Suche
Suche

Handwerk mit Handicap

Die Wichern-Werkstätten sind einer der größten Arbeitgeber Freitals, aber kaum bekannt. Nun feiern sie 25. Jubiläum.

Lesedauer: 3 Minuten

Carsten Ruß zeigt auf einen Tisch voller Holzboxen – jede von ihnen etwa 30 Zentimeter hoch und 20 Zentimeter breit. „Sie dienen dazu, dass unsere Auftraggeber ihre Produkte darin sicher zu ihren Kunden transportieren können“, sagt der Leiter der Freitaler Wichern-Werkstätten. Die Boxen sind eines von Dutzenden Produkten, die täglich hier entstehen. Doch nicht nur die breite Produktpalette – angefangen von Bürokalender bis hin zum Frästeil für die Metallbaubranche und zum Carport – gehört zu den Besonderheiten des Betriebs, auch deren Mitarbeiter sind ganz speziell. 243 Menschen mit Behinderung sind hier an der Otto-Dix-Straße gegenüber dem Berufsschulzentrum beschäftigt.

Die Wichern-Werkstätten, die seit 25 Jahren von der Diakonie betrieben werden, gehören damit zu den größten Arbeitgebern in der Stadt – aber zugleich auch zu den am wenigsten bekannten. Zur großen Jubiläumsfeier am kommenden Sonnabend soll sich das ändern. 

Ruß, der die Leitung der Wichern-Werkstätten zum Anfang des Jahres übernommen hat, wehrt sich gegen das weit verbreitete Bild der Behindertenwerkstatt als gemütliche Bastelstube. Er sieht die Firma auch als Wirtschaftsunternehmen. Rund 200 Unternehmen, vor allem aus der Freitaler Region, werden von den Wichern-Werkstätten mit Produkten beliefert. Sie sind damit ein nicht unwichtiges Rädchen, damit die Wirtschaft rund läuft. Ruß verhandelt mit den Kunden Preise. Die Mitarbeiter bekommen ihre Arbeitsleistung als Lohn ausgezahlt. Einerseits sind die Wichern-Werkstätten also ein normales, am Markt tätiges Unternehmen, das meist einfache Arbeiten zu einem vergleichsweise niedrigen Preis anbieten kann.

Andererseits sind die Wichern-Werkstätten aber auch eine Einrichtung mit einem sozialen Auftrag. Sie sorgen dafür, dass die Behinderten am Arbeitsleben teilnehmen können, wie es ihnen gesetzlich zugesichert ist. „Wir bereiten die Menschen hier auf den ersten Arbeitsmarkt vor“, sagt Ruß und meint damit den Arbeitsmarkt, in dem keinerlei Zuschüsse eine Rolle spielen. „Das ist ein ständiger Spagat zwischen Wirtschaftlichkeit und Rehabilitation“, so der 46-Jährige.

Die meisten der Arbeiter kommen nach der Zeit in der Förderschule in die Werkstätten. Es sind Menschen mit körperlichen oder geistigen Behinderungen, die nicht dauerhaft einer regulären Arbeit nachgehen können. Die Arbeitsagentur entscheidet, dass sie am besten in einer Behindertenwerkstatt aufgehoben sind und vermitteln den Kontakt zum Beispiel zu den Wichern-Werkstätten. Die Arbeiter bekommen dann eine Grundsicherung von der Arbeitsagentur und zusätzlich den Lohn für ihre Arbeit. Zu den Angestellten der Wichern-Werkstätten zählen aber auch Menschen, die nach einem schweren Unfall nur noch eingeschränkt beruflich tätig sein können oder Menschen mit chronischer psychischer Erkrankung.

Einigen von fällt es jedoch nicht leicht, in einer Behindertenwerkstatt zu arbeiten. Der Titel wirkt wie ein Stempel auf der Biografie. Mit einem Angebot, das die Wichern-Werkstätten vor fünf Jahren gestartet haben und stetig erweitern, wollen sie es den Menschen leichter machen.

Rund ein Sechstel der Angestellten arbeitet schon heute nicht mehr am Standort in der Otto-Dix-Straße, sondern sind bei Partnerfirmen tätig – zum Beispiel als Hausmeister bei den Technischen Werken Freital, in der Produktion beim Heilmittelhersteller Bombastus oder in der Mensa der TU Dresden. „Dieses Angebot hat Perspektive“, sagt Ruß. Denn es erlaube eine bessere Integration in den Arbeitsalltag, gebe den Angestellten aber zugleich den Schutz der Diakonie-Einrichtung. Dort stehen den Arbeitern unter anderem Sozialpädagogen und Psychologen zur Seite.

Genau diesen persönlichen Kontakt zwischen Arbeitern und Betreuern will Ruß auch in Zukunft bewahren. Die Größe der Werkstatt, die nicht zu den größten in der Region zählt, hält er für ideal. Investieren will die Diakonie jedoch in den Bereich für Menschen mit schweren Behinderungen. Dieser sogenannte Förder- und Betreuungsbereich ist momentan noch im Bodelschwingh-Heim an der Leßkestraße, das ebenfalls von der Diakonie betrieben wird, eingerichtet. Weil mehr Plätze als die derzeit 25 gebraucht werden, soll ein Neubau an der Leßkestraße entstehen. Der Spatenstich ist für 2019 geplant.

Am Freitag steht nun aber zunächst die Jubiläumsfeier an. Von 15 bis 22 Uhr laden die Wichern-Werkstätten alle Interessierten zu einem Sommerfest ein. Die Spielbühne führt um 16 Uhr ein Theaterstück auf und die Band Die Nierentische spielt ab 17.30 Uhr. Bei Werkstattführungen können sich die Besucher außerdem selbst ein Bild von einem der ungewöhnlichsten Arbeitgeber in Freital machen.

 

Von Tobias Winzer

Bildquelle: Karl-Ludwig Oberthür

Das könnte Sie auch interessieren: