Angela Merkel hat keine Berührungsängste, auch nicht auf der Hannover-Messe. Unerschrocken lässt sie sich am Stand des schwedischen Telekommunikationsriesen Ericsson von einem Roboter eine Packung Pfefferminzbonbons geben. Der ziert sich erst. Enttäuschung bei der Kanzlerin (CDU). Doch als sie beide Hände unter den Greifarm hält, lässt er los. Merkel jubelt – als hätte Mario Götze Deutschland gerade wieder zum WM-Sieg geschossen.
Auch Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig hat auf der wichtigsten Industrieschau der Welt sein Erfolgserlebnis. In der Halle, die den superschnellen Mobilfunkstandard 5G zelebriert, haut er den Lukas. Die alte Jahrmarktattraktion inmitten von Hightech bescheinigt dem SPD-Mann im Wahljahr Schlagkraft. Als er den Hammer auf den gefederten Kopf drischt, schießt das Metallteil im Rohr auf „WLAN/5G“, den zweithöchsten Wert – aber fernab sächsischer Realität.
Die Hannover Messe bietet Besuchern viele Aha-Effekte. Sie präsentiert sich in diesem Jahr als Innovationsplattform für vernetzte Produktionsabläufe. Im Mittelpunkt: künstliche Intelligenz, maschinelles Lernen und besagtes 5G, eine Voraussetzung für autonomes Fahren. Mit 100 Mal höheren Datenraten und tausendfach höherer Kapazität bei geringerem Energieverbrauch wird der Standard eine neue Ära bei Kommunikation, Vernetzung und Automatisierung einleiten und nach Prognosen bis 2025 rund 70 Milliarden Geräte vernetzen. Bei der Technologie ganz vorn dabei: zahlreiche Unternehmen und Forschungseinrichtungen aus dem Großraum Dresden.
Zu den Highlights „Made in Saxony“ gehört auch ein ultraschneller 3-D-Drucker aus Chemnitz. Forscher des Fraunhofer-Instituts für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik haben ein Verfahren entwickelt, mit dem Kunststoffteile achtmal schneller als bisher gedruckt werden können. Darauf warten nicht nur Autoindustrie, Luftfahrtbrache und Werkzeugbauer, denn noch dauert es lange, großvolumige und belastbare Bauteile in Serie zu fertigen. Nach Institutsangaben ist ein 30 Zentimeter hohes Bauteil nun in 18 Minuten fertig.
„Die Hannover-Messe ist weltweit das Branchentreffen, dort muss Sachsen hin“, sagt Minister Dulig nach seinem Rundgang und Gesprächen mit Vertretern des Partnerlandes Schweden und der kanadischen Provinz Quebec. Auf der bedeutendsten Industriemesse sind laut Wirtschaftsministerium 98 Aussteller aus dem Freistaat vertreten: mit eigenem Auftritt, im Gefolge ihrer Westmütter – und die Hälfte von ihnen an sechs Gemeinschaftsständen von Kammern, Hochschulen und Netzwerken wie Energy Saxony und Futuresax.
Aber es sind nicht mal halb so viele Teilnehmer wie Mitte der 90er-Jahre. Speziell seit sieben Jahren zeigen immer weniger Firmen weiß-grün Flagge. Duligs Ministerium nennt ihre Zahl „relativ stabil“, sieht „keinen spezifischen Sachsentrend“ und meldet nach erneutem Nachzählen 110 Teilnehmer – wie im Vorjahr. Mit 1995 könne man es nicht vergleichen, da aus der Schau viele Spezialmessen hervorgegangen seien, es Konkurrenten wie Z/Intec in Leipzig gebe. Auch hätten Firmen fusioniert, andere so volle Auftragsbücher, dass neue Prioritäten gesetzt würden und nicht mehr vorrangig um Neukunden geworben werde. Manchen schrecken wohl auch die Grundstandmiete von 233 Euro pro Quadratmeter und Übernachtungspreise von ein paar Hundert Euro in einfachen Hotels.
Mit Gemeinschaftsauftritten wie „Zuliefermarkt Sachsen!“ und „Sachsen! – Digitale Technologien“ versuchen deren Organisatoren gegenzusteuern. „Damit setzen wir in den verschiedenen Themenbereichen der Messe Akzente und erleichtern es auch kleinen und mittelständischen Unternehmen, mit potenziellen Kunden und Partnern in Kontakt zu treten“, sagt Thomas Horn, Chef der Wirtschaftsförderung Sachsen, die die Kammern unterstützt.
Wer im Ausstellerverzeichnis der Hannover-Messe steht, ist aus Überzeugung, meist seit vielen Jahren und auf eigene Kosten da – wie der Dresdner Werkzeugmaschinenbauer Mikromat und der Präzisionsteile-Hersteller Richard Grießbach Feinmechanik, Altenberg. Nur Neulinge erhalten von Sachsens Aufbaubank bis zu viermal einen Zuschuss von 4 000 Euro.
Trotz kleinerer Abordnung setzen Sachsen in Hannover Ausrufezeichen – nicht nur im Namen der Gemeinschaftsstände. Gern hätten sie auch einen der vielen Bundespolitiker dort begrüßt. So sind Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) und drei seiner Staatssekretäre vor Ort. Sie besuchen 44 Stände – darunter nicht einen aus Ostdeutschland. Von der SZ nach dem Grund befragt, schreibt das Bundeswirtschaftsministerium von vielen Einladungen zu Standbesuchen, Wortbeiträgen und Veranstaltungen. „Eine Einladung zum Standbesuch von einem Unternehmen mit Hauptsitz in den ostdeutschen Bundesländern war in diesem Jahr leider nicht dabei.“ Viele besuchte Unternehmen „haben jedoch diverse Standorte in Deutschland, die sich auf viele Bundesländer verteilen“. Es ist der Tag, an dem der Ostbeauftragte des Bundes einen Preis zur Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhalts auslobt.
Von Michael Rothe
Foto: © Rüdiger Wolke/Imago