Von Sven Heitkamp
Leipzig. Am Hainer See im Leipziger Seenland entsteht zurzeit nicht nur ein neues Feriendorf, das den Tourismus weiter ankurbeln soll – sondern auch eine neuartige Aquathermie-Anlage, die ihresgleichen sucht. Sechs parallel angeordnete Wärmetauscher wurden dafür unter einem Bootssteg installiert. Sie nutzen den Temperaturunterschied zwischen Seewasser und Wärmeleitmittel, um die neuen Häuser des Hafen-Dorfes je nach Saison zu heizen oder zu kühlen. Damit die Energiequellen die nötige Leistung erbringen, haben die Ingenieure sogenannte „Oloid-Rührwerke“ installiert: Energiesparende Propeller, die in stehenden Gewässern für stetige Strömung um die Wärmetauscher sorgen, ohne Menschen und Tiere zu gefährden. Die Anlage wird als richtungsweisendes Strukturwandelprojekt vom Bund gefördert. Seit März läuft der Probebetrieb. „Eine solche Anlage in dieser Konstellation gibt es noch nirgendwo in Europa“, sagt Christophe Hug, Gründer und Geschäftsführer des Leipziger Beratungshauses Tilia. „Durch den Einsatz der Aquathermie können Tagebauseen zur zusätzlichen Chance für die Wärmewende werden.“
Tilia ist als Kooperationspartner der Leipziger Stadtwerke an der federführenden Quartiersenergie-GmbH beteiligt und hat wesentlich zum Entstehen der neuen Anlage beigetragen.
International gefragt
Und es ist nur eines von einigen herausragenden und innovativen Projekten, die Tilia in ganz Deutschland und Frankreich, in Asien, Afrika und Südamerika begleitet und vorantreibt. Das Unternehmen berät vor allem in den Bereichen Energie, Wasser, Umwelt, Kreislaufwirtschaft und Mobilität. Zu den Kunden gehören Versorger wie Stadt- und Wasserwerke, Industriekonzerne, Unternehmen der Immobilienbranche und Vermieter. Im Frühjahr sorgten die Berater für Aufmerksamkeit mit einer Nominierung für den Sächsischen Digitalpreis. Ihre „4DigiTwin“-Software ermöglicht es Unternehmen, einen digitalen Zwilling von Versorgungssystemen und Prozessen zu schaffen. Sie können beispielsweise ein komplettes Quartiers-Energienetz darstellen und optimieren – von der Erzeugung über den Verbrauch bis zur Speicherung. Über Sensoren werden dabei Netzdaten gesammelt und von der Software analysiert. Das renommierte Wirtschaftsmagazin brand eins hat Tilia dieses Jahr zum wiederholten Mal in seine Liste der rund 300 besten Beratungsunternehmen in Deutschland aufgenommen. Das Ranking, das jährlich zusammen mit der Statistik-, Markt- und Meinungsforschungs-Plattform Statista entsteht, beruht auf Empfehlungen von Branchenkennern und Kundenbewertungen. Tilia wurde darin seit 2014 schon mehrfach erwähnt. Der Erfolg dürfte nicht zuletzt am Mix aus Bodenständigkeit, Innovationsgeist und Sinn für Nachhaltigkeit liegen, mit dem die Berater in aller Welt und vielen Branchen unterwegs sind: In Vietnams Hauptstadt Hanoi hat die Tilia-Tochter AONE gerade den Vertrag für eine zweite Wasseraufbereitungsanlage unterschrieben, die eine Million Menschen in der Region mit Trinkwasser nach deutschen Standards versorgen soll. Die AONE sei dabei nicht nur als Berater für die Konzeption im Boot. „Wir sind auch Bauherren und zukünftige Betreiber“, sagt Hug, der sich seit 2021 auch als Vizepräsident der Leipziger IHK engagiert. Die direkte Beteiligung an vielen Projekten sei eines der Markenzeichen, mit dem Tilia für die eigene Glaubwürdigkeit sorgt.
Den Kohlestrukturwandel begleitet
Zur Firmengruppe gehören heute nicht nur die 40 Beschäftigten am Stammsitz in Leipzig, sondern insgesamt mehr als 170 Leute, unter anderem in Berlin, Arnsberg, Frankfurt am Main, Köln, Lörrach und Paris. Der Mittelständler ist in mehr als 20 Ländern präsent und macht laut dem CEO mittlerweile die Hälfte des 50-Millionen-Umsatzes im Ausland. Dazu gehörten schon Projekte in Nicaragua und auf dem Balkan, in Mosambik sowie in Ägypten, wo derzeit ein neues großes Wasserprojekt vorbereitet wird. In Paris hat Tilia ein weltweites Referenzprojekt für ein kaltes Wärmenetz mit Niedrigtemperatur-Geothermie bei 28 Grad mitentwickelt. In Hoyerswerda begleitet Tilia seit 2019 den Kohlestrukturwandel etwa bei der Wärme- und Wasserversorgung, der Einführung von Elektrobussen und Smart-City-Konzepten sowie dem Umbau des Lausitzbades. In Querfurt begleiteten die Berater schon vor einigen Jahren die Umstellung von 2000 Wohnungen von Erdgas auf Biogas aus einer Agrargenossenschaft.
„Wir helfen als Partner und Ideengeber, bestehende Systeme nachhaltig zu transformieren und bringen unsere Erfahrungen aus mehr als 1000 Referenzprojekten ein – aber immer technologieoffen und unabhängig von anderen Unternehmen und Kunden“, betont Gesellschafter Hug. „Und wir bleiben dabei, wenn es an die Umsetzung geht.“ Hug hat das Unternehmen 2009 zusammen mit Alexander Redeker und Cyril Roger Lacan gegründet. Der gebürtige Franzose Hug hat einst Siedlungsbau in Paris studiert und einen Abschluss als Bauingenieur an einer renommierten Ingenieursschule absolviert. 1995 kam er für den französischen Versorgungskonzern Veolia nach Deutschland und war in Bautzen, Döbeln und Berlin eingesetzt, ehe er nach Leipzig kam.
2009 – mit Mitte 30 – stieg er bei Veolia aus und gründete Tilia. Das Wort ist der botanische Name der Linde, Leipzigs Namensgeberin. „Die Linde ist ein grundsolider Baum, sie steht für Nachhaltigkeit, Freiheit und Fruchtbarkeit“, sagt der heute 51-Jährige. „So sehen wir auch unsere Dienstleistungen.“