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Experte: „Das neue Grundsteuermodell ist verfassungswidrig und wird fallen“

Ein Moritzburger Grundeigentümer legt die Schwächen der neuen Grundsteuer offen, so Steuerrechtler Prof. Gregor Kirchhof. Er bietet einen einfachen Ausweg an.

Lesedauer: 4 Minuten

Man sieht Hausdächer, die mit Schnee bedeckt sind
Mit Schnee bedeckt sind diese Dächer. Die steuerliche Bewertung vor Grundeigentum ist schwierig, weil es nur wenige Parameter gibt, die auch noch ungenau sind. Wie die Bodenrichtwerte. Experten sehen das neue Grundsteuermodell als verfassungswidrig an. © dpa

Von Ulf Mallek

Herr Prof. Kirchhof, in Moritzburg soll ein Grundeigentümer laut Bescheid des Finanzamtes Meißen statt wie bisher 40 Euro demnächst etwa 2.500 Euro Grundsteuer bezahlen. Sein Grünland wurde vom Finanzamt einfach als Bauland eingestuft, obwohl es keins ist. Wie kann so etwas passieren?

Eine Steuer kann nur so genau sein wie die Parameter, die für ihre Berechnung herangezogen werden. Das Problem am Bundesmodell für die Grundsteuer, das auch das Land Sachsen nutzt, ist, dass es zu ungenaue Parameter nutzt. In diesem Fall sind es die Bodenrichtwerte, die die Friktionen erzeugen. Bodenrichtwerte sind, wie es der Name schon sagt, reine Richtwerte und strukturell für eine Bemessung der Steuer zu ungenau.

Auch die Gutachter sagen, der Bodenrichtwert sei nur ein durchschnittlicher Lagewert, der für die Mehrheit der Grundstücke in einem Gebiet gelte. Nicht unbedingt für alle. Die Finanzämter übernehmen die Bodenrichtwerte einfach ohne Berücksichtigung der den Verkehrswert beeinflussenden Besonderheiten. Ist die Finanzverwaltung schuld oder das ganze System?

Die Probleme ruhen im neuen System. Dieses hat die Bodenrichtwerte zum Maß der Dinge gemacht, obwohl sie zu ungenau sind. Die groben Durchschnittswerte mögen manche Grundstücke treffend erfassen, in vielen Steuerfällen gelingt dies aber nicht. Das Grundsteuergesetz lässt auch eine individuelle Betrachtung des Einzelfalls nicht zu. Das Bundesmodell erfasst rund 20 Millionen Einheiten. Damit gerät das System in eine Zwickmühle. Wird der Gegenbeweis untersagt, wird der Gleichheitssatz ersichtlich verletzt. Würde der Gegenbeweis zugelassen, wäre der Aufwand viel zu hoch und nicht mehr zu bewältigen.

Man sieht Prof. Gregor Kirchhof von der Uni Augsburg
Tritt für ein neues Grundsteuermodell ein: Prof. Gregor Kirchhof (52) von der Uni Augsburg.
© Uni Augsburg

Sie haben ein Rechtsgutachten zur Grundsteuerreform erarbeitet und kommen zu dem Schluss, die Grundsteuerreform sei in vielen Bundesländern, auch in Sachsen, verfassungswidrig. Weshalb?

Der Grundbesitz ist entweder anhand zahlreicher Parametern genau zu bewerten – dieser Idee folgte das bisherige Einheitswertmodell. Oder die Bewertung wird anhand weniger Kriterien gleichheitsgerecht vereinfacht, wie in Hamburg, Hessen oder Niedersachsen. Dort sind nur die Größe und ein einfacher Lagefaktor maßgeblich. Der Bund versucht einen Mittelweg. Dadurch wird aber der Gleichheitssatz verletzt.

Ungenau sind nicht nur die Bodenrichtwerte, sondern auch weitere Kriterien wie die pauschale Nettokaltmiete, die oft viel zu hoch angesetzt ist. Auch das Alter des Gebäudes ist ein trügerischer Parameter. Das Bundesmodell folgt vereinfacht dem Gedanken, nach dem der Wert eines Gebäudes mit dem Alter sinkt. Doch ist eine Jugendstilvilla tatsächlich stets weniger wert als ein Haus aus den 2000er-Jahren?

Jetzt gibt es Hoffnung für viele Grundeigentümer, die sich falsch bewertet fühlen. Zwar hat das Finanzgericht Sachsen Anfang November im Sinne des Freistaates geurteilt, in Rheinland-Pfalz kommen Richter zu einer ganz anderen Auffassung. Würden Sie das bitte erläutern?

Das Bundesmodell ist nach den beiden neuen Urteilen aus Rheinland-Pfalz ersichtlich verfassungswidrig. Der Bundesfinanzhof wird sich damit befassen, letztlich aber das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe urteilen müssen. Doch ehe Karlsruhe endgültig entschieden hat, vergeht viel Zeit. Ab dem Jahr 2025 soll jedoch die neue Grundsteuer erhoben werden.

Einfacher und fairer wäre es daher, wenn die Länder, die wie Sachsen das verfassungswidrige Bundesmodell anwenden, nun auf die grundgesetzkonformen Modelle aus Bayern, Hamburg, Hessen oder Niedersachsen umschwenken. Weil das Bundesmodell sehr kompliziert ist, würden in einem wahrhaften Befreiungsschlag alle Steuerbetroffenen entlastet: die Finanzämter, die Finanzgerichte, die Steuerberater und die Steuerpflichtigen.

Das ist Ihre Alternative? Einfach das zweite, einfachere Modell aus Bayern, Hessen, Hamburg und Niedersachsen übernehmen?

Ja. Der Wechsel ist rechtzeitig bis zum Jahr 2025 möglich, weil alle Daten bereits erhoben sind und die notwendigen Programme pünktlich fertig werden. Die Grundsteuer könnte dann fast vollständig digital angewandt werden. Findet der Wechsel nicht statt, werden rund 20 Millionen Menschen mit einer verfassungswidrigen Grundsteuer belastet. Wollen wir das den Leuten antun?

Was genau soll der Grundeigentümer jetzt tun? Einspruch einlegen?

Leider ist jedem Grundbesitzer zu raten, Einspruch einzulegen, da das Gesetz ersichtlich verfassungswidrig ist. Ohne den Einspruch können die gegenwärtigen Bescheide bestandskräftig werden. Die Steuer würde dann auf der Grundlage eines verfassungswidrigen Gesetzes erhoben. Besser wäre es allerdings, wenn die Finanzämter von sich aus alle Bescheide vorläufig stellen würden. Sie würden so dem Fiskus und den Steuerpflichtigen die Vielzahl an Einsprüchen ersparen.

Der Einspruch des Moritzburger Eigentümers wird wohl zurückgewiesen werden. Er hat sich jetzt an den Oberen Gutachterausschuss gewandt. Wird das helfen? Was kann er noch tun? Klagen?

Wie soll der Obere Gutachterausschuss helfen, wenn die Parameter falsch sind? Er kann es nicht. Leider gibt es im Bundesmodell keine Möglichkeit, besondere Einzelfälle zu korrigieren. Der Fall legt unterschiedliche erhebliche Schwächen dieses Modells offen. Ich kann dem Eigentümer mit Bedauern nur raten, zu klagen. Das Grundsteuermodell des Bundes wird fallen.

Weshalb hat denn das Bundesmodell solche Schwächen? Hätte man das nicht vorher sehen müssen?

Das ist etwas kompliziert. In einer vergangenen Föderalismusreform wurde die Gesetzgebungskompetenz für die Grundsteuer verändert. Sie gingen vom Bund auf die Länder über. Doch blieb das Grundsteuergesetz des Bundes weiter in Kraft. Weil der Bund aber die Kompetenz nicht mehr innehatte, durfte er nur noch das bestehende System leicht verändern, jedoch kein gänzlich neues Grundsteuergesetz erlassen.

In dieser Situation musste der damalige Bundesfinanzminister Olaf Scholz auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2018, nach dem die bisherige Grundsteuer verfassungswidrig ist, reagieren. Der Bund aber durfte nur die geltenden hoch komplizierten Einheitswerte vereinfachen. Diese Vereinfachung war ein äußerst anspruchsvolles und letztlich ein zum Scheitern verurteiltes Unterfangen.

Im Herbst 2019 wurde dann das Grundgesetz geändert. Der Bund hätte sich von seinem verfassungswidrigen Vereinfachungsmodell daher verabschieden und ein gänzlich neues, einfaches verfassungskonformes Grundsteuergesetz in Kraft setzen können. Dennoch hielt er dem Modell, das auf Grundlage der alten Gesetzgebungskompetenz erarbeitet wurde, fest. Die Vereinfachung der Einheitswerte hat dazu geführt, dass ein Bewertungsverfahren z.B. nicht mehr 30 Parameter, sondern nur noch acht Parameter nutzt. Die Bewertung des Grundbesitzes wurde ungenau und verfassungswidrig.

Das Gespräch führte Ulf Mallek.

Gregor Kirchhof, Sohn des Verfassungsrichters Paul Kirchhof

  • Geboren 1971 in Heidelberg, Sohn des Verfassungsrichters Paul Kirchhof, verheiratet, drei Kinder
  • Studium der Rechtswissenschaften in Freiburg i. Br., München und London; Rechtsreferendar am Landgericht München
  • Prüfung zum Fachanwalt für Steuerrecht
  • 2005: Promotion (Universität Bonn), Dissertation: Die Erfüllungspflichten des Arbeitgebers im Lohnsteuerverfahren
  • 2009: Habilitation (Universität Bonn), Habilitationsschrift: Die Allgemeinheit des Gesetzes
  • September 2011 bis März 2012: Universitätsprofessor, Professur für Staats- und Verwaltungsrecht, Institut für Politik und Öffentliches Recht, LMU München
  • Seit April 2012: Universitätsprofessor (Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Finanzrecht und Steuerrecht) und Direktor des Instituts für Wirtschafts- und Steuerrecht an der Universität Augsburg

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