Dresden. Dieses Bild sieht man selten. Im obersten Stockwerk der Technischen Sammlungen, dort, wo sonst die Vergangenheit Thema ist, nahmen am Dienstagabend fünf Männer Platz, die die industrielle Zukunft Dresdens prägen – die Chefs der fünf größten Chipfabriken von Infineon, ESMC, Globalfoundries, Bosch und X-Fab. Ziel der Veranstaltung mit dem etwas sperrigen Titel „Inside Silicon Saxony – Technologievielfalt in Europas Mikroelektronik-Herz: Die ‚Big 5′ der Dresdner Mikroelektronik geben einen exklusiven Einblick“ war es, der Bevölkerung erlebbar zu machen, was da im Dresdner Norden passiert und Begeisterung zu wecken für die Halbleiterindustrie als Arbeitgeber und Ausbilder. Denn alle Chipfabriken in Dresden suchen händeringend neue Talente.

Quelle: Silicon Saxony / PR
Um es vorwegzunehmen, das dürfte nur zum Teil gelungen sein. Globalfoundries-Standortchef Manfred Horstmann entdeckte im Publikum gleich seinen früheren Chef und freute sich über viele Kollegen von früher. Bosch-Werkleiter Dirk Drescher fragte in die Runde, wer schon vor 1995 in der Mikroelektronik gearbeitet hat. Rund ein Viertel der Hände hoben sich. Eingeladen hatte der Alumni-Kreis des Hightech-Netzwerks Silicon Saxony e. V., der es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Historie aus 60 Jahren Mikroelektronik zu vermitteln. Der Saal war voll mit Menschen, die in der Halbleiterindustrie arbeiten oder gearbeitet haben, Stadträten und Abgeordneten aus Bundestag und Landtag, die sich für die Belange der Branche einsetzen, Hochschulvertretern. Man war also mehr oder weniger unter sich.
Bosch erweitert Reinraum und sucht Fachkräfte
Dennoch war es ein spannender Abend mit umfassendem Einblick in die aktuelle Entwicklung und das auch deshalb, weil man Redner erlebte, die sonst nicht so die Öffentlichkeit suchen. Wie etwa Dirk Drescher, der seit fast zwei Jahren Standortleiter der Chipfabrik von Bosch ist. Die Bosch-Gruppe als Deutschlands größter Automobilzulieferer bekommt die Schwäche der deutschen Autobauer voll zu spüren und muss Tausende von Stellen in der Automotive-Sparte streichen. Da will man keine Schlagzeilen produzieren, dass die Halbleitersparte auf Wachstumskurs ist. „Wir sind momentan noch immer im Aufbau unserer Fabrik“, betonte Drescher. So sei man weiter auf Fachkräftesuche und stelle neue Mitarbeitende ein. Im Sommer wurde in die Erweiterung des Reinraums investiert, er umfasst jetzt 13.000 Quadratmeter. 20 Prozent der Fläche seien noch nicht belegt, weitere Anlagen würden dieses und nächstes Jahr noch installiert werden, so Drescher.

Quelle: Silicon Saxony / PR
Die Fab produziert ausschließlich für interne Kunden von Bosch und beschäftigt derzeit rund 700 Menschen. Im Schnitt landen 25 Mikrochips von Bosch in einem Fahrzeug, konkret in Kamerasystemen, Airbags, Türöffnungsmodulen oder Powerelektronik.
Das Alleinstellungsmerkmal der Dresdner Fabrik ist die Entwicklung von sogenannten MEMS. Das steht für Mikro-Elektro-Mechanische Systeme. Das sind winzige Bauteile, die elektronische Schaltungen und kleine bewegliche Teile verbinden, quasi Mini-Maschinen auf einem Computerchip. Sie sorgen dafür, dass Fotos in Kameras nicht verwackeln oder erkennen im Auto, wenn ein Unfall passiert und lösen dann den Airbag aus. Diese MEMS werden derzeit in der 200-Millimeter-Waferfabrik von Bosch in Reutlingen hergestellt. In Dresden ist man nun laut Drescher dabei, die Technologie und das Wissen auf die 300-Millimeter-Fabrik in Dresden zu übertragen, um der steigenden Nachfrage zu genügen. Er sieht vor allem in Sensorik für medizinische Anwendungen einen großen Zukunftsmarkt.
Globalfoundries will 1,1 Millionen Wafer im Jahr produzieren
Manfred Horstmann, Geschäftsführer von Globalfoundries in Dresden, hat andere Zukunftsmärkte im Visier. „Wir werden noch weiter in den Markt für Sicherheitsprodukte und kritische Infrastrukturen gehen“, kündigte er an. Globalfoundries will künftig auch die Luft- und Raumfahrtindustrie beliefern mit Chips für moderne Verteidigungstechnologien und Satelliten. Horstmann, der kommende Woche Bundeskanzler Friedrich Merz in Dresden empfangen wird, gab einen kleinen Einblick in die Ausbaupläne. Genaue Details sollen nächste Woche vorgestellt werden.
Wir haben noch 1940 Einstellungen zu tätigen. Wenn sie ihren Enkeln erzählen, da entsteht etwas Cooles, dann nehmen sie diese Internetadressen für Bewerbungen mit. – Christian Koitzsch, Geschäftsführer von ESMC in Dresden
Globalfoundries will rund eine Milliarde Euro in die Erweiterung des Werks investieren. Seit Mai laufen die Arbeiten unter eigenem Risiko, da die endgültige Bewilligung des Förderantrags noch aussteht. Ziel ist es, die Jahresproduktion von derzeit 950.000 Wafern auf 1,1 Millionen Wafer ab 2027 zu erhöhen.
Beim Nachbarn Infineon, werden seit wenigen Tagen schon die ersten Anlagen in den neuen Reinraum eingebracht, wie am Dienstag zu erfahren war. Deutschlands größter Chipproduzent errichtet derzeit die vierte Fab in Dresden und investiert fünf Milliarden Euro, davon kommt eine Milliarde Euro als Zuschuss vom Staat. Bei ESMC, dem Gemeinschaftsunternehmen von Chip-Gigant TSMC aus Taiwan und Infineon, Bosch und NXP, drehen sich immer mehr Kräne auf der Baustelle. ESMC-Chef Christian Koitzsch rechnet damit, Anfang 2027 als Erstes das Bürogebäude zu beziehen.
Die Mannschaft um Koitzsch ist auf 60 Personen gewachsen. „Wir haben noch 1940 Einstellungen zu tätigen. Wenn sie ihren Enkeln erzählen, da entsteht etwas Cooles, dann nehmen sie diese Internetadressen für Bewerbungen mit“, warb Koitzsch.
Branche muss sich emotionalisieren
Der Wettbewerb um Köpfe treibt alle um. Auf die Frage von Ingo Gestring, Rektor der Hochschule für Technik und Wirtschaft, wie die Unis noch besser auf die Bedürfnisse der Branche reagieren könnten, kamen zuerst die üblichen Empfehlungen: Stärkung der MINT-Studienfächer, mehr Einfluss auf Lehrpläne. Michael Woittenneck, Chef von X-Fab Dresden, brachte es auf den richtigen Punkt: „Es geht darum, dass man die Leute berührt“. Die Autobauer waren lange Zeit attraktive Arbeitgeber, weil sie ein Produkt hätten, mit dem man sich identifizieren könne. Statt über Strukturgrößen, Nanometer oder Milliarden-Subventionen zu sprechen, müsste man konkrete Produkte darstellen und die Herausforderungen dahinter – wie etwa kontaktlose Fieberthermometer, die nur dank Chips von X-Fab funktionieren.

Quelle: Silicon Saxony / PR
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