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Nach vergeblichem Arbeitskampf: Was ist aus den Waggonbauern in Niesky geworden?

Nicht jedem Angestellten gelang es bisher, eine neue Arbeit zu finden. Trotz Unterstützung durch eine Transfergesellschaft. Drei Beispiele stehen für eine ganze Belegschaft.

Lesedauer: 4 Minuten

Die langjährigen Waggonbauer Karsten Aey, Manuel Zaplata und Peter Jurke (v.l.). Mit der Lehrausbildung begann ihr Berufsleben in dem Nieskyer Werk, bis es vergangenes Jahr geschlossen wurde. © Fotos: André Schulze; Montage: SZ-Bildstelle

    Von Steffen Gerhardt

    Mit 62 Jahren sich noch in einen neuen Beruf einarbeiten, das ist ein hartes Brot, das Peter Jurke schneiden muss. Der Betriebsratsvorsitzende und Kolonnenführer für Projekte im ehemaligen Waggonbau Niesky ist nicht der Einzige, der von der Belegschaft auf der Suche nach einer neuen Arbeit ist.

    „Ich bin in einem schwierig zu vermittelnden Alter“, sagt der Nieskyer. 45 Jahre lang hat sich Jurke nur mit Güterwaggons beschäftigt. „Aus dem Schienenfahrzeugbau lässt es sich nicht so leicht in eine andere Branche wechseln“, ist seine Überzeugung. Zwar war er wie der Rest der Belegschaft, die nach der Werkschließung im August vergangenen Jahres übrig blieb, in einer Transfergesellschaft untergekommen. Aber diese Überbrückung dauerte nur vier Monate mit dem Ziel, auf einen neuen Job vorzubereiten und auch zu finden.

    Schwer zu vermitteln

    Peter Jurke hat bisher nichts Passendes für sich gefunden. „Seit 1. Mai bin ich ein Arbeitsloser, mal sehen, was der nächste Termin beim Arbeitsamt bringt.“ Dass seine Altersklasse schwierig ist, in eine neue Arbeit zu bringen, bestätigt Andrea Brustmann. Sie leitet den Dresdner Standort der Transfergesellschaft MyPegasus. „40 Prozent der von uns betreuten Mitarbeiter waren Ende 50, Anfang 60“, sagt sie. Ein Indiz dafür, dass im Vorfeld der Werkschließung sich vor allem die Jungen aus der Belegschaft um einen neuen Arbeitsplatz gekümmert hatten.

    Mit einer wöchentlichen Mahnwache vor dem Tor des Nieskyer Waggonbaus machten die Beschäftigten zusammen mit der IG Metall auf ihre prekäre Situation aufmerksam. Zudem forderten sie vom slowakischen Eigentümer Tatravagonka eine Perspektive für den Nieskye ©André Schulze

    Dazu kommt, was auch Peter Jurke ausspricht, dass sich nicht alle älteren Waggonbauer gern örtlich verändern möchten. „Wer drei Jahrzehnte mit dem Fahrrad auf die Arbeit kam, tut sich mit einem längeren Arbeitsweg schwer.“ Das ist auch seine eigene Erfahrung, so der Nieskyer. Trotzdem zieht Andrea Brustmann ein positives Fazit für die Gesellschaft. In zwei Durchgängen, jeweils über vier Monate, sind 155 Waggonbau-Beschäftigte auf ein neues Berufsleben vorbereitet worden. Am Ende fanden 109 Frauen und Männer in eine neue Beschäftigung. Das sind rund 72 Prozent. „Ein guter Wert, den wir durchschnittlich auch bei anderen Betriebsschließungen erreichen. Wobei das ländliche Gebiet weniger Möglichkeiten für eine Jobsuche bietet als die Ballungszentren“, erklärt Andrea Brustmann.

    Bei der Jobsuche wurde auf die Unternehmen um Niesky vor allem geschaut. Besonders die ausgebildeten Schweißer fanden schnell eine neue Stelle. Das geht aus der Statistik der Transfergesellschaft hervor. Einige Waggonbauer sehen sich in neuen Berufen wieder, wie Hausmeister, Lagerarbeiter, in der Behindertenhilfe, bei einem Entsorgungsbetrieb oder gar am Landgericht als Justizwachtmeister. „Der Großteil der vermittelten Personen ist im gewerblichen und produktiven Bereich geblieben. Selbstständig hat sich nur ein sehr geringer Teil gemacht, dieser liegt bei einem Prozent“, erläutert Andrea Brustmann.

    In der Region bleiben

    Einer von den 109 Personen ist Manuel Zaplata. Seit diesem Monat hat der Niesyker einen neuen Job. „Nicht mehr vor der Haustür, aber ich bleibe in der Region“, erzählt der 35-Jährige. Im Waggonbau lernte Zaplata Konstruktionsmechaniker, machte seinen Meisterbrief und war das letzte Jahr als Leiter für die gesamte Produktion im Werk verantwortlich. In fünfter und letzter Generation seiner Familie arbeitete der junge Mann in dem Traditionsbetrieb. Er gehörte mit zu den 20 Waggonbauern, die im Dezember endgültig das Licht ausmachten.

    Bei seinem neuen Arbeitgeber ist er im technischen Gebäudemanagement beschäftigt. Mehr will Herr Zaplata nicht verraten. Aber als Familienvater ist es ihm wichtig, dass es beruflich weitergeht. Wie er sagt, hat er sich diese Arbeitsstelle selbst gesucht und darauf beworben. „Das Angebot von der Transfergesellschaft ist für mich nicht befriedigend gewesen“, betont er.

    Viele Bewerbungen schreiben

    Für Karsten Aey ging die Job-Suche mit vielen Bewerbungsschreiben einher. „Aber nun habe ich einen neuen Arbeitsvertrag in Aussicht“, sagt der 51-Jährige. Der Nieskyer gehörte wie Manuel Zaplata mit zu den „Abwicklern“. Beide kamen erst im Januar in die Transfergesellschaft. Als das Werk noch produzierte, war Karsten Aey in der Instandhaltung tätig. 30 Jahre verbinden ihn mit dem Betrieb. Sein Vater, Günter Aey, bringt es auf 44 Jahre. Diese wollte der Sohn auch erreichen. Beide Männer sehen in dem letzten deutschen Produzenten von Güterwaggons ihr Lebenswerk.

    Wird nur noch ein Holzwaggon als Industriedenkmal an die Tradition im Schienenfahrzeugbau in der Stadt Niesky erinnern? Im Foto seine Umsetzung aus dem Betriebsgelände an die Muskauer Straße. ©André Schulze

    Nun wird sich Karsten Aey beruflich umorientieren. Aber solange er den Arbeitsvertrag nicht zur Unterschrift vorliegen hat, hält er sich mit Äußerungen zu seiner künftigen Tätigkeit bedeckt. Er verrät nur, dass er in einem Unternehmen bei Boxberg voraussichtlich anfangen kann.

    Dass vom einstigen Traditionsbetrieb mit über Tausend Beschäftigten nur ein hölzerner Güterwaggon übrig bleibt, schmerzt Vater und Sohn. „Ich finde es wichtig und gut, dass mit so einem Symbol an den einstigen Großbetrieb erinnert wird“, sagt Karsten Aey. Er meint damit „Egon“. Das ist der 1919 von der Firma Christoph & Unmack AG in Niesky hergestellte zweiachsige Güterwagen für die Bahn in Dänemark. Die Waggonbauer verpassten ihm diesen Namen mit Bezug auf die Olsenbande. Der Waggon wurde 2010 von der damaligen DB Waggonbau Niesky GmbH erworben und aus Dänemark zurückgeholt. Der Güterwagen zog im April vom Betriebsgelände an die Muskauer Straße um. Am neuen Standort soll er dafür sorgen, dass die Nieskyer Waggonbautradition in der Öffentlichkeit nicht vergessen wird.

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