Von Georg Moeritz
Dresden. Jede Stunde ein anderer Strompreis, sinkend und steigend je nach Preisentwicklung an der Leipziger Strombörse – solche Tarife sind künftig auch bei sächsischen Energieversorgern auf Wunsch zu bekommen. Envia-M in Chemnitz hat einen „dynamischen Ökostromtarif“ für Privatkunden ins Angebot genommen, die Leipziger Stadtwerke planen zum Juli ein ähnliches Modell. Spätestens zum Januar werden auch die kleineren sächsischen Stadtwerke folgen. Wer hat etwas davon? Ein Überblick.
Wozu gibt es dynamische Stromtarife?
Die meisten Stromtarife nennen nur einen einzigen festen Preis für jede verbrauchte Kilowattstunde, und der gilt zu jeder Tages- und Nachtzeit. Bei der Sachsen-Energie sind das zum Beispiel rund 37 Cent brutto im Tarif Dresdner Strom privat. An der Strombörse aber schwanken die Strompreise für Profis, die noch Energiemengen für die kommenden Tage einkaufen müssen. Denn immer weniger Strom kommt konstant aus Großkraftwerken, die rund um die Uhr Kohle verbrennen. Immer mehr Strom kommt aus Solaranlagen, die um die Mittagszeit den höchsten Ertrag liefern. Dann ist Strom am günstigsten, jedenfalls bei gutem Wetter. Angebot und Nachfrage müssen sich ausgleichen. Wer solche Preisschwankungen nutzen und Elektrogeräte so billig wie möglich betreiben will, der dürfte sich für dynamische, flexible Tarife interessieren.
Wie wird der neue Tarif berechnet?
Der Regionalversorger Envia-M in Chemnitz bietet seit kurzem einen Tarif namens „Mein Strom Vision“ an. Schon voriges Jahr konnten Interessenten sich zumindest vormerken lassen, aber Details standen noch nicht fest. Der Verbrauchspreis pro Kilowattstunde besteht zum größeren Teil aus den üblichen festen Bestandteilen, darunter Steuern und Netzentgelten. Der kleinere Teil des Preises ist variabel. Envia-M kauft nämlich einen Teil des Stroms zu tagesaktuellen Preisen an der Strombörse ein und berechnet daraus seine Verkaufspreise für diesen Tarif für den kommenden Tag. Täglich um 13 Uhr veröffentlicht Envia-M diese Preise mit Angaben für jede einzelne Stunde des kommenden Tages.
Was kostet der flexible Strom?
Den größten Teil des Preises machen die festen Bestandteile aus, etwa die staatlichen Abgaben. Der variable Preisbestandteil hängt von Angebot und Nachfrage ab – und zunehmend vom der Witterung. Sind alle Windkraftanlagen in Betrieb und die Solaranlagen bekommen Licht, dann ist Strom bei gleicher Nachfrage billiger als etwa nachts oder bei verbreiteter Windstille. Am Donnerstag dieser Woche verlangte Envia-M zwischen 23,6 Cent und 40,8 Cent brutto pro Kilowattstunde. Der niedrigste Preis war zwischen 14 und 15 Uhr zu bekommen, schon in der Stunde darauf waren 24,8 Cent zu zahlen. Der höchste Preis fiel zwischen 20 und 21 Uhr an. Vergleichsweise niedrig war der Preis auch nachts von 2 bis 5 Uhr, dann stieg er wieder. Nach Angaben von Envia-M hätte ein typischer Privatkunde mit „Standardprofil“ im Mai insgesamt 26,4 Cent pro Kilowattstunde bezahlt, im Januar 27,5 Cent. Das wäre erheblich weniger als der übliche Tarif des Unternehmens für Haushaltsstrom.
Wer kann die neuen Tarife buchen?
Wer stündlich wechselnde Preise nutzen will, kann keinen alten Drehstromzähler nutzen. Die meisten Anbieter verlangen ein intelligentes Messystem namens „Smart Meter“, das kann den genauen Verbrauch per Internet an den Lieferanten melden. Envia-M gibt sich auch mit einem digitalen Zähler zufrieden. Das Unternehmen bietet zudem eine App namens iona, in der die Preise stundengenau angezeigt werden. Envia-M bietet seinen Tarif nur in seinem Netzgebiet an, das umfasst Sachsen außerhalb des Gebietes der Sachsen-Energie und der Stadtwerke, dazu Teile von Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Thüringen. Überregionale Anbieter werben dagegen überall um Kundschaft. Auch die Leipziger Stadtwerke wollen ab Juli überall ihren dynamischen Tarif anbieten.
Lohnt es sich, das Wäschewaschen zu verschieben?
Auf den ersten Blick scheint es verlockend, die Waschmaschine möglichst mittags statt abends laufen zu lassen und damit vielleicht zehn bis zwölf Cent pro Kilowattstunde weniger zu zahlen. Allerdings kostet ein Waschgang selbst mit einer sehr alten Maschine laut Versorger Badenova höchstens 1,20 Euro, bei einer neuen rund 24 Cent. Wer sparsam waschen will, sollte vor allem auf die Wassertemperatur achten und Waschgänge mit wenig Stromverbrauch wählen. Natürlich lässt sich die Maschine mit Zeitschaltuhr für eine günstige Zeit vorprogrammieren, aber das Ausräumen muss ja weiterhin in den Tagesablauf passen. Womöglich soll nach dem Waschen auch noch ein Trockner beladen werden – und dann ist Strom schon wieder teurer. Wer sich das zu kompliziert macht, wird es nicht lange durchhalten. Das gilt auch für Kochen und Backen. Größere Summen lassen sich beim Laden eines Elektroautos sparen, wenn das flexibel möglich ist. Die flexiblen Tarife dürften vor allem für Eigenheimbesitzer mit Elektroauto, Wärmepumpe und Technik-Interesse infrage kommen.
Wer hat dynamische Stromtarife im Angebot?
In Sachsen ist Envia-M der erste Anbieter, der mit seinem dynamischen Tarif um Privatanbieter wirbt und detailliert Grafiken zu den Preisen im Internet zeigt. Überregionale Anbieter sind schon länger aktiv, etwa Tibber, dessen Angebot auch über den ADAC vermarktet wird. Die Sachsen-Energie in Dresden und die Stadtwerke München gehören zu den Anbietern, die sich zurückhalten und erst auf Nachfrage dynamische Tarife nennen. Sachsen-Energie-Sprecherin Viola Martin-Mönnich teilte mit, solche Angebote seien beratungsintensiv. Das Unternehmen arbeite gerade daran, einen „attraktiven dynamischen Stromtarif inklusive Visualisierung der Verbräuche und Börsenpreise anzubieten“. Die Stadtwerke Leipzig wollen zum Juli damit herauskommen. Ab Januar sind dann alle Anbieter gesetzlich dazu verpflichtet und werden verschiedene Modelle anbieten. Eins Energie in Chemnitz arbeitet nach eigenen Angaben „intensiv daran, eine Tariflösung als Pilotprojekt in die Massentauglichkeit umzusetzen“.
Was ist der Unterschied zu anderen Sondertarifen?
Manche Stadtwerke bieten schon lange unterschiedliche Tag- und Nachtpreise für Wärmespeicher an. Bei den Stadtwerken Döbeln etwa sind am Tag 34,05 Cent und nachts 31,02 Cent für Wärmespeicherstrom zu bezahlen. Auch für E-Mobilität ist dort ein eigener Tarif erhältlich. Tibber wirbt mit „smart charging“, weil das Elektroauto automatisch geladen werden kann, wenn der Preis am günstigsten ist. Auch Octopus Energy bietet einen Ladetarif für Elektroautos. Das Unternehmen Eins Energie in Sachsen, hervorgegangen aus den Stadtwerken Chemnitz, bietet einen Wärmepumpenstromtarif mit separatem Zähler und schreibt auf der Internetseite, nachts sei die allgemeine Stromnachfrage niedrig und dadurch der Preis niedriger. Doch der Text ist wohl nicht auf dem neuesten Stand und berücksichtigt nicht den billigen Mittagssonnenstrom.
Tragen die neuen Tarife zur Energiewende bei?
Envia-M-Vertriebsvorstand Patrick Kather sagt, wer seinen Verbrauch auf die Zeiten mit viel Wind- und Sonnenstrom verschiebe, trage aktiv zur Energiewende bei. Niedrige Preise sollen ja gerade einen Anreiz dazu bringen, Strom gerade dann zu nutzen, wenn er im Überfluss vorhanden ist. Sonst müssen an manchen Tagen sogar Windkraftanlagen angehalten werden, solange nicht ausreichend Stromspeicher vorhanden sind. Der Lieferant Vattenfall, ehemals Betreiber der Braunkohleanlagen auch in Sachsen und nun Stromversorger in Berlin und Hamburg, schreibt auf seiner Internetseite, die dynamischen Tarife seien ein „Beitrag zur Entlastung des Stromnetzes“.
Was sind die Vor- und Nachteile der neuen Tarife?
Mit den dynamischen Tarifen lässt sich sparen, vor allem für Vielverbraucher wie Elektroautofahrer. Sie müssen aber möglicherweise ihr Verhalten ändern – zu anderen Zeiten laden und fahren als geplant oder dem Computer die Steuerung der Ladezeit überlassen. Die Unternehmen garantieren auch nicht, dass gespart wird. Envia-M schreibt warnend, es gebe „sowohl Chancen als auch Risiken“. Der Verbrauchspreis schwankt täglich und könnte auch stark nach oben ausschlagen – wie im Herbst 2022, als sich die Erdgasspeicher zu leeren drohten. In diesem Fall würden die Kunden wohl versuchen, diesen Tarif möglichst rasch zu kündigen und müssten danach den Preis für die Grundversorgung bezahlen. Beim Vertrag ist zu beachten, wie lang die Kündigungsfristen sind – und ob der Netzbetreiber das Recht bekommt, den Stromverbrauch womöglich zu drosseln. Schon jetzt kann etwa der Netzbetreiber Sachsen-Netze in Ostsachsen bei Kunden des Tarifs für E-Mobile die Ladeleistung zeitweise auf 60 Prozent reduzieren, um die Netze zu Spitzenzeiten zu entlasten.