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Gefährdet der Kohle-Ausstieg unsere Versorgung?

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer will die Kraftwerke lange halten. Aber andere arbeiten an Ersatz-Energie.

Lesedauer: 3 Minuten

Die Kohlekommission hat  einen Zeitplan für den Ausstieg aus der Braunkohle vorgelegt. Doch Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) hält wichtige Fragen wie die Versorgungssicherheit für offen. Reicht der Strom ohne Kohlekraftwerke künftig noch für alle Fabriken und Wohnungen, bei Tag und Nacht? Dazu habe er von Experten alles Mögliche gehört: "Von ja, kann sein, bis nein, nicht möglich", sagte Kretschmer in einem Interview mit dem Deutschlandfunk. Wenn es nach Sachsens Landesregierung geht, wird der Ausstieg aus der Kohle mit ihren gut bezahlten Arbeitsplätzen so lange wie möglich hinausgezögert.

Wer die Zahlen der Braunkohlen-Befürworter hört, kann es zunächst mit der Angst zu tun bekommen: Im Jahr 2022 geht Deutschlands letztes Kernkraftwerk vom Netz. Bis dahin gibt es ein Überangebot im Land. Deutschland exportiert Strom. Doch ab 2023 wird nur noch eine "gesicherte Leistung" von etwa 75 Gigawatt statt jetzt 82 Gigawatt bereitstehen, schreibt der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Abgedeckt werden müsse aber eine Jahreshöchstlast von 81,8 Gigawatt. Daraus schließt der Chef der Leag-Kraftwerke, Helmar Rendez: Die heimische Kohle werde "noch Jahrzehnte" für eine zuverlässige Energieversorgung benötigt. Großkraftwerke liefern auch "bei Dunkelflaute" Strom, also wenn Sonnen- und Windkraftwerke stillstehen.

Der Energieverband warnt davor, sich auf Importe aus den Nachbarstaaten zu verlassen. Die Überkapazitäten würden auch anderswo abgebaut: "Alle EU-Staaten streben – richtigerweise – den Ausbau der Erneuerbaren Energien an." Zu Zeiten mit hoher Stromnachfrage in Deutschland sehe es in den Nachbarstaaten ähnlich aus. Nach Ansicht des BDEW braucht Deutschland daher künftig neue Gaskraftwerke, um die Grundversorgung zu sichern. Außerdem müssten die Bedingungen für Energiespeicher verbessert und der Netzausbau beschleunigt werden.

Zu einer ähnlichen Erkenntnis kommt der Dresdner Wirtschaftsforscher Joachim Ragnitz vom Ifo-Institut. Zwar spreche umweltpolitisch vieles für einen schnellen Ausstieg aus der Kohle, weil Deutschland sich zu ehrgeizigen Klimaschutzzielen verpflichtet habe. Doch "energiepolitisch sprich viel für einen langsamen Ausstieg", sagt Ragnitz. Er sehe sonst erhebliche Risiken für die Versorgung. Import von Strom aus "veralteten Anlagen in Polen oder Tschechien" halte er für klimapolitisch kurzsichtig. Der Forscher weist darauf hin, dass die derzeitigen Betriebsgenehmigungen für die Kohlekraftwerke in der Lausitz bis in die 2040er-Jahre laufen. "Dann ist ohnehin Schluss." Kohle reicht nicht ewig.

Tatsächlich hat die Leag voriges Jahr den ersten von sechs Blöcken des Kraftwerks Jänschwalde in Brandenburg abgeschaltet, dieses Jahr folgt der zweite. 600 Leag-Beschäftigte gingen in den Ruhestand. In den Plänen der Leag steht, dass Jänsch walde noch bis etwa 2033 Strom liefert. Länger laufen wird wohl das sächsische Leag-Kraftwerk in Boxberg, dessen jüngster Block erst 2012 in Betrieb gegangen ist. Die Investoren dürften damals auf mehr als 30 oder 40 Jahre Laufzeit gehofft haben.

Um die Versorgungssicherheit zu erhalten, rede man beim Kohleausstieg nicht über 2025 oder 2030, sondern über längere Zeiträume, sagt Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU). Als er noch Bundesumweltminister war, nannte er die Energiewende eine "Operation am offenen Herzen während des endlosen Marathons um Wettbewerbsfähigkeit, Wachstum und Arbeitsplätze". Aus der Kohlekommission ist seit Monaten keine Einigung über Zeitpunkte bekannt geworden. Denn der Mit-Vorsitzende Ronald Pofalla bekam viel Ärger, als der Spiegel im September über dessen angebliches Konzept berichtete: Zwischen 2035 und 2038 sollen die letzten Kohlekraftwerke geschlossen werden, hieß es damals. Dann würde der jüngste Block R in Boxberg 26 Jahre alt.

Inzwischen ist ein Entwurf des Abschlussberichts bekannt geworden, nach dem Experten alle drei Jahre prüfen sollen, ob der Ausstiegsplan eingehalten werden kann: 2023, 2026 und 2029. Solche Prüfungen sind auch jetzt schon üblich. Für die ostsächsischen Energieversorger Enso und Drewag ist daher die Frage nach der Versorgungssicherheit klar beantwortet: "Die Energieversorgung in Ostsachsen ist auch nach einem Ausstieg aus der Braunkohle gesichert", schreibt Drewag-Sprecherin Gerlind Ostmann. Die Bundesnetzagentur überprüfe regelmäßig die Pläne der Netzbetreiber. Durch den regelmäßigen Turnus der Aktualisierung könnten "kritische Szenarien rechtzeitig erkannt und Lösungen dafür erarbeitet werden".

Es gibt zwar keine Planwirtschaft, aber verschiedene Szenarien einer zukünftigen Stromversorgung im jüngsten Netzentwicklungsplan 2030. Darin wird angenommen, dass die Leistung der Braunkohlekraftwerke von jetzt rund 21 auf gut rund 9 Gigawatt bis 2030 sinkt. Zugleich werden Wind- und Solaranlagen ausgebaut – und die Hochspannungsleitungen von Nord nach Süd. Den Strombedarf in Jahrzehnten kennt niemand, er hängt auch von den Elektroautos mit Batterien ab. Nachbessern wird immer wieder nötig sein.

 

Von Georg Moeritz

Foto: Foto: Frank Hammerschmidt/action press

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