Ulrich Milde
Leipzig. Die Büros sind modern, hell und freundlich. Es gibt eine Küche und einen Raum mit Billardtisch und kleiner Bar. Draußen lockt ein Beachvolleyballplatz. „Da spielen wir manchmal im Sommer und werfen auch den Grill an“, berichtet Martin Flechsig. Er ist Chef der mitteldeutsche IT GmbH, die vor einem Jahr ihre neue, 5,3 Millionen Euro teure Zentrale im Leipziger Norden bezogen hat und in diesem Zusammenhang von Grimma in die Messe-Metropole umgezogen ist.
Dabei ist es schon bemerkenswert, dass Flechsig sich als Unternehmer offenkundig auf einem erfolgreichen Kurs befindet. Der 44-Jährige hat eine, sagen wir mal, bewegte Vergangenheit hinter sich. Mauerfall und Wiedervereinigung haben ihn aus der Bahn geworfen. Er nutzte die neu gewonnene Freiheit, um im Schulunterricht häufig dazwischenzurufen und zu stören. Viele Stunden verbrachte er deshalb als Strafe vor der Klassentür.
Schlechtes Zeugnis
„Ich war der rebellische Typ und habe mir von keinem was sagen lassen“, erinnert er sich. So wurde er vom Musterknaben zum schlechtesten Schüler in Grimma, blieb in der siebten Klasse sitzen und wechselte auf die Hauptschule.
„Die Freiheit hat mich überfordert“, blickt er zurück. „Es war mir damals vieles egal.“ Mit der Folge, dass er mit Ach und Krach und wohl nur, weil die Lehrer alle Augen zudrückten, den Hauptschulabschluss schaffte. „Ich hatte wohl das schlechteste Zeugnis.“
Sein Vater besorgte ihm eine Lehrstelle als Dachdecker, doch diese Ausbildung absolvierte er mehr schlecht als recht, der Beruf machte ihm nicht so richtig Spaß. Dafür fand er gefallen daran, viele Partys zu feiern. „Ich war am Tiefpunkt meines Lebens angelangt.“ Doch irgendwann habe er sich gesagt, dass es so nicht weitergehe.
Bundeswehrzeit bringt Wende
Seine persönliche Wende kam in seiner Zeit bei der Bundeswehr. Flechsig war bei den Gebirgsjägern in Garmisch-Partenkirchen stationiert und pendelte somit häufig mit der Bahn zwischen Sachsen und Bayern. Dabei entdeckte er „riesige Unterschiede“ zwischen den beiden Freistaaten. „Hier war viel grau, das hat mich berührt.“
Während einer der Zugfahrten fiel ihm eine Wirtschaftszeitschrift in die Hände. Darin stand, dass nur wenige der Unternehmen in den neuen Ländern Ostdeutschen gehören. „Da hat es bei mir Klick gemacht, ich wollte etwas für meine Heimat tun und nicht, wie viele meiner Freunde, in den Westen gehen, sondern den dortigen Wohlstand hierherbringen.“
Nach dem Wehrdienst wieder zurück zu Hause begann er eine Umschulung zum IT-Systemelektroniker bei Robotron. Dabei hatte er Glück, dass niemand so richtig darauf achtete, dass er den eigentlich erforderlichen Schulabschluss nach der zehnten Klasse nicht hatte. „Ich bin da reingerutscht.“ Zur Informationstechnologie hatte er eine große Neigung. Schon als Kind hatte er begonnen, auf einem Commodore C 64 die ersten Programme zu schreiben.
Klassenbester
Flechsig hatte der Ehrgeiz gepackt, er arbeitete fast täglich zwölf Stunden lang. Mit Erfolg. Nach dem Abschluss als Klassenbester fand er rasch eine Anstellung als Systemadministrator in einem Opel-Autohaus. Zusätzlich bildete er sich an der Abendschule fort, unter anderem in Englisch. Später modernisierte er für andere Autohäuser die IT-Programme, schrieb dabei Anwendungen selbst. „Ich hatte schon eine Kompetenz in der Softwareentwicklung.“
Die nächste Wende in seinem Leben kam, als ein Geschäftspartner seines Arbeitgebers ihn bat, sich um seine schlechte Internetverbindung zu kümmern. Flechsig fuhr zur Computerschau Cebit nach Hannover, schaute sich ein Richtfunkequipment aus Israel an, bestellte es und modifizierte die Software. Es gelang, einen Internetanschluss mit ISDN-Tempo zu installieren.
Flechsig war 27 Jahre alt, als er seine Selbstständigkeit im Keller eines Freundes in Krostitz startete. Per Richtfunk schloss er mehr als 100 Teilnehmer an das Internet an.
Viele West-Kunden
Flechsig spezialisierte sich mit seiner Firma auf Dienstleistungen in der IT und den Glasfaserausbau, gründete dazu einen Tiefbaubetrieb. Inzwischen ist der Unternehmer in ganz Sachsen aktiv und betreut zahlreiche mittelständische Betriebe, überwiegend in der alten Bundesrepublik.
In den vergangenen Jahren entwickelte er eine Cloud-Lösung, „die es zuvor nur in den USA gab“. Heute beschäftigt Flechsig alleine in der IT 65 Mitarbeiter und setzt mehr als 20 Millionen Euro um.
In Zeiten des Fachkräftemangels kommt auch den nicht so guten Schülerinnen und Schülern eine wachsende Bedeutung zu. „Die Quote der Schulabbrecher muss reduziert werden“, sagte dazu vor einiger Zeit Andreas Brzezinski, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Dresden.
Tatsächlich gibt es bundesweit jährlich 50.000 Jugendliche, die ihre Schule ohne Abschluss verlassen. 2022 waren es in Sachsen 8,5 Prozent der 33.000 Schulabgänger. Von einer „inakzeptablen Vergeudung von Ressourcen“ wird da in Wirtschaftskreisen gesprochen.
„Glaubt an euch selbst, lasst euch nicht hängen“, appelliert Flechsig an Jugendliche, die wenig Spaß und Erfolg in der Schule haben. Es gebe in der Regel immer Ziele, die erreicht werden könnten. Vor allem, „wenn man sich wirklich für etwas interessiert“. Die Eltern forderte der Geschäftsführer auf, ihren Kindern Werte zu vermitteln. Schließlich: „Man erntet, was man gesät hat.“