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Insolvenz trotz Millionenumsatz: Die rätselhafte Pleite von Seidels Klosterbäckerei

Die Döbelner Bäckerei mit Filialen in Dresden, Leipzig und Nossen ist zahlungsunfähig – und das bei Rekordeinnahmen. Hier erklärt ihr Inhaber, warum das passieren konnte. Und ihr Insolvenzverwalter, warum er derzeit viele solcher Fälle auf dem Tisch hat.

Lesedauer: 4 Minuten

Josa Mania-Schlegel

Im Leipziger Norden befindet sich eine typische Filiale der Klosterbäckerei: klein, fein, duftend. An einem Dienstagnachmittag schaut die Verkäuferin zufrieden in die Auslage. Die Zimtschnecken sind längst verkauft, die Apfeltaschen auch bald. Die letzte Wespe des Jahres nährt sich vom Zuckerguss, das Geschäft brummt. Und doch meldete Seidels Klosterbäcker im August Insolvenz an. Warum?

Sachsen: 10 Insolvenzen pro Woche

Nach Recherche von SZ und LVZ haben in diesem Jahr jede Woche rund zehn sächsische Betriebe Insolvenz angemeldet. Stand dieser Woche sind 404 Insolvenzen zusammengekommen. 2024 waren es am Jahresende sogar 867. Und während sich die Großen behaupten, trifft es jetzt meist die kleinen, mittelständische Unternehmen mit 20 bis 30 Mitarbeitern – wie die Klosterbäckerei.

Da kommt der Mann an die Theke, der es wissen muss. Patrick Schülke, 41 Jahre, der stets betont, er sehe viel älter aus. Und zugegeben: Ein bisschen stimmt das auch. Die letzten Jahre haben den fröhlichen Schülke ernster gemacht. Heute wolle er „aus der Verantwortung raus“, sagt er. „Die Bäckerei war und ist mein Leben – aber es geht nicht mehr.“

Punkt halb acht steht die erste Kundin in der Eisenacher Straße 17 in Leipzig: Schülkes Bäckerei läuft - warum schließt sie dann?
Punkt halb acht steht die erste Kundin in der Eisenacher Straße 17 in Leipzig: Schülkes Bäckerei läuft – warum schließt sie dann?
Quelle: Kempner

Um zu verstehen, wie das passieren konnte, muss man zurück ins Jahr 2013 blicken, als Schülke erstmals eine Seidels-Filiale betrat. Damals kaufte er nicht gleich die ganze Bäckerei, sondern erstmal nur eine Apfeltasche. Aber die schmeckte ihm, erzählt er. So gut, dass er sich bei Frau Seidel meldete, der damaligen Inhaberin. „Sie brauchen mich“, habe er am Telefon versichert. Sie stellte ihn als Verkäufer an.

Fünf Jahre lang reichte Schülke selbst Brot, Brötchen, natürlich die köstlichen Taschen über die Theke: Luftiger, nicht zu süßer Teig. Frisches Apfelkompott. Ein Spritzer Zitrone. Dann kam die Kündigung. Das Ehepaar Seidel hatte sich getrennt, ihre Bäckerei war damit pleite. Schülke wollte das nicht wahrhaben. Er ging zur Bank und übernahm für knapp 200.000 Euro die Backstube in Döbeln mit fünf Bäckern und Filialen in Leipzig, Nossen und Dresden.

Seidels blieb – mit heute 14 Festangestellten und insgesamt 28 Mitarbeitern. Doch obwohl das Geschäft bestens läuft, konnte Schülke dieses Jahr seine Rechnungen nicht bezahlen. Also: Warum?

1,43 Millionen Euro Umsatz – und trotzdem rote Zahlen

Bis 2022, sagt Schülke, war die Welt in Ordnung. Dass etwas nicht stimme, habe er 2023, 2024 geahnt. Da war der Mindestlohn, der von 12 Euro auf 12,41 Euro stieg. Getreide, Mehl, Butter, Zucker verteuerten sich um bis zu 70 Prozent. Der Strompreis wuchs, jedenfalls zeitweise, auf das fünffache.

Schülke kam es vor, als führten alle Krisen der Welt in seine Backstube in Döbeln: Personal, Energie, Rohstoffe, alles wurde teurer. Nur ein bisschen, aber eben alles. Schülke zeigt auf die Faltenbeutel, in die er Brötchen und Gebäck verpackt. Früher kostete ein Beutel, mit seinem Logo drauf, einen halben Cent. Heute sind es 1,8 Cent – mehr als das Dreifache.

2016 machte Schülke zum letzten Mal Urlaub, für eine Woche im Spreewald. Jetzt will er aus der Verantwortung raus – aber als Angestellter bleiben.
2016 machte Schülke zum letzten Mal Urlaub, für eine Woche im Spreewald. Jetzt will er aus der Verantwortung raus – aber als Angestellter bleiben.
Quelle: Kempner

Paradoxerweise erzielte die Klosterbäckerei 2024 mit 1,43 Millionen Euro noch ihren höchsten Umsatz. Das Betriebsergebnis war trotzdem eine rote, negative Zahl im Tausender Bereich. Zum Vergleich: 2022 hatte Schülke mit 1,1 Millionen Umsatz noch 60.000 Euro Gewinn gemacht. Drei Jahre später reichen die Einnahmen nicht mehr. „Ich konnte es leider nicht aufhalten“, sagt er. Am Schluss fehlten 40.000 Euro, um seine Verkäufer zu bezahlen. Er selbst stand täglich zwölf Stunden in einem der Läden. Den letzten Urlaub, sagt Schülke, machte er 2016: eine Woche im Spreewald. Er wirkt ausgebrannt. War die Klosterbäckerei wirklich nicht zu retten?

Man bräuchte eigentlich zehn Filialen mehr. – Henry Girbig, Dresdner Insolvenzverwalter

Anruf beim Dresdner Anwalt Henry Girbig, der als Insolvenzverwalter der Bäckerei jetzt einen Investor sucht. Er habe, sagt Girbig, derzeit so viele Fälle wie noch nie auf seinem Tisch. Vor allem viele kleinere Betriebe seien dabei. Während ein Discounter beim Mehlpreis verhandeln kann, trifft den kleinen Bäcker die Erhöhung mit voller Härte. Aber den Grund sieht er nicht nur in externen Krisen, sondern auch bei politischer Überregulierung. Ein Beispiel: Die neue Verpackungsabgabe für Stollenbäcker, die nur unter Protest zurückgenommen wurde.

Wie sollen sich kleine Betriebe gegen die Übermacht der Großen wehren? Indem sie, sagt Girbig, selbst ein bisschen größer werden. „Eine eigene Backstube mit nur vier Filialen, in ganz Sachsen verstreut – das geht nicht auf“, sagt er über die Klosterbäckerei. „Man bräuchte eigentlich zehn Filialen mehr.“

Hat der Mittelstand noch eine Chance?

Um neue Filialen zu eröffnen – es wäre wohl jeweils ein niedriger sechsstelliger Betrag nötig – müssten wiederum die Preise hoch. Ein Brot, das sich vom Discounter abheben will, dürfte dann nicht wie heute vier Euro, sondern sieben Euro kosten. Andere Bäcker rufen solche Preise längst auf: Im „Backstein“ in der Leipziger Grassistraße kostet ein Kilo Brot 6,50 Euro. Und bei „Cinnamood“ am Leipziger Markt gibt es Zimtschnecken ab 4,50 Euro.

Ob die Klosterbäckerei mit höheren Preisen überleben könnte? Es wird sich bald zeigen. Denn inzwischen gibt es einen möglichen Investor. Vielleicht noch im Oktober könnte Vollzug gemeldet werden, sagt Girbig.

Unter dem süßlichen Duft der Apfeltaschen wird dann auch ein wichtiges Experiment durchgeführt: Ob der Mittelstand überhaupt noch eine Chance hat.

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