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Handwerkspräsident über Ostdeutschland: „Es sind so furchtbar viele Menschen weggegangen“

Mit Jörg Dittrich führt erstmals ein Ostdeutscher einen Spitzenverband der Wirtschaft. Im Interview erläutert der Sachse die Instrumente gegen den Arbeitskräftemangel.

Lesedauer: 3 Minuten

Man sieht Jörg Dittrich, ehrenamtlicher Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks.
Jörg Dittrich führt seit 1997 den 1905 gegründeten Dresdner Dachdeckerbetrieb in vierter Generation. Der 53-Jährige hat sechs Kinder und führt seit Dezember als ehrenamtlicher Präsident den Zentralverband des Deutschen Handwerks.

Von Alfons Frese

Herr Dittrich, wie läuft der Betrieb?

Unserer Firma geht es gut. Wir decken jetzt die Dächer der Häuser, die vor der Krise begonnen wurden. Wir sind zudem auch im Gewerbebau und im Reparaturgeschäft tätig. Dennoch sind wir – und das nicht allein in meinem Betrieb – in Sorge über die Flaute im Wohnungsbau, die sich nach dem Rohbau bald auch in den Ausbaugewerken bemerkbar machen dürfte.

Der Staat, der in der Pandemie und der Energiekrise viel Geld ausgegeben hat, wird die Baukosten und Zinsen nicht drücken können.

Der Staat hat seit der Finanzkrise 2008 immer wieder gut auf Krisen reagiert. Unser demokratisches System hat funktioniert, auch bei Corona. Die staatliche Krisenpolitik war richtig, weil sie den betroffenen Betrieben geholfen hat, über die harten Phasen zu kommen – das war nur möglich aufgrund der starken finanziellen Basis.

Haben wir uns übernommen?

Das glaube ich nicht. Aber wenn man sich die aktuellen Herausforderungen ansieht, dann ist offensichtlich, dass wir nicht einfach so weitermachen können wie noch vor zehn oder 20 Jahren, sondern wir müssen das Verhalten auf vielen Ebenen ändern – damit tut sich der Mensch bekanntlich schwer: nachhaltiger leben und wirtschaften, die Sozialsysteme nachhaltiger und vor allem fairer und generationengerechter finanzieren, die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe sichern.

Sind die Leute, zumal die Ostdeutschen, nicht der ständig geforderten Verhaltensänderungen müde, der Energie- und Verkehrswende, der Wärme- und der Bildungswende?

1989 war das keine Wende, sondern eine Revolution, die Freiheit gebracht hat. Aber manche politische Zielsetzung von heute erinnert mich an das, was ich in der DDR erlebt habe. Zum Beispiel soll bis zu einem bestimmten Datum eine bestimmte Menge an Wärmepumpen eingebaut werden, ohne vorher zu klären, ob dafür auch die Monteure, die Strom- und Wärmenetze, ja der Strom in ausreichender Menge vorhanden ist. Das erinnert an die Fünf-Jahres-Pläne von Gerhard Schürer.

Schürer war Vorsitzender der Staatlichen Plankommission der DDR. Tun sich deshalb gerade die Ostdeutschen so schwer mit der Zeitenwende? Oder wie erklären Sie die Beliebtheit der AfD?

Dafür gibt es sicherlich viele Gründe, aber nach meiner persönlichen Einschätzung auch demografische Gründe: Es sind so furchtbar viele Menschen weggegangen in der Fläche.

Was macht das mit einer Stadt oder Region, deren Einwohnerzahl sich in ein paar Jahren mehr als halbiert hat? Das erzeugt eine bleierne Schwere und Verdruss und Frust und betrifft dann auch unmittelbar die Betriebe. Das Stadt-Land-Thema kommt hinzu – das allerdings deutschlandweit.

Was meinen Sie damit?

Wenn wir nur über das Fahrrad reden oder über das Lastenrad als Alternative zum Transporter, dann fühlen sich die Menschen und eben auch Handwerker auf dem Land zurückgesetzt, weil sie mit dem Rad nicht von Weißwasser nach Dresden oder von Prüm in der Eifel nach Köln kommen.

Die Bedürfnisse der Menschen auf dem Land und vieler Kleingewerbetreibender und Handwerker werden häufig übersehen. Und der Arbeitskräftebedarf ist in ländlichen Regionen noch stärker spürbar als in den Städten.

Wie kommen Sie selbst in Ihrem Betrieb an die Arbeitskräfte und Azubis?

Zwischen 1983 und 1989 sind sechs der zehn Beschäftigten unseres Betriebes – mehr als zehn Mitarbeitende durfte der Betrieb in der DDR nicht haben – in den Westen ausgereist. Mein Vater selbst ist nach dem Krieg von 70-Jährigen ausgebildet worden, weil viele Jüngere im Krieg gefallen waren. Wir wissen also, was Fachkräftebedarf bedeutet.

Und wie gehen Sie damit um?

Wir haben uns mit drei anderen Handwerksbetrieben aus der Region zusammengetan und werben gemeinsam um Auszubildende und Fachkräfte. Bei uns funktioniert das gut, und es kann vielleicht auch ein Weg für andere Handwerksbetriebe sein: Gemeinsam hat man mehr zu bieten, kann mehr Berufe vorstellen.

Im letzten Jahr konnten wir neun Azubis einstellen, in diesem Jahr sind wir schon bei fünf. Aber selbstverständlich müssen wir auch noch besser werden, die inländischen Potenziale voll auszuschöpfen: bei Frauen, bei Langzeitarbeitslosen, bei Geringqualifizierten. Wir brauchen zudem auch mehr Zuwanderung. Und ganz wichtig: Innovationen.

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