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Espenhain: Schrott-Unternehmen im Dauerstreik

Seit zwei Monaten stehen die Kolleginnen und Kollegen von SRW metalfloat in Espenhain auf der Straße. Sie kämpfen für einen Tarifvertrag und höhere Löhne – doch der chinesische Mutterkonzern sperrt sich.

Lesedauer: 3 Minuten

Man sieht Mitarbeiter in ihrer Schutzkleidung.
Seit 8. November 2023 befinden sich die Mitarbeiter von SRW metalfloat in Espenhain im unbefristeten Streik für ihre Tarifbindung. 24 Stunden an sieben Tagen in der Woche zeigen sie, dass es ihnen um Mitbestimmung, Wertschätzung und Respekt geht. Mittendr © Anja Jungnickel

Von Sven Heitkamp

Kathrin Kroll sitzt im Streikcontainer vor dem Werkstor von SRW metalfloat in Espenhain und erzählt von ihrem Arbeitsalltag. Als Sortiererin steht die 52-Jährige beim Schrott- und Recyclingunternehmen nördlich von Borna jede Woche 40 Stunden am Band und pickt Metalle ab: Kupfer, Messing, Blei, Stahl, Aluminium. „Bei Hitze und Kälte, Staub, Dreck und Lärm“, sagt sie. Dafür verdient sie gerade mal 13,68 Euro die Stunde, kaum mehr als den Mindestlohn – im Monat kommen so rund 1.800 Euro netto zusammen.

Jetzt kämpft Kathrin Kroll für mehr Gehalt, für verlässliche Zulagen und vor allem für einen ordentlichen Tarifvertrag mit ihrem Arbeitgeber. „Es geht uns um Mitbestimmung und um Planungssicherheit“, sagt die Betriebsrätin, die Mitglied der Tarifkommission ist. Das Unternehmen habe in der Vergangenheit Zusagen zu Lohnerhöhungen nicht eingehalten und Versprechen gebrochen – deshalb stehe die Belegschaft jetzt auf der Straße.

Das geht seit 59 Tagen so: Schon am 8. November legte der Großteil der 180 Kolleginnen und Kollegen morgens um 3:30 Uhr die Arbeit nieder. Seither verbringen sie ihre Tage im Zelt, im Container oder neben einem lodernden Feuer auf der Straße im Industriegebiet.

Das Geld fließt auf die Cayman Islands

Die Streikenden fordern acht Prozent mehr Lohn, eine Erhöhung des Urlaubs- und Weihnachtsgeldes auf je 1.500 Euro und eine Wochenarbeitszeit von 38 Stunden für alle Mitarbeiter. All das soll in einem Vertrag geregelt werden, den es bisher bei SRW nicht gibt. „Die Kolleginnen und Kollegen verdienen monatlich rund 600 Euro weniger als Beschäftigte in vergleichbaren tarifgebundenen Betrieben der Branche“, sagt der Leipziger IG-Metall-Bevollmächtigte Michael Hecker. Sie leisteten harte körperliche Arbeit, seien ständig hohen Belastungen und immer der Gefahr ausgesetzt, in Kontakt mit gesundheitsgefährdenden Materialien zu kommen. „Wir müssen den Zustand beenden, dass der Arbeitgeber frei nach Gusto und Laune die Löhne und Arbeitsbedingungen bestimmen kann.“

Der Arbeitskampf in Espenhain ist inzwischen nicht nur ein regionaler Konflikt. Die Streikposten bekamen in den neun Wochen bereits hochrangigen Besuch: Carsten Schneider, Ostbeauftragter der Bundesregierung, war ebenso da wie DGB-Chefin Yasmin Fahimi und die SPD-Chefs Saskia Esken und Lars Klingbeil.

An diesem Freitag hat der DGB der Region Leipzig zum Jahresauftakt in Espenhain geblasen. „Wenn man etwas über Kapitalismus lernen will“, sagt Sachsens DGB-Chef Markus Schlimbach, „muss man hierher gucken.“ Das überregionale Engagement hat damit zu tun, dass SRW einem internationalen chinesischen Konzern gehört: Der Espenhainer Betrieb ist Teil der Scholz-Gruppe, einem Recycling-Riesen aus dem baden-württembergischen Essingen mit 3.000 Mitarbeitern an 80 Standorten. 2022 schrieb sie einen Umsatz von 1,63 Milliarden Euro – und ein Viertel davon sei in Espenhain verdient worden, so Hecker. Scholz aber wurde 2016 vom weltweit führenden, börsennotierten Metallrecyclingkonzern Chiho Environmental übernommen. „Chiho residiert in Hongkong und ist auch auf den Cayman Islands registriert“, sagt Hecker. „Dorthin fließt das Geld ab, statt in der Region zu bleiben.“

Streik soll erst dann enden, wenn es Tarifvertrag gibt

Doch wie Verhandlungen mit dem Vorsitzenden des Konzerns, Qin Yongming, laufen, hat Thomas Dirschowsky in der Zentrale in Essingen erlebt. „Das sind keine Verhandlungen“, sagt der Betriebsratsvorsitzende. „Unsere Forderungen werden einfach ablehnt und neue Bedingungen diktiert.“ Der 42-jährige Elektriker und Anlagenfahrer ist seit 20 Jahren bei SRW, er verdient mit seiner 30-Stunden-Stelle gerade mal 1.600 Euro. Dabei habe das Unternehmen immer schwarze Zahlen geschrieben und Gewinne gemacht, während die Kolleginnen und Kollegen in Krisen auf Einkommen verzichtet hätten. „Wir wollen endlich einen Haustarifvertrag, den wir mitbestimmen können“, sagt Dirschowsky. Durch Reden allein seien sie bisher nicht weitergekommen. Deshalb sei der Streik nun nötig.

Tatsächlich hat der Konflikt eine längere Vorgeschichte. Im März vorigen Jahres legten die Betriebsräte erste Forderungen vor, bis zum Sommer gab es Gespräche. Doch man konnte sich nicht einigen. Das Unternehmen betont in einer Stellungnahme, man habe den betreffenden Beschäftigten eine Entgelterhöhung von etwa sieben bis 8,5 Prozent ab Januar angeboten. Erst im Januar 2023 seien die Entgelte in einer Größenordnung von 5,5 bis 6,5 Prozent erhöht worden.

Auch seien die als verpflichtend geforderten Zusatzzahlungen bislang als freiwillige Leistungen von je 1.000 Euro jährlich gezahlt worden. Darüber hinaus seien 2022 und 2023 freiwillige Sonderzahlungen geleistet worden, um die inflationsbedingten Belastungen der Beschäftigten auszugleichen. Verpflichtende Zusatzzahlungen und eine Verkürzung der Arbeitszeit lehne das Unternehmen aber ab. „Der Vorschlag wurde seitens der betrieblichen Tarifkommission bedauerlicherweise abgelehnt“, teilt Geschäftsführer Thomas Müller mit. „Im Übrigen ist das Unternehmen nicht bereit, einen von der IG Metall geforderten Tarifvertrag abzuschließen.“

Kathrin Kroll will das nicht akzeptieren. Am Freitagnachmittag steht sie auf der Bühne des DGB und ruft ins Mikrofon, der Streik werde erst enden, wenn sie einen Tarifvertrag bekommen haben. Den Job wechseln will sie aber nicht. „Wir sind wie eine Familie hier“, sagt sie. „Das gibt man nach 20 Jahren nicht einfach auf.“

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