Der Strukturwandel braucht neben den großen Strategien auch viele Initiativen, die im Kleinen wirken.
Acht Beispiele aus Sachsen.
Bus ohne Fahrer
In Nordsachsen düst seit vergangenem Sommer ein autonom fahrender Bus namens „Flash“ über das Land. „Wir haben das Strukturwandelgeld schon ausgegeben“, sagt Christian Hoyas vom nordsächsischen Straßenverkehrsamt. Mehrmals am Tag fährt der Bus durch die Region Rackwitz, in den warmen Monaten dann auch die sieben Kilometer bis zum Schladitzer See. 70 Stundenkilometer hat er auf dem Tacho. Damit sei der Bus schneller als andere deutsche Projekte ähnlicher Art. „Momentan sitzt aber noch ein Fahrer zur Überwachung drin, er greift aber nur selten ein“, erklärt Hoyas, der damit rechnet, dass in drei Jahren das Fahrzeug allein fahren wird. „Ein Ziel der Strukturwandelgelder ist es, Arbeitsplätze zu schaffen. Wir haben aber zu viel Arbeit für zu wenige Leute.“ Man erhoffe sich von dem Projekt mehr Touristen und einen großen Strahleffekt in andere Regionen. Zudem stärke man damit die lokale Wirtschaft. „Erst haben wir nach Hamburg geschaut, jetzt besuchen sie uns.“ Der Bus läuft mit Diesel, biete aber Platz für 20 Personen. Weitere autonome Fahrzeuge sollen bald in das Liniennetz integriert werden, sodass sie auch virtuell gekoppelt direkt hintereinander fahren können, um mehr Platz zu bieten. Für die Förderung des Pilotprojektes kamen 988.000 Euro aus den kommunalen Strukturentwicklungsgeldern. Das Fraunhofer Institut sowie der Hochtechnologie-Dienstleister haben das Projekt Flash von der Nordsachsen Mobil GmbH wissenschaftlich-technisch begleitet. (luz)

Arbeit am Supervulkan
Noch bröckelt der alte Rennstall in Thallwitz nahe Leipzig vor sich hin. Doch noch in diesem Jahr soll das seit den 1990ern leerstehende zweistöckige Gebäude umgebaut werden. Bürgermeister Thomas Pöge hat dafür viele Ideen: Im Erdgeschoss will er ein Café sowie einen großen Ausstellungsraum eröffnen. „Hier liegt ein ehemaliger Supervulkan so groß wie der Yosemite unter uns, aber das weiß kaum einer“, erklärt Pöge. In der ersten Etage plant er zwanzig Co-wWorking-Arbeitsplätze. Im zweiten Geschoss sollen Gästezimmer entstehen.
„Wir haben die Idee mit dem Co-Working seit 2017 und uns Projekte in Wales sowie Spanien angeschaut.“ Pöge will damit einerseits die Leute vor Ort ansprechen, aber auch die Leipziger selbst, die mal für eine Woche zum Arbeiten als Team aufs Land kommen wollen. „Nur vom Tourismus werden wir nicht satt, Co-Working ist eine Chance, dass die Leute hierher ziehen und nicht jeden Tag nach Leipzig pendeln müssen“, so der Bürgermeister, der vieles ausprobiert, damit seine Gemeinde nicht weiter schrumpft: ein grünes Gewerbegebiet, Glasfaserausbau, neue Wohnformen, ein Öko-Kindergarten. Für seine innovativen Konzepte erzielte die Gemeinde 2022 den ersten Platz beim Europäischen Dorferneuerungspreis. Der Staat unterstützt das Projekt „SAULIS“ mit 4,1 Millionen Euro aus kommunalen Mitteln des Investitionsgesetzes Kohleregionen. Fünf Jahre soll es bis zur Fertigstellung dauern. (luz)

Glas unter der Lupe
Die Glasindustrie hat in Mitteldeutschland eine lange Tradition, nun soll im nordsächsischen Torgau Modernität mit Historie verbunden werden. Hier entsteht ein Hightech-Glaslabor. „Das ist die Zukunftstechnologie, wir brauchen es für Fotovoltaikanlagen, Glasfaser oder smarte Lösungen“, erklärt Amtsleiter Sven Keyselt von der nordsächsischen Wirtschaftsförderung. In dem Ort wird eine Industriehalle für Ausbildung und Forschung errichtet. Darin soll unter anderem auch daran geforscht werden, welcher Zukunfts-Rohstoff die energieintensive Glasherstellung später befeuern soll: Wasserstoff, Mikrowellen oder etwas ganz anderes. Ein Internat mit 53 Betten sowie eine Mensa sollen in einem Nebengebäude Platz finden. „Die Glas-Unternehmen in unserer Region haben großen Bedarf an Quereinsteigern und Fachkräften. Bisher biete man zwar schon Weiterbildungskurse sowie die Lehre zum Glaser am Berufsschulzentrum an, aber man wolle damit noch enger mit der TU Freiberg zusammenarbeiten. „Die Zielvorstellung ist ein Studiengang in den Bereichen Glas, Keramik, Baustoffe. Wir haben in Nordsachsen keinen einzigen Hochschulstandort.“ Die Gesamtkosten belaufen sich auf insgesamt 16,4 Millionen Euro. „Das war die Ausgangslage, durch die Preissteigerungen rechnen wir mit mehr.“ Die Objektplanung sei abgeschlossen, der Freistaat prüfe nun den Kostenvoranschlag. „Wir hoffen auf eine zeitige Bewilligung.“ Umgesetzt werden soll das „GlasLab“ dann innerhalb von fünf Jahren. (luz)

Neues Energienetz
Der Aufbau der Wasserstoff-Infrastruktur ist eines der wichtigsten Strukturwandel-Vorhaben im Mitteldeutschen Revier. Die Ontras Gastransport GmbH hat Mitte Dezember letzten Jahres für ihre Wasserstoff-Infrastrukturprojekte „doing hydrogen“ und „Green Octopus Mitteldeutschland“ die Genehmigung des vorzeitigen Maßnahmenbeginns von der Bundesregierung erhalten. Damit kann das Leipziger Unternehmen die Arbeiten am zukünftigen Wasserstoffnetz in Ostdeutschland beginnen. Die Leitungsprojekte sind Kern des Ontras-H2-Startnetzes, dem geplanten 900 Kilometer umfassenden Leitungsnetz zum Transport von Wasserstoff in Ostdeutschland. Die Leitungen werden Erzeuger, Speicher und Verbraucher von grünem Wasserstoff verbinden und den wichtigen Zugang zu Importpunkten bieten. „Ein funktionierendes Transportsystem ist Fundament für die Wasserstoffwirtschaft in Ostdeutschland – und damit für das Gelingen der Transformation unseres Energiesystems“, betont Ralph Bahke, Geschäftsführer Steuerung und Entwicklung. Bis 2030 soll ein über 900 Kilometer langes Leitungsnetz errichtet werden, zum größten Teil durch die Umstellung bestehender Erdgasleitungen. Wichtig sei, dass die H2-Infrastruktur organisch mit der entstehenden Wasserstoffwirtschaft mitwachse, um von Anfang an überall eine hohe Flexibilität und Versorgungssicherheit zu gewährleisten, heißt es bei Ontras. Derzeit laufen die Arbeiten für die ingenieurstechnische Planung und die Vorbereitungen der Genehmigungsverfahren. (SZ)

Schafe im Wandel
Die Stadt Torgau setzt beim Strukturwandel auf mehr als nur Arbeitsplätze. Sie hat dafür ein brachliegendes fünf Hektar großes Gewerbegebiet nördlich der Altstadt erworben. Auf einem Teil der Fläche sollen aus kommunalen Mitteln der Kohleförderungen eine Spielscheune sowie eine klimaneutrale Beachbar aus Holz entstehen.
Die 21.000 Einwohner starke Kommune hat mit den Geldern bereits Mitte des vergangenen Jahres zwei Beachvolleyballplätze, eine Skateranlage sowie einen Tierpark mit alten Tierrassen errichtet. Dort können Kinder Zwerg-Esel, Alpakas und Walliser Schwarznasen-Schafe hautnah erleben, um sich bewusst mit der Artenkrise auch in der Landwirtschaft auseinanderzusetzen. „Wir wollen jungen Familien etwas bieten“, erklärt die Sanierungsberaterin Franziska Weidner von der Stadtverwaltung. Sie weiß, dass 50.000 Touristen jährlich die historische Altstadt mit dem Schloss Hartenfels besuchen, da aber besonders junge Reisende fehlen. Die Stadt erhofft sich so mehr Übernachtungen und einen gestärkten Tourismussektor.
Neben den bereits erwähnten Strukturwandelprojekten verwandelte sich der Rest der Brachfläche durch die Landesgartenschau 2022 in eine „grüne Oase“ für alle Altersgruppen. „Wer in Torgau arbeiten will, soll sich hier auch wohlfühlen in seiner Freizeit“, heißt es. Insgesamt stellt der Bund über die Strukturmittel 4,2 Millionen Fördermittel für das Projekt „Junge Gärten“ zur Verfügung. (luz)

Operieren per Roboter
Es scheint nicht so schwer zu sein, den neuen OP-Roboter zu bedienen. Zwei Finger jeder Hand in Schlaufen gesteckt, den Blick auf das Geschehen hinter einem kleinen Fenster gerichtet. Bewegt man die Finger und Hände, tun das im Bild und auf dem OP-Tisch zwei filigrane Greifwerkzeuge. Sie lassen sich in alle Richtungen drehen und wenden, öffnen und schließen. Seit Anfang Februar ist eines von insgesamt sieben hochmodernen „da-Vinci®“-Operationssystemen in sächsischen Krankenhäusern, auch am Klinikum Görlitz im Einsatz. Es unterstützt bei urologischen und bald auch bei chirurgischen sowie gynäkologischen Operationen.
„Ein Roboterarm zittert nicht und wird nicht müde“, erklärt Vladimir Novotny, Chefarzt der Urologischen Klinik. Durch das robotergestützte System kann präziser, schonender und risikoärmer operiert werden, zählt er die Vorteile auf. Für die Patienten wiederum bedeutet dies einen geringeren Blutverlust als bei offenen OPs. Sie haben im Nachgang weniger Schmerzen, brauchen weniger Medikamente und können kürzer stationär versorgt werden. Finanziert wurden die 1,95 Millionen Euro für das Operationssystem zu 90 Prozent aus Strukturwandelgeldern für die Kohleregionen. Denn für den Strukturwandel einer Region spielt die Gesundheitsversorgung eine große Rolle. „Sie ist ein nicht zu unterschätzender Standortfaktor“, betont Geschäftsführerin Ines Hofmann. Moderne Methoden erhöhten auch die Attraktivität des Klinikums für Fachkräfte. (SZ/ie)

Land der tausend Teiche
Eichenalleen durchziehen die Landschaft nahe dem Oberlausitzer Braunkohlegebiet. Über den mit Schilf bewachsenen Teichen segeln Seeadler durch die Lüfte. Hier bei Wartha liegt das von der UNESCO geschützte Biosphärenreservat, das mit einer von Teichen durchsetzten Heidelandschaft aufwartet. 200.000 Besucher strömen jährlich in das Naturgebiet und geht es nach dem Bund, sollen das noch mehr werden. 22 Millionen Euro bekommt das Reservat aus den Strukturmittelgeldern des Landes bereitgestellt. „Momentan planen wir noch, 2024 wollen wir beginnen“, sagt Torsten Roch, Leiter der Biosphärenreservatsverwaltung. Der Fokus liegt hierbei auf dem sanften Naturtourismus. Die Verantwortlichen wollen ein Viertel der Mittel für den Seeadler-Radweg verwenden. Dieser soll auf knapp 100 Kilometern ausgebaut und beschildert werden, um ihn durch den Allgemeinen Deutschen Fahrradclub (ADFC) zertifizieren zu lassen. „Dann kommt der Radweg in die Liste, in der der Donauradweg und der Elberadweg aufgelistet sind. Wir erreichen ein anderes Klientel.“ Außerdem plane man, neue Aussichtstürme zu installieren und barrierefreie Wege zu bauen. „Die Natur ist momentan nicht für Personen mit Einschränkungen voll erlebbar.“ Neben der Bildungsarbeit setzt0e man außerdem darauf, die Landwirtschaft nachhaltig zu fördern. Die private Tourismuswirtschaft wird aber laut Torsten Roch nicht mit den Mitteln unterstützt. Realisiert werden soll das Projekt innerhalb der nächsten vier Jahre (WiS).

Zukunft der Mobilität
Bislang ist das Dorf Schwarzkollm für die Sagengestalt Krabat bekannt. Bald nicht mehr nur. Die TU Dresden will in Schwarzkollm ein Smart Mobility Lab (SML), ein „führendes Zentrum für die Mobilitätsforschung“ errichten. Die Universität beschreibt dies als die „Zusammenführung von automatisiertem und kooperativem Fahren, Fliegen und Robotik als technologischer Super-Beschleuniger für die Mobilität von morgen auf Straße, Feld und in der Luft“.
Münden soll das Ganze in Regeln für die Zulassung von Fahrzeugen, die sich von selbst fortbewegen. Ins Auge gefasst ist dazu die Gründung eines Institutes für Sicherheit des vernetzten und automatisierten Straßenverkehrs (Sivas), das dem Bund sowie der EU entsprechende Prüf- und Zulassungskriterien vorschlagen soll. Da nicht im Verborgenen geforscht werden wird, ist neben dem eigentlichen SML sowie dem Sivas-Institut auch ein sogenanntes City-Co-Creation-Lab vorgesehen, eine Art Informationszentrum für die Öffentlichkeit, in dem es für Bürgerinnen und Bürger jedoch ebenso möglich sein soll, sich an wissenschaftlicher Arbeit direkt zu beteiligen. Für das erste Forschungsvorhaben im Zusammenhang mit dem SML will die Uni aus der Stadt etwas machen, das sie ein „Reallabor“ nennt – präziser: Straßenkreuzungen als Orte zum Beobachten und Messen nutzen. Das Smart Mobility Lab soll im Jahr 2026 mit der Arbeit beginnen können. In Aussicht gestellt sind 300 Arbeitsplätze – vom Wissenschaftler bis hin zum Handwerker. (SZ/mk).

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