Michael Rothe
Dresden. Markus Winkler ist stolzer Metallbaumeister. Gemeinsam mit seinem Vater führt er einen fast 100 Jahre alten Familienbetrieb in Radebeul mit acht Beschäftigten, der Geländer, Treppen, Tore, Zäune herstellt und diverse Dienstleistungen anbietet. Doch an der Werkbank steht der 37-Jährige kaum noch, wie er sagt. Der Grund: Bürokratie. „Mit dem ganzen Papierkram“ sei seine Belastungsgrenze erreicht, klagt der Familienvater. „Und außerdem verdiene ich damit kein Geld, sondern nur mit der Arbeit für Kunden“, sagt er.
„Dem Handwerk muss mehr Zeit für das eigentliche Handwerk bleiben“, fordert Jörg Dittrich, Präsident der Dresdner Kammer. Überregulierung, Vorschriften, Anordnungen zur Kennzeichnung und Statistikpflichten belasteten das Handwerk immer stärker, so der Dachdeckermeister, der seit vergangenem Jahr auch Präsident des Zentralverbands ist. Die Vielzahl der Pflichten sei das Problem – und das hat der Wirtschaftszweig jetzt schwarz auf weiß.
Im Auftrag der Dresdner Kammer hat die Fachhochschule des Mittelstandes Bielefeld den finanziellen und organisatorischen Aufwand für Bürokratie am Beispiel des Metallbau-Handwerks untersucht. Die Umfrageergebnisse basieren auf Rückmeldedaten von acht Betrieben mit mehrheitlich fünf bis 15 Beschäftigten: drei im Landkreis Görlitz, je zwei im Landkreis Bautzen und Sächsische Schweiz/Osterzgebirge sowie einer in der Landeshauptstadt. Mit rund 750 Adressen bildet die Branche eine der größten Betriebsgruppen im Elektro- und Metallhandwerk in Ostsachsen.
Im Schnitt 102 bürokratische Pflichten
Demnach hat jeder Metallbau-Betrieb 102 bürokratische Pflichten, 80 davon als Arbeitgeber: Arbeits- und Steuerpflichten, Sozialversicherungs- und Beschäftigungsdokumentationspflichten, Sicherheits- und Gesundheitsmanagement am Arbeitsplatz und vieles mehr. Zu den 15 Pflichten als Unternehmer zählen Gewerbe-, Statistik- und Datenschutzpflichten sowie Dokumentations- und Aufbewahrungspflichten.
Da die verbleibenden sieben branchenspezifischen Pflichten nur einen geringen Teil ausmachen, lassen sich die Angaben verallgemeinern. „Zur Erfüllung der bürokratischen Pflichten müssen insgesamt 596 Arbeitsstunden pro Jahr aufgewendet werden“, heißt es. Das entspreche 75 Arbeitstagen pro Jahr – und bei einer 5-Tage-Woche rund 30 Prozent der Arbeitszeit. „Laut den Umfrageergebnissen liegen die Zusatzkosten durch die Bürokratie bei rund 22.000 Euro pro Jahr und Unternehmen“, so das Fazit der Wissenschaftler.
Dresdens Kammerpräsident nennt das „schockierend“. Hier müsse ein Schlussstrich gezogen und Bürokratieabbau zum Kernthema der Politik werden. Das verabschiedete Entlastungsgesetz reiche nicht aus. Gerade kleine Betriebe litten überproportional, weil sie oft die gleichen Anforderungen erfüllen müssten wie große Unternehmen – aber nicht annähernd die gleichen Ressourcen zur Verfügung hätten.
Kein Aufschwung in Sicht
Metallbaumeister Winkler erledigt den ganzen Wust an Pflichten selbst. „Wir haben eine Betriebsgröße, wo ich keinen einstellen kann, der so unproduktive Arbeit leistet“, sagt er. „Da bräuchte ich drei weitere Leute, die seinen Job erwirtschaften.“
Dabei hat es das Handwerk in und um Dresden ohnehin nicht leicht, wie die Herbst-Konjunkturumfrage der Kammer ergab. „Das Handwerk tritt auf der Stelle, ein Aufschwung ist nicht in Sicht“, bringt es Hauptgeschäftsführer Andreas Brzezinski auf den Punkt. Es fehlten Impulse, um die Konjunktur zu beleben. Seit 2019 sinke die Stimmung ständig. Das schlechteste Geschäftsklima verzeichne der Bau, mit Abstand größte Gruppe im Handwerk, wegen des brachliegenden Wohnungsbaus.
Der Winkler Metallmanufaktur in Radebeul, die gut eine halbe Million Euro Umsatz im Jahr erwirtschaftet, geht es noch gut, wie ihr Chef sagt. Als Baunebengewerbe sei die Branche über viele Jahre verwöhnt gewesen. Doch jetzt wehe ein anderer Wind, hielten sich Firmen und Privatleute mit Investitionen zurück. Wegen der Flaute sei es umso wichtiger, dass die Politik nicht noch mehr Steine in den Weg lege.
Bürokratie größtes Hemmnis
Ihm sei nicht bewusst gewesen, dass es so viele Stunden sind, die er zur Erfüllung bürokratischer Pflichten aufwende, räumt Winkler ein. Zu sehr seien sie Normalität geworden. Umso mehr gebe die Studie zu denken. Sie sei keine Werbung für Unternehmertum. Früher seien die Gebäude auch nicht eingefallen, „nur mussten ihre Erbauer dafür nicht 24 Zettel ausfüllen“.
Bürokratie sei „ein gigantischer Mechanismus, der von Zwergen bedient wird“, meinte Honoré de Balzac schon im 19. Jahrhundert. Doch ohne sie läuft nichts. Das Gabler Wirtschaftslexikon hebt „die technische Überlegenheit gegenüber anderen Organisationsformen in komplexen Gesellschaften“ hervor: Objektivität, Stetigkeit, Berechenbarkeit, Planbarkeit, Zuverlässigkeit. Es räumt aber ein, dass Zweck und Ziele „oft schwer überschaubar und verständlich sind“. Der Bürokratie falle die Anpassung an eine sich ständig wandelnde Umwelt schwer, ihre Leistungsfähigkeit sinke. Forscher sprechen von Bürokratie-Burnout.
Laut einer Umfrage der Wirtschaftsprüfer von KPMG ist überbordende Bürokratie für 61 Prozent der Unternehmen größtes Investitionshemmnis noch vor Personalnot. Und ein Weltbank-Ranking zur Geschäftsfreundlichkeit führt die Bundesrepublik unter 190 Staaten auf Platz 22, bei Gründungen an Position 125 – nach Mali.
Handwerkskonjunktur im Herbst 2024
- 45 Prozent der Handwerksfirmen in Ostsachsen sehen ihre Geschäfte gut, 16 Prozent schlecht – fast wie 2023
- Lediglich acht Prozent der Befragten erwarten eine Verbesserung, knapp ein Viertel eine Verschlechterung
- Die Investitionsbereitschaft bleibt sehr gering, geht in Teilen zurück, und meist sind es nur Ersatzinvestitionen
- Die Beschäftigtenzahl stagniert: Fünf Prozent erwarten demnächst steigende Zahlen, 13 Prozent schrumpfende
- Gut jeder 5. Betrieb hat sinkende Umsätze, bei 16 Prozent steigen sie
- Bei jeder 3. Firma gehen die Aufträge zurück, sie reichen zehn Wochen
- Bis zum Jahresende planen 35 Prozent höhere Verkaufspreise
- Es wurden 3.010 Betriebe befragt, 22 Prozent haben geantwortet