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Mit diesen Sachsen ist gut kuscheln

Erzstef, die Bettdeckenmanufaktur aus dem Erzgebirge, hat im Premiumsegment ihre Nische gefunden und endlich auch einen Logistikdienstleister, der Kapazitäten hat.

Lesedauer: 4 Minuten

Von Ines Mallek-Klein

Die Beziehung zwischen Olaf Hörtzsch und dem ein oder anderen Handelsriesen ist durchaus ambivalent. Hörtzsch, Inhaber der Firma Erzstef Erzgebirgische Steppdeckenfabrik GmbH, weiß, dass viele der in seinem Betrieb gefertigten Decken über den Onlinehandel verkauft werden, er also ein wichtiger Vertriebsweg ist. Aber große Onlinehändler machen auch Probleme, Platzprobleme. Dann nämlich, wenn die Tausenden Pakete, die jeden Tag durch Deutschland gefahren werden, die Kapazitäten der Postdienstleister sprengen, die Autos randvoll sind und Hörtzsch Mühe hat, seine verpackte Ware aus dem Erzgebirge zu seinen Fachhändlern zu bekommen.

Früher, da ist er noch selbst mit seinem Lieferfahrzeug gefahren, hat die Touren genutzt, um die Kundenkontakte aufzufrischen. Aber die Europäische Union verlangt seit einigen Jahren für den gewerblichen Frachtverkehr über 3,5 Tonnen teure und zeitaufwendige Schulungen. Also hat der Unternehmer nach Lieferdiensten gesucht.

Decken passen in keinen Schuhkarton

Die Bettdecken, Kopfkissen, Unterbetten oder Krabbeldecken, die hier entstehen, passen nun mal nicht in einen Schuhkarton. Schließlich werden hier edelste Materialien verarbeitet. Welche, zeigt sich bei einem Rundgang durch die Fabrik, die zwischen 1923 und 1938 in drei Bauabschnitten entstand. Firmengründer Theodor Scholze, dessen Eltern einen Stoffhandel und eine Änderungsschneiderei betrieben, nähte seine ersten Matratzen und Unterbetten auf dem Dachboden. Die Nachfrage war so groß, dass das Unternehmen rasant wuchs. 1939 zählte es schon 80 Mitarbeiter. Aus dieser Zeit stammt auch der Name des Betriebes, den Olaf Hörtzsch, Urenkel des Gründers und seit 18 Jahren Inhaber, heute angesichts der kuschelig weichen Produkte als zu „hart“ empfindet.

Erzstef war das Telegrammkürzel für Erzgebirgische Steppdeckenfabrik. Der Name ist geblieben, das Logo hat sich gewandelt, ist moderner geworden, genauso wie der Maschinenpark. Hohe sechsstellige Beträge hat der Unternehmer für zwei Steppmaschinen investiert. Am Computer lassen sich die Steppmuster und die Deckengrößen einstellen. Für die Anlieferung der Steppautomaten musste extra ein Loch in die Wand gestemmt werden. Dort ist jetzt eine neue Terrassentür. Die Fenster auf der Gegenseite warten dagegen noch auf ihren Austausch. „Wir arbeiten uns hier voran, Stück für Stück. Die Qualität unserer Produkte ist wichtiger als die frisch getünchte Fassade“, sagt Olaf Hörtzsch und zeigt fast schon ein bisschen stolz auf das Dach. Das stammt aus der Nachkriegszeit, war einst als Provisorium gedacht, nachdem ein Brand dem Industriebetrieb stark zugesetzt hatte. Die Nazis hatten der Feuerwehr das Löschwasser abgestellt, was die Schäden zusätzlich vergrößerte.

Die zwei Steppmaschinen im zweiten Obergeschoss gleiten, unüberhörbar ratternd, über den beigen Baumwollstoff mit den orangefarbenen Löwen. Stich für Stich heften sie die beiden Stofflaken zusammen, die in ihrem Innersten von einem Vlies aus Schafwolle getrennt sind. Es entstehen zwei Krabbeldecken für Babys in einem Arbeitsgang. Der Kunde ist ein namhafter Ökoprodukthändler aus Norddeutschland.

Garantiert kein Lebendrupf

Eine Etage darunter warten Inletts darauf, gefüllt zu werden. Allein schon die unzähligen Stoffrollen im Zuschnitt lassen erahnen, wie viele Faservarianten es gibt. Auf Farbexperimente lässt man sich bei Erzstef nicht ein. Die Palette reicht von Reinweiß bis Champagner, dunkler wird es nicht, denn nur so komme die Qualität der Produkte zum Tragen, sagt Olaf Hörtzsch. Und für Farbe im Bett gibt es Bettwäsche.

Die Rohstoffe kaufen die Bettenmacher in der ganzen Welt und auch in Sachsen. Die Daunen und Federn kommen aus der Sächsischen Bettfedernfabrik in Coswig. Die sind garantiert kein Lebendrupf. Die Alpakawolle kommt von kleineren Ökohöfen aus ganz Deutschland. Doch als Füllung eignen sich auch Kamel- oder Schafwolle, Dinkelspelz und selbst Hirseschalen. Vereinzelt wird auch die sehr preisintensive Wolle der Kaschmirziege verarbeitet.

Die Wolle kommt in großen Säcken in Ehrenfriedersdorf an und wird in der Krempelei aufbereitet. Hier, im Erdgeschoss der Fabrik, steht auch die älteste Mitarbeiterin des Unternehmens aus den Gründungsjahren. Die Krempelmaschine durchpflügt wie ein feinzinkiger Kamm wieder und wieder die Wolle, befreit sie so von Heuresten und zu kurzen Fasern.

Die Krempelei ist fest in Männerhand, während vom Zuschnitt bis zur Näherei die Damen dominieren. 18 Mitarbeiter beschäftigt Olaf Hörtzsch, ganzjährig, obwohl Betten vor allem im Winterhalbjahr gekauft werden. Viele Mitarbeiter sind weit unter 40. Damit ist auch der Generationswechsel geglückt.

Der wurde in der Geschichte des Unternehmens oftmals von kleinen und großen Katastrophen begleitet. 1957 verstarb der Firmengründer Scholze und Schwiegersohn Johannes Hörtzsch übernahm die Geschäfte. Es war die Zeit der Jugoslawienkrise. Sohn Jochen studierte in Leipzig Binnenhandel, bei einem Gespräch unter jungen Leuten hörte ein Spitzel mit und Jochen rückte für zweieinhalb Jahre in Hohenschönhausen ein. Seine Eltern flüchteten, aus Angst vor Repressalien, in den Westen Deutschlands. Die Produktion war ohnehin schwierig aufrechtzuerhalten, weil Ersatzteile fehlten.

1959 kam dann das Ende der Selbstständigkeit, nach zweijähriger staatlicher Verwaltung wurde die Fabrik 1972 zu Volkseigentum erklärt. Der Bettenhersteller wurde Teil des Bettwarenkombinates Waldenburg, als Werk III. Das wurde 1991 zum Problem bei der Reprivatisierung. „Unsere komplette Kundendatei lag in Waldenburg“, sagt Olaf Hörtzsch. Trotzdem kämpfte sein Vater um den Familienbetrieb, der in der Endphase der DDR vor allem Schlafsäcke und Tagesdecken, auch für den Export, hergestellt hatte.

Den Enkel des Gründers schreckte weder der heruntergewirtschaftete Zustand des Unternehmens noch die Billigkonkurrenz aus Asien. Er wollte weitermachen und erfüllte auch die Forderung der Treuhand. Alle damals Beschäftigten wurden übernommen. Es waren 75, von der Kantinenfrau bis zum Handwerker.

"Wir haben schwere Jahre hinter uns"

Was dann kam, nagt an dem heutigen Unternehmer bis heute. Sein Vater entließ mehr als zwei Drittel der Belegschaft. „50 mal mussten wir vor Gericht erscheinen“, sagt Olaf Hörtzsch und atmet tief durch. Dann der nächste Schock. Da sein Opa die DDR vor dem Mauerbau über Westberlin verlassen hatte, erhielt er eine Entschädigung. Die musste Hörtzsch nun, nachdem der Betrieb wieder in Familienbesitz war, zurückzahlen. Dabei wurden auch Grundstücke angerechnet, die gar nicht rückübertragen wurden. So ging wertvolles Kapital für Investitionen verloren. Die Behörden kümmert das nicht.

„Wir haben schwere Jahre hinter uns“, sagt der Unternehmer. Aber seit man die Nische im Premiumsegment gefunden habe, gehe es aufwärts. Hochwertige Stoffe für die Inletts und erst recht für die Füllungen sorgen dafür, dass echte Erzstef-Daunenbetten 250 Euro und mehr kosten. „Dafür halten unsere Betten bei guter Pflege aber auch zehn Jahre und länger“, sagt Hörtzsch.

Und während in der Näherei die Maschinen surren, tüftelt Hörtzsch an neuen Verpackungsideen. Die Betten, die bisher in Kunststofftüten mit einer Klarsichtvorderseite verkauft werden, sollen künftig in Kartons kommen. Das passe einfach besser zu dem Nachhaltigkeitsgedanken unserer Produkte,sagt Hörtzsch. Die braunen Riesen sehen wuchtig aus und mehr als vier Bettdecken können sie nicht fassen. „Hoffen wir mal, dass unsere Logistiker die Betten dann auch wegbekommen“, so der Unternehmer, der übrigens nur sehr ungern außerhalb seiner eigenen vier Wände übernachtet. Das liegt an den Bettdecken, die er in vielen Hotels und Herbergen antrifft. Da wird viel gespart, leider am falschen Ende, wie er findet.

Diesen und weitere Artikel über die sächsische Wirtschaft und ihre Macher finden Sie in der neu erschienenen Ausgabe von „Wirtschaft in Sachsen“, dem Entscheidermagazin der Sächsischen Zeitung. www.wirtschaft-in-sachsen.debestellen.

In Handarbeit muss das Vlies aus Schafwolle gleichmäßig auf dem Inlett platziert werden.

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