Von Jörg Stock
Die Schweine von Bauer Minsel haben es schön. Von ihrem Stall in Dorf Wehlen aus können sie direkt auf den Rauenstein und die Bärensteine gucken. Den Tieren ist das freilich schnurz. Sie kommen ans Gatter gerannt, weil sie mit Futter rechnen oder einfach neugierig sind. Auf Bewegungsfreiheit legt Hofchef Silko Minsel großen Wert. Je mehr Bewegung, desto besser das Fleisch, sagt er. Das weiß auch Thomas Schick. Der Fleischermeister steht in seiner weißen Kluft neben Minsel am Stalltor und sieht zu, wie die Tiere im Stroh spielen. Sie haben hier ein glückliches Leben, findet er. Einige wird er schon morgen wiedersehen – in seinem Schlachthaus.
Es gibt im Landkreis knapp fünfzig Fleischereien. Aber nur sechzehn Firmen haben die Lizenz, gewerblich zu schlachten. Die Fleischerei von Thomas Schick in Pirna gehört dazu. Schon sein Opa, der den Laden im Stadtteil Copitz 1930 aufmachte, hat selber geschlachtet. Der Vater hingegen, der das Geschäft durch die DDR-Zeit führte, musste sich mit Tierhälften vom Schlachthof begnügen, geliefert auf Zuteilung. Thomas Schick ist zu den Wurzeln des Handwerks zurückgekehrt. Er hat ein komplett neues Schlachthaus an seinen Laden angebaut, mit allem Drum und Dran, und dafür etwa 200 000 Euro investiert, auch mit Hilfe von der Europäischen Union. Die Qualität, die er liefern will, das ist seine Überzeugung, kriegt er mit Ware vom Großschlachter so nicht hin.
Es ist morgens um sieben. Die Schweine stehen im Gatter, diesmal im Rückraum von Thomas Schicks Betrieb. Vor etwa einer Stunde hat er sie bei Bauer Minsel abholen lassen. Früher hat man „Weltreisen“ gemacht, erzählt Schick, um das Schlachtvieh aus Großställen heranzuholen. Seit er die Schweine aus Wehlen bezieht, dauert die Fahrt nur noch zehn Minuten. Weniger Stress für alle, auch für die Schweine. „Die sind ganz entspannt“, sagt der Meister und krault ihnen die Rüssel.
Der Tierarzt erscheint, das Schlachtvieh freizugeben. Hans Walther, 63, ist ein erfahrener Mann. Er kommt gern zu den Schicks. Keine „anonyme Bude“, wie er sagt. „Was hier am Haken hängt, ist aus der Region.“ Vor Ort aufgewachsen sind auch die fünf etwas dickeren Borstentiere im Geviert, die nicht von Bauer Minsel stammen. Schick schlachtet sie heute als Dienstleistung für Privatleute gleich mit. Dass einer sein Schwein im Waschhaus zu Wurst macht, wird immer seltener, sagt Doktor Walther. Das bringt viel Arbeit und viel Dreck. Beim Fleischer geht es schnell und hygienisch zu. „Da stimmt die Qualität.“
Die Lebendbeschau läuft glatt. Jetzt gehen Schicks Leute ans Werk. Gerd Günter steigt zu den Schweinen hinein und macht den Betäubungstrafo an der Wand betriebsbereit. Mit einer großen Zange, an deren Backen die Elektroden sitzen, pirscht er sich an das erste Tier heran. Arglos äugt es seinem Schicksal entgegen. Der Strom tritt hinter den Ohren ein. Das Schwein erstarrt, sackt zusammen. Drei, vier Sekunden, dann blinkt es am Trafo: Die Mindestbetäubungszeit ist erreicht. Fleischer Günter wechselt den Griff, setzt nun zwischen Kopf und Herz an, um sicherzugehen, dass das Hirn auch wirklich ausgeschaltet ist.
Nun hurtig! Die Betäubung hält nicht lange an. Die eigentliche Tötung, das „Stechen“, muss sofort erfolgen. Schnell wird das Tier am Hinterlauf angekettet und per Minikran in den Schlachtraum gehoben. Dort steht Till Giesel, 18, zweites Lehrjahr. Mit sicherer Hand stößt er zu, etwa einen Daumen breit vor dem Brustbein. Der Blutschwall, den das noch schlagende Schweineherz in den Bottich pumpt, ist enorm. Später wird Till das Blut rühren, mit bloßen Händen, um es weiterzuverarbeiten. Er hat damit kein Problem. Er findet es gut, zu wissen, wie man Lebensmittel herstellt. Und dass er das hier sogar für andere tut, das macht ihn ein bisschen stolz.
Dem Zaungast fällt es schwer, die Freude an der Arbeit nachzuvollziehen, hier, in dem kahlen, gekachelten Universum, angefüllt mit Edelstahl, Stallgeruch, Wasserdampf und dem Fauchen des Gasbrenners, der die letzten Borsten von abgebrühten Tierkörpern sengt. Gedärm wird ausgebreitet, von seinem Inhalt befreit, gewendet, eingesalzen, um die Wurstpelle von morgen zu werden. Oder von nächster Woche. Freilich, das alles ist nicht jedermanns Sache, sagen die Fleischer. Aber einer muss es ja machen, sagen sie.
Ob das Fleischerhandwerk sein Traumberuf ist, darüber denkt Thomas Schick nicht weiter nach. Er ist praktisch im Fleischerladen groß geworden. „Man wächst da rein.“ Beim Schlachten legt er selber kaum noch Hand an. Beim Wurstmachen schon. Alle Wurst geht durch seine Hände, sagt er. Und das soll so bleiben. Essen tut er sie natürlich auch, aber in Maßen. Wer ihn locken will, kann es ruhig auch mit Kuchen probieren. Oder mit einem Fisch. Aber den angelt er am liebsten selbst.