Von Jörg Stock
Ja, ich kann mehr als eine Dose öffnen. „Fantastisch“, sagt Stephan Fröhlich, der mit Hemdsärmeln, Schürze und ziemlich ernster Miene vom Fahndungsplakat herunterschaut. Aber ich bin ja kein Sternekoch. Er: „Kein Problem, bei uns wird jeder zum Chefkoch!“ Und weiter: „Bring deine Leidenschaft in unsere Küche!“ Eintausend Euro Kopfgeld winken. Also dann nichts wie rein!
Die Küche, die einen Tausender für Hinweise aussetzt, die zur Anstellung eines Kochs führen, liegt in den Freitaler-Wurgwitzer Highlands. Dort, am lauschigen Wiesenweg, steht seit acht Jahren die Brasserie Ehrlich. Gemütlich, köstlich, familiär – das ist das Rezept. Und offenbar schmeckt es. Lobende Einträge finden sich in den maßgeblichen Gastroführern. Die „Restaurant Ranglisten“, die diese Führer auswerten, führen Ehrlich sachsenweit auf Rang 14.
Ein Job mit Suchtpotenzial
Der Betrieb ist überschaubar. Der Gastraum fasst zwanzig, dreißig Leute, das „Stübli“ im Souterrain noch einmal zehn bis zwölf. Gegessen wird nach Menü. Während Nadine Fröhlich-Butter, die Chefin, den Service leitet, steht Stephan Fröhlich, der Chef, am Herd. „Meine Passion ist die Küche“, sagt er. Für ihn hat kochen Suchtcharakter: „Perfekt abliefern und das Lob dafür bekommen.“
Das Lokal ist das Lebenswerk des Paares. „Wir machen hier ganz alte, klassische Handwerksschule“, sagt Nadine. Sie befürchtet, dass ihre Art Gastro nicht nur selten, sondern im Begriff ist, auszusterben, jedenfalls auf dem Land. Ein guter Name allein reiche nicht mehr, um geeignetes Personal hierher zu locken. Man brauche ordentliche Waffen in diesem Kampf, keine Platzpatronen. Deshalb das Kopfgeld. „Die tausend Euro sind bitterernst gemeint.“
Bislang hatte die Brasserie Glück. Wer einmal zum Team gehörte, der blieb, und das über Jahre. Doch nun haben sich binnen Kurzem mehrere Mitarbeiter verabschiedet, aus unterschiedlichen Gründen, auch der zweite Koch. Wenn nichts geschieht, bleiben von der fünfköpfigen Crew nur die beiden Gründer übrig. „Das funktioniert nicht“, sagt Stephan.
Probehalber nehme ich seinen Steckbrief beim Wort. Würde er aus mir einen Koch machen? Oder wenigstens eine Küchenhilfe? „Klar“, sagt er. „Es muss ein gewisser Wille da sei, dann geht das los.“ Heute soll es knusprige Hühnchenbrust mit Kürbis-Kartoffel-Stampf und gebratener Gartenzucchini geben. Ich kriege Schürze und Schneidbrett und beginne, den Kürbis zu zerlegen.
Knechten lassen fürs Zeugnis
Laut Arbeitsagentur ist die Personallage in der Gastro so schlecht nicht. Vor Corona hatte die Branche im Landkreis 3.140 Jobs. Dann kam der Pandemie-Knick und eintausend Arbeitsplätze verschwanden. 2023 hatten aber schon wieder 3.000 Menschen Arbeit in dem Metier. Gut einhundert Stellen waren offen, denen etwa 370 Arbeitslose gegenüber standen. Die Chancen zur Besetzung stünden also gut.
So weit die Theorie. Die Praxis bei der Brasserie Ehrlich sieht anders aus. Keine passenden Bewerber. Auch das Fahndungsplakat, im Umlauf seit Mitte August, hat noch nichts bewirkt. Für Nadine Fröhlich-Butter ist die mangelnde Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel ein Grund dafür. Mitarbeiter wollten es so komfortabel wie möglich haben. „Wenn der Bus nicht genau vor der Tür hält, ist das ein großes Thema.“
Ein großes Thema sei auch, dass die Industrie weitaus mehr „Goodies“ anbieten könne, als ein kleines Lokal. Die Margen in der Gastronomie seien auf Kante genäht, sagt Nadine. „Große Sprünge sind da nicht drin.“ Gastro-Jobs, egal ob Service oder Küche, seien anspruchsvoll, aber auch extrem schön. Es gehe darum, den Gästen ein bleibendes Erlebnis zu verschaffen, und sich selbst am Feierabend zu sagen, dass man einen super Tag hatte. „Das kommt nicht automatisch durch Geld.“
Stephan kritisiert meine Kürbisscheiben. Zu viel Abfall produziert. „Hochgerechnet aufs Jahr ist das eine Menge, was du da wegschmeißt.“ In seiner Ausbildung, die vor dreißig Jahren begann, hätte er dafür vielleicht auch Mecker gekriegt. Damals wurden nur die Besten genommen, sagt er. Man ließ sich knechten für ein gutes Zeugnis. Vielleicht in der Hoffnung, später selbst mal die Ansagen zu machen. „Heute ist keiner mehr da zum Knechten.“
Einer aus acht Milliarden
Kartoffelschälwettstreit! Gegen den Küchenmeister Fröhlich habe ich keine Chance. Er hantiert mit Schäler und Knolle so, dass die Kartoffelhaut in null Komma nix spiralartig abfällt. Dieser „Move“ hat sich bei ihm eingebrannt. Apropos brennen: Der Gasherd muss angezündet werden. Das packe ich auf Anhieb. Der Meister sieht das gern. Ohne Feuer würde ihm was fehlen. Die Pfanne darüber zu bewegen, die Aromatik, die prasselnden Flammen, „das ist doch was“.
Ist es was für die Jugend? Die Arbeitsagentur teilt mit, dass im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge zuletzt 22 Ausbildungsstellen im Fach Speisezubereitung gemeldet gewesen seien, und dass es 27 Bewerber gegeben habe. Die Chancen, Azubis zu gewinnen, stünden für hiesige Betriebe gut.
Nadine Fröhlich-Butter teilt den Optimismus nicht. Sie vermutet, dass die Jugend zu viel Angst hat, die Work-Life-Balance könnte verloren gehen, bei langen Schichten und Feiertagsarbeit. Auch hätten die früher üblichen Schikanen ein Imageproblem erzeugt, das der Branche heute womöglich auf die Füße falle. „Es hätte nicht so hart sein müssen.“ Ohne Hierarchie gehe es indes nicht. „Die Jugend darf nach den Sternen greifen“, sagt sie. „Aber den Weg dahin muss man sich erarbeiten.“
Hühnchenbrüste würzen, Salbeiblatt unter die Haut und ab in die Pfanne mit den Teilen. Piepsend melden sich die fertig gebackenen Kürbisspalten. Die Zucchini müssen geschnippelt und gebrutzelt, die Kartoffeln samt Butterklötzen zu Brei gedrückt werden. Kochen ist Leistungssport, sagt Stephan, „wie ein Fußballspiel mit Verlängerung und Elfmeterschießen“. Dem sollte der künftige Kollege gewachsen sein. „Du fightest hier Rücken an Rücken“, sagt er. „Da muss alles passen.“
Ob die Koch-Fahndung erfolgreich ist? Stephan Fröhlich sagt, dass er zuversichtlich bleibt. Acht Milliarden Leute laufen auf der Erde herum. Da wird doch wohl der Richtige dabei sein. Die Zeit zu überstehen, bis er gefunden ist, darum geht es jetzt. „Wir müssen durchhalten.“