Die Geschichte des Labels „Made in Germany“ ist eine Geschichte der Legenden. Sie beginnt mit dem „Merchandise Act“ im April 1887 in London, als sich Großbritannien mit dem neuen Negativ-Etikett gegen billigere und minderwertige Import-Plagiate aus Deutschland schützen will. Es ist eine Zeit, in der deutsche Waren im Ruf stehen, vor allem kopiert und zweitklassig zu sein. Doch das Label der Schande löst eine beispiellose Qualitätsoffensive in Deutschland aus. Sie macht den Aufdruck „Made in Germany“ bald zu einem weltweit gefragten Gütesiegel.
Die Endlos-Baustelle in Berlin-Schönfeld, die mal ein Flughafen werden soll, und die schmutzigen Tricks der Autoindustrie, haben es 140 Jahre später allerdings geschafft, den guten Ruf erneut in Mitleidenschaft zu ziehen. „Made in Germany bleibt zwar ein starkes Label für die Zukunft – aber ein Selbstläufer ist es nicht mehr“, bilanziert Jürgen Friedrich, Geschäftsführer der bundesdeutschen Außenwirtschaftsagentur GTAI. Nur in Australien, so berichtet ein GTAI-Korrespondent, führe die Berliner Unpünktlichkeit sogar zu einem neuen Sympathiegewinn.
Zum Sinkflug des Images tragen allerdings nicht nur die Skandale aus der Wirtschaft bei – sondern auch die Aufholjagd anderer Industrieländer und Chinas, die in Hochtechnologie-Branchen längst gute Waren liefern, aber zu günstigeren Preisen. Was das Label „Made in Germany“ heute noch Wert ist, ist ein Thema der sächsischen Außenwirtschaftswoche, die Montagabend in Leipzig begann. Bis Freitag will das Wirtschaftsministerium die heimischen Unternehmen mit verschiedenen Veranstaltungen zu mehr Exporten ermutigen. „Internationalisierung und Weltoffenheit sind unverzichtbar für unseren Erfolg“, betont Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD). „Wir brauchen kein Kirchturmdenken – wir brauchen eine Kultur der Offenheit und der Neugier.“ Das Wirtschaftsministerium gehe daher jetzt offen Unternehmen zu, um mit ihnen über Exportchancen zu sprechen.
So startete am Dienstag die neue Runde der Online-Marketing Challenge „IOSax“. Dabei entwickeln internationale Wirtschaftsstudenten der Uni Leipzig mit sächsischen Firmen Marketingstrategien für ausländische Märkte. Die Sprachkenntnisse der Studenten und ihr Wissen über die Zielländer sollen den Einstieg ins internationale Geschäft erleichtern. Zurzeit erbringt der Freistaat Sachsen fast ein Drittel seiner Wirtschaftsleistung durch den Außenhandel, die Exportquote lag voriges Jahr schon bei 32 Prozent. Die Ausfuhren beliefen sich auf mehr als 40 Milliarden Euro. Im ostdeutschen Vergleich liegt Sachsen damit weit vor den anderen Ost-Ländern. Allerdings: Allein fast 18 Milliarden Euro der sächsischen Ausfuhren macht der Automobilbau aus, also vor allem VW, BMW und Porsche. Mit großem Abstand folgen Elektrotechnik und Maschinenbau. Die Hälfte der Ausfuhren bleibt in der EU, dann folgen China und die USA.
Nicht überall ist das Label geeignet
Den Ruf der Deutschen bekam GTAI-Chef Jürgen Friedrich kürzlich bei einer Begegnung in den Vereinigten Arabischen Emiraten zu spüren. Als er fragte, was ihm die Ehre der Einladung eingebracht habe, sagt ein hoher Repräsentant: Die Engländer machen zuerst einen Finanzplan, die Amerikaner machen zuerst einen Marketingplan – und die Deutschen sagen, was fehlt. „Der Ruf des ehrbaren Kaufmanns, des findigen Ingenieurs und des verlässlichen Partners bestimmt den guten Ruf der Deutschen“, sagt Friedrich. Insbesondere in Branchen wie Maschinenbau, Fahrzeugbau, Gesundheitswesen sowie Energie- und Umwelttechnik sei das Label sehr hilfreich. Gerade in China sei das Image deutscher Spitzenqualität ungebrochen positiv und ein Türöffner in die großen Märkte.
Tatsächlich machen sächsische Unternehmen sehr unterschiedliche Erfahrungen in aller Welt. Michael Brandhorst etwa, Geschäftsführer der Photon Meissener Technologies, ist vorsichtiger geworden. Der Verkehrstechnik-Experte produziert in Meißen unter anderem Komponenten für Schienennetze und die Bahnindustrie. In früheren Jahren hat Photon gute Geschäfte mit Russland gemacht. Seit dem Embargo ist es eher die arabische Welt. „Wir müssen sehr genau schauen, wo wir Made in Germany herausstellen“, sagt Brandhorst. „In der Türkei etwa halten wir uns damit zurück und arbeiten lieber mit dem eigenen Label.“ Eine echte Chance auf dem Weltmarkt sei allerdings das langfristige Vorhalten von Ersatzteilen und dem Service – auch wenn es bei langlebigen Produkten ein aufwendiges Geschäft sei.
Witze über die angekratzte deutsche Zuverlässigkeit hat auch Corinne Ziege schon zu hören bekommen. Sie ist Geschäftsführerin der Cryotec Anlagenbau in Wurzen, die Maschinen zur Luftzerlegung, für Kohlendioxid-Rückgewinnungen und Kohlenwasserstoff baut – vor allem in Erdöl- und Erdgas-Ländern. Geschäftspartner hätten sie schon scherzhaft gefragt, ob die bestellte Anlage denn schneller fertig werde als der Berliner Flughafen. Wurde sie natürlich.
„Made in Germany steht nach wie vor für einen Erfolg, der weltweit etwas zählt“, sagt Ziege. Aber ausruhen könne man sich darauf nicht. Cryotec hat daher in China eine Art Umarmungsstrategie begonnen. Lokale Partner werden jetzt in Projekte einbezogen, um neue Aufträge gemeinsam umzusetzen. Auch das ist wohl deutscher Erfindergeist.
Von Sven Heitkamp
Foto: © Jan Woitas