur erfolgreich, wenn die Bereitschaft besteht, nationale Interessen gelegentlich zurückzustellen und zu kooperieren“, sagt Fuest.
Wenn nach der Europawahl die Bereitschaft zur Zusammenarbeit in diesen Bereichen sinke, verdüsterten sich dort die Perspektiven. Innerhalb der Eurozone könnten sich die Konflikte in der Schuldenpolitik – gerade mit Frankreich und Italien – verschärfen, prophezeit Fuest, einer der einflussreichsten Ökonomen Deutschlands. Der 55-Jährige hat am Dienstag die Niederlassung Dresden besucht, einen von bundesweit drei Ifo-Standorten.
Nach Auffassung des Präsidenten könnten die Veränderungen in der politischen Landschaft aber auch positiv sein – „nicht durch extreme Parteien, aber durch Gewichtsverschiebung unter den Mainstream-Parteien“. So könnte der sinkende Einfluss der Grünen dazu führen, dass der Green Deal anders ausgerichtet werde, so der Politikberater. Auf dem Gebiet sei „viel in die falsche Richtung gegangen, wie die Energieeffizienz-Richtlinie mit ihrer komplett unsinnigen Deckelung des Energieverbrauchs“ und überflüssiger Bürokratie.
AfD, BSW und das Blaue vom Himmel
Der Ökonom glaubt nicht, „dass man die Alternative für Deutschland (AfD) und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) in einen Topf werfen kann – was aber nicht heiße, dass er die Partei der einstigen Linken-Ikone für ungefährlich halte. Deren propagierter Austritt aus der Nato hätte auch gravierende negative Folgen für die deutsche Wirtschaft, ist er überzeugt.
Die AfD-Wähler in Sachsen reichten bis in die Mitte der Gesellschaft – auch zu Handwerkern, von denen viele kein Hehl aus ihrer Sympathie für die in Sachsen als gesichert rechtsextrem eingestufte Partei machen oder zu den montäglichen Spaziergängern von Pegida gehören. Bei Themen wie Einwanderung hätten sie ein Gefühl der Unsicherheit, obwohl es in ihrer Region gar nicht so viele Migranten gebe.
Der Wissenschaftler spricht von „Confirmation Bias“ – der Neigung, Informationen so zu ermitteln und zu interpretieren, dass sie eigene Erwartungen erfüllen. Populistische Parteien würden demnach so lange Unterstützung erhalten, bis sie selbst regieren und sich mit Realitäten auseinandersetzen müssten. Eine solche Strategie sei aber riskant, sagt Fuest und nennt Ex-US-Präsident Donald Trump, der „trotz des von ihm angerichteten Unsinns gute Chancen hat, wieder an die Macht zu kommen“. Populistische Parteien würden „das Blaue vom Himmel versprechen, aber keine tragfähige Lösung haben“, argumentiert er.
. Eine solche Wirtschaftspolitik auf Stammtischniveau erkenne man, indem öffentliche Leistungen und Kosten nicht konsistent dargestellt würden. Typisch sei auch, Missstände auf das Ausland zurückzuführen, eine kritische Distanz zur Globalisierung und Migranten zu Sündenböcken zu machen. Andererseits würden tatsächliche Zahlen zur Einwanderung verschwiegen. Populisten nähmen hohe Schulden auf und verteilten ein Jahr „Goodies“, um dann in die Krise zu schlittern.
„Wiedereinführung der Wehrpflicht keine gute Idee“
Auch in den Mainstream-Parteien gebe es populistische Elemente, räumt Fuest ein: „Etwa wenn sie sagen, dass Dekarbonisierung nichts kostet und sogar noch einen Wirtschaftsboom produziert. Oder dass mehr Verteidigung möglich ist, ohne auf anderes zu verzichten.“ Die Politik habe Angst, abgelehnt zu werden, aber der Realität könne man nicht entrinnen. „Es ist an der Zeit, die Wähler wie Erwachsene zu behandeln und ihnen auch unangenehme Wahrheiten zuzumuten“, fordert der Ökonom, der seit 2016 Ifo-Präsident ist.
„Die Dominanz radikaler Parteien wie AfD oder BSW in den ostdeutschen Bundesländern verdüstert deren wirtschaftliche Perspektiven, auch wenn diese Resultate nicht ohne Weiteres auf Landtagswahlen übertragbar sind“, so Fuests Fazit. Die Verluste der Grünen und die Schwäche der SPD würden die Arbeit der Ampel weiter erschweren. Er geht davon aus, dass sich die Koalitionsparteien auf den Bundestagswahlkampf konzentrieren. Größere wirtschaftspolitische Reformen für den Wirtschaftsstandort erwartet er nicht mehr.
Dennoch fordert Fuest, Mut statt Angst zu machen. Und wie soll das aussehen? Er rät im 1. Schritt zu einer offeneren Bestandsaufnahme und einzuräumen, dass es Herausforderungen gibt, für die man öffentliche Ausgaben umschichten müsse. „Zum Glück gibt es viele Stellschrauben, an denen wir drehen können“, sagt der Experte.
Beim demografischen Wandel seien das etwa eine Steigerung der Zweitverdienerbeschäftigung oder die Möglichkeit, später in Rente zu gehen. Eine Wiedereinführung der Wehrpflicht sei aber „keine gute Idee“. Es gebe Möglichkeiten, das Bauen zu erleichtern durch schnellere Genehmigungen, abgesenkte Standards, Steuererleichterungen und andere Anreize im Wohnungsbau. Und es gebe – gerade bei der Bürokratie – „viel Luft nach oben“.