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Indische IT-Experten, Tagungen, neue Jobs: Wie die Forschung die Lausitz umkrempelt

Mithilfe von Milliarden-Summen sprießen derzeit Forschungsinstitute aus dem Boden wie Pilze. Damit die Rechnung aufgeht, kommt aber Städten wie Cottbus, Görlitz oder Bautzen eine große Aufgabe zu.

Lesedauer: 4 Minuten

Sebastian Beutler

Görlitz. Der Kohleausstieg in der Lausitz könnte kein besseres Gesicht haben als Sagar Borra. Der Mittzwanziger aus Indien ist ein IT-Fachmann, arbeitete während seines Studiums in Berlin als Werksstudent bei Siemens Energy in Görlitz, und über eine Görlitzer Unternehmensberatung kam er schließlich zum Deutschen Zentrum für Astrophysik (DZA).

Seit Anfang dieses Jahres arbeitet er in dessen Datenzentrum, das sich noch an der TU Dresden befindet. Doch wenn das DZA Ende dieses Jahrzehnts aus seinen Behelfsdomizilen in Görlitz auf seinen zentralen Campus umziehen wird, dann ist Sagar Borra mitten in dem größten Feldexperiment der deutschen Politik.

Sagar Borra stammt aus Indien und arbeitet seit Kurzem für das Deutsche Zentrum für Astrophysik in Görlitz.
Sagar Borra stammt aus Indien und arbeitet seit Kurzem für das Deutsche Zentrum für Astrophysik in Görlitz.
Quelle: Paul Glaser/glaserfotografie.de

Mithilfe von Forschungseinrichtungen soll der Übergang von der Kohlewirtschaft in eine neue Industrielandschaft gelingen. Vorbilder in kleinerem Maßstab gibt es in Bayern. In solchen Dimensionen wie in der Lausitz, aber auch im Revier Leipzig/Halle hat es aber schon Seltenheitswert.

Kohlekompromiss pumpt verlässlich Milliarden in die Reviere bis 2038

Möglich macht das der Kohlekompromiss von 2019, der nicht nur den Kohleausstieg 2038 für Deutschland festlegte, sondern auch 40 Milliarden Euro für die Reviere zur Verfügung stellte. Es war eine Lehre aus dem Strukturwandel nach der Deutschen Einheit in den neuen Ländern, als der Übergang in eine neue Wirtschaft ungebremst und kaum abgefedert zeitweise zu Massenarbeitslosigkeit, Abwanderung und Firmenzusammenbrüchen führte. Das soll nicht ein zweites Mal passieren.

Nun sprießen Forschungsinstitute wie Pilze aus dem Boden. Das DZA in Görlitz und das Chemie-Transformationszentrum in Delitzsch als Großforschungszentren gehören genauso dazu wie der Aufbau einer medizinischen Universität Lausitz in Cottbus oder der neue Forschungscampus im Industriepark Schwarze Pumpe. Da legte erst vor wenigen Tagen Sachsens Infrastruktur-Ministerin Regina Kraushaar mit den beteiligten Unis aus Dresden, Chemnitz, Freiberg und der Hochschule Zittau/Görlitz den Grundstein. Künftig wird hier erforscht, wie beispielsweise Teile aus Flugzeugen, Windrädern oder Zügen wieder verwendet werden können, die bislang im Müll landeten.

Alle wichtigen Forschungsgesellschaften vertreten

Die wenigen Beispiele geben nur einen unvollständigen Überblick über die Forschungslandschaft, die allein in der Lausitz im Entstehen begriffen ist. Alle wichtigen Forschungsgesellschaften sind mittlerweile vertreten: von der Max-Planck-Gesellschaft über die Helmholtz-Gemeinschaft bis zu den Fraunhofer-Instituten. Sie forschen über riesige Datenmengen, zum autonomen Fahren, wie künftig grüne Carbonfaser hergestellt werden können oder das Gesundheitssystem digitalisiert und zukunftsfest gemacht werden kann. Nebenbei studieren ab Herbst kommenden Jahres die ersten angehenden Ärzte in Cottbus.

Allein Brandenburg gibt mit rund sechs Milliarden Euro gut die Hälfte der Kohleausstiegsgelder für Wissenschaft und Forschung aus. In Sachsen sieht das Verhältnis kaum anders aus. Der Chef der Staatskanzlei, Andreas Handschuh, zuvor Kanzler der TU Dresden, sprach jüngst im Zittauer Stadtteil Hirschfelde von dem Hochtechnologie-Cluster, das gegenwärtig zwischen Breslau, Dresden und dem Norden Tschechiens entsteht – und mittendrin die Lausitz. Von diesen grenzüberschreitenden Kooperationen erhofft sich Handschuh am Ende „innovative und zukunftsfähige Arbeitsplätze“. Nur sie weckten das Interesse junger Menschen, in die Region zu kommen.

Neue Studie: Forschung kann den Wandel fördern, aber die Kommunen sind wichtig

Tatsächlich sind aber die Zweifel in der sehr kleinteiligen Wirtschaft in der Lausitz weit verbreitet, ob so viel Geld für Forschung wirklich nötig ist oder ob es nicht besser wäre, die Milliarden für Straßen, Brücken oder dergleichen mehr auszugeben. Deswegen kommt eine Untersuchung der Technischen Universität Cottbus und des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle gerade zur rechten Zeit. Beide begleiten den Strukturwandel in Südbrandenburg mit regelmäßigen Forschungsberichten.

Der jüngste widmete sich der Frage, ob und wie die Wissenschaft dazu beiträgt, die Lebensqualität in der Lausitz zu steigern, neue Arbeitsplätze zu schaffen und Wachstum zu fördern. Zwar waren die Studien in der Vergangenheit auch für die sächsischen Reviere aussagekräftig.

Nach Ansicht der Studie entstehen allein durch die Ansiedlung der Institute neue Arbeitsplätze, mittelfristig profitieren Bauunternehmen vom Bau der Zentren und Einkaufsmärkte oder -geschäfte von neuen Kunden, mehr Zuzug ist ein weiterer Effekt, die Ausgründung von Unternehmen ebenso.

Finanziell angeschlagene Kommunen in der Region brauchen Hilfe

Doch geschieht das nicht im Selbstlauf. So kann Fachkräftemangel den Aufbau neuer Jobs hindern oder auch verbreitete Ausländerfeindlichkeit. Für junge Menschen muss auch das Umfeld wie angemessener Wohnraum, gute Kitas und Schulen für ihre Kinder, gute Verkehrsanbindungen nach Berlin und Dresden sowie eine ausreichende medizinische Versorgung stimmen. Ob genügend Arbeitsplätze in bestehenden oder neu gegründeten Firmen entstehen, hängt nach Ansicht der Studie auch davon ab, ob die Institute auf Feldern forschen, die nah an den Unternehmen der Region sind.

Vieles ist also davon abhängig, dass Kommunen wie Cottbus, Görlitz oder Bautzen die soften Standortfaktoren entwickeln. Die finanziell angeschlagenen Städte bräuchten nach Ansicht der Forscher zusätzliche Gelder dafür.

Forschungszentrum holt 550 Top-Wissenschaftler nach Görlitz – für fünf Tage

Das DZA in Görlitz macht in diesen Tagen die Probe aufs Exempel. Es ist Gastgeber der größten astrophysikalischen Tagung in Deutschland seit vielen Jahren. Rund 550 Teilnehmer aus Australien, China, Indien, Italien, den Niederlanden, Südafrika, Großbritannien, Tschechien und natürlich Deutschland werden bis 20. Juni in Görlitz darüber sprechen, wie das größte Radioteleskop der Welt in Südafrika und Australien entstehen wird. Der designierte DZA-Gründungsdirektor Günther Hasinger hat dieses Projekt von Anfang an begleitet.

Wenn die Antennen in der Zukunft in den Weltraum gerichtet sind, werden sie Unmengen an Daten aus dem Universum empfangen. Spätestens dann werden Sagar Borra und das neue DZA-Datenzentrum so richtig gefragt sein, um diese Daten sinnvoll nutzen zu können.

SZ

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