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Ist das noch Handwerk? Ein sächsischer Fensterbaubetrieb wird digital

Die Brüder Sören und Steve Wagner finden, dass Stillstand Rückschritt wäre. Wie sie ihren sächsischen Fensterbaubetrieb für ihre Kinder programmieren.

Lesedauer: 3 Minuten

Man sieht eine Automatische Lackiererei: Bei Schreinerei & Metallbau Wagner in Niederwürschnitz fahren Fensterrahmen Karussell. Die Wagner-Brüder erhoffen noch mehr von der Digitalisierung. © SMWA / Jürgen Lösel
Automatische Lackiererei: Bei Schreinerei & Metallbau Wagner in Niederwürschnitz fahren Fensterrahmen Karussell. Die Wagner-Brüder erhoffen noch mehr von der Digitalisierung. © SMWA / Jürgen Lösel

Von Georg Moeritz

Niederwürschnitz. Hier fahren die künftigen Fensterrahmen Karussell: Hölzerne Rechtecke hängen an einem Förderband unter der Decke, schweben langsam in Richtung der Lackiererei. Dort sprüht ein Roboterarm drei Schichten Farbe auf, zwischendurch ist Zeit zum Trocknen einprogrammiert. Auf dem Bildschirm kann Fertigungsleiter Andreas Voigt die Temperatur einstellen und die Luftfeuchte ablesen. Abtropfende Farbe wird aufgefangen und wiederverwendet.

Die vollautomatische Lackiererei ist nicht die einzige Roboterstation, die Kiefer-, Fichten- und Eukalyptushölzer im Niederwürschnitzer Unternehmen Schreinerei und Metallbau Wagner GmbH bearbeitet. In der benachbarten Halle duftet es nach Holz. Dort zeigt Abteilungsleiter Sascha Lange, wie Automaten Massivholz „präzise und wiederholgenau“ bearbeiten. Am Bildschirm lässt sich eingeben, wo Löcher zu bohren sind. Der Markt verlange immer komplexere Teile, mit immer mehr Beschlägen.

Sascha Lange berichtet, dass er ursprünglich mit einer „romantischen Vorstellung“ die Ausbildung im Holzhandwerk begonnen habe – zunächst in einem Geigenbaubetrieb. Er mochte die Geschichten um Schreinermeister Eder und Pumuckl. Aber bald hatte er den Eindruck, dass sein Lehrbetrieb kaum Möglichkeiten zur Weiterentwicklung bot. Im Unternehmen der Brüder Wagner mit inzwischen 140 Beschäftigten dagegen gebe es „Vortrieb von den Chefs, hier ist Potenzial“.

Sören und Steve Wagner haben den Fensterbaubetrieb im Jahr 2011 von ihrem Vater übernommen. Heute sind sie 46 und 41 Jahre alt. „Wir mussten zeitig Verantwortung übernehmen“, findet Sören Wagner. Der Ältere ist für die Technik im Unternehmen zuständig, der Jüngere für den Vertrieb und die Außendarstellung.

Ein Handwerksbetrieb „kurz vor der Industrie“

Steve Wagner sagt, dass in dieser Branche Stillstand Rückschritt wäre. Digitalisierung gehöre dazu, wenn das Unternehmen vorangebracht und gut an die nächste Generation weitergegeben werden solle. Die beiden Brüder mit der Statur von Holzfällern haben je drei Kinder. In den vergangenen Jahren haben die Chefs in neue Hallen und Technik investiert, das Unternehmen macht einen Jahresumsatz von gut 18 Millionen Euro. „Man muss mit Herz und Hand dabei sein, dann kommt der Erfolg von alleine“, sagt Steve Wagner.

Sören Wagner rechnet damit, dass immer mehr digitale Prozesse in die Produktion und Verwaltung einziehen. Nach den Umbauten wolle er nun für Prozesssicherheit in der Fertigung sorgen und die Durchlaufgeschwindigkeit erhöhen. Wagner sagt, sein Unternehmen sei zwar ein Handwerksbetrieb, aber „kurz vor der Industrie“. Ein Kleinbetrieb würde sich solche Investitionen wohl kaum leisten können.

Der Chemnitzer Handwerkskammerpräsident Frank Wagner urteilt auf Nachfrage rasch: Ja, das Unternehmen im Erzgebirgskreis ist ein Handwerksbetrieb. Dort werden Fenster hergestellt, dann zu den Kunden gebracht und eingebaut. Diese Leistungen seien von der Arbeit reiner Vertriebsfirmen zu unterscheiden. Zehn Montagetrupps sind von Niederwürschnitz aus unterwegs.

Das Unternehmen wurde 1990 vom Vater der jetzigen Chefs gegründet. Auch Kunststoffbau gehörte von Anfang an dazu. Der große Bedarf an Fenstern und Türen nach der Wiedervereinigung war Basis für das schnelle Wachstum Anfang der 90er-Jahre, so steht es in der Internetpräsentation der Firma.

Heizglas im Fenster, Holzspäne als Briketts

Inzwischen haben Wagners auch Aufträge in Berlin, Paris und Lissabon ausgeführt – zum Beispiel in deutschen Botschaftsgebäuden. In Kanada statteten sie eine Fabrik eines Kunden aus, der ihnen Profile liefert. Auftraggeber waren jeweils Kunden aus Deutschland, in der Regel ist das Unternehmen in Sachsen aktiv.

Wer den Firmensitz in Niederwürschnitz betritt, kommt in einen Verkaufs- und Beratungsraum mit viel Holz: Wendeltreppe, starke Ständer, gleich hinter dem Eingang stehen Mustertüren parat. Eine Fensterscheibe lädt per Aufkleber zum Antatschen: Die Scheibe ist zugleich Flächenheizung. Sie kann über 40 Grad warm werden, erläutern die Verkäufer. Eine durchsichtige Metalloxidschicht auf dem mehrfach verglasten Fenster lässt sich elektrisch erwärmen und wirkt ähnlich wie eine Infrarotheizung. Das Heizglas stammt von Vestaxx aus Berlin, Wagners haben für die Fenster die Verkabelung und Schleppketten entwickelt – schließlich müssen sich die Rahmen bewegen lassen. Nach außen werde kaum Wärme abgestrahlt, versichern die Anbieter.

Für den eigenen Betrieb nutzt die Schreinerei wie branchenüblich vor allem die eigenen Produktionsreste: Holzspäne kommen in die Brikettierpresse und werden in großen Bunkern gesammelt. „Damit kommen wir über die Heizperiode“, versichert Wagner. Eine neue Wärmerückgewinnung helfe Heizholz sparen, das Erdgas für die Kunststoffrahmenproduktion konnte abgedreht werden.

Bauleiter fahren Elektroautos und nutzen Tablets

Für die nächste Produktionshalle planen die Brüder Wagner eine Fußbodenheizung. Der Betonboden müsse ohnehin gegossen werden, der speichere Wärme gut. Abwärme von Kompressoren werde im Wasserspeicher aufbewahrt. Die Solaranlage auf den Betriebsdächern des Unternehmens besteht aus 265 Paneelen.

Die Fahrzeugflotte der Wagners ist allerdings noch nicht komplett auf Strom umgestellt. Für lange Strecken sei das noch nicht sinnvoll. Doch Gabelstapler und vier Bauleiterfahrzeuge fahren bereits elektrisch. Die Bauleiter nehmen außerdem elektronische Geräte zur Hand: Statt Papier nutzen sie Tablets, auf denen sie ihre Dokumente finden. Bauvertrag, Werkstattplanungen und Bestellungen lassen sich dort in der Regel sortieren. Fotos und gesprochene Notizen kommen auf der Baustelle dazu. „Das spart Berge von Papier“, sagt der Kaufmännische Leiter Johann Schreiter.

Etwa 15.000 Rechnungen pro Jahr seien zu bearbeiten, sagt Sören Wagner. Da sei die Digitalisierung eine große Hilfe. Nun beschäftige er sich mit einer geplanten Mitarbeiter-App: Lohnabrechnungen, Urlaubsanträge und Informationen an alle sollen in dem Handwerksbetrieb möglichst papierlos erledigt werden. Holzlos werden Wagners aber auch künftig nicht arbeiten.

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