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Ost-Chemie in der Krise: Stellenabbau, Kurzarbeit, Sorge um die Zukunft

Die chemisch-pharmazeutische Industrie in Mitteldeutschland steckt in einer Krise. Insbesondere die hohen Energiepreise machen der Branche zu schaffen. Was die Unternehmen jetzt von der Politik erwarten.

Lesedauer: 3 Minuten

Blick auf den Chemiepark Leuna
Blick auf den Chemiepark Leuna. Die Auslastung der Chemieanlagen am Standort ist auf unter 70 Prozent gesunken. Quelle: Horst Fechner

Andreas Dunte

Leipzig. Die Lage sei ernüchternd: „Die Beschäftigung in der ostdeutschen Chemie sinkt im vierten Quartal in Folge. Produktion und Kapazitätsauslastung liegen bei 73 Prozent“, sagt Fabian Hoppe vom Verband der Chemischen Industrie Nordost (VCI). „Die Situation ist prekär“, so sein Fazit.

In Mitteldeutschland sind die Auswirkungen bereits zu sehen. So hat sich der Betreiber des Chemieparks Leuna – die Infraleuna – einen Sparkurs verordnet, weil die Auslastung am Standort auf unter 70 Prozent gesunken ist. Rund 100 Stellen sollen abgebaut und Investitionen verschoben werden.

Kurzarbeit für 200 Beschäftigte bei Wacker Nünchritz

Im Chemiepark Leuna haben sich rund 100 Unternehmen angesiedelt, darunter viele mittelständische Firmen, aber auch international bekannte wie Linde, Leuna-Harze, Domo oder Topas.

Ernüchternde Nachrichten kommen auch aus Nünchritz im Landkreis Meißen. Das Chemieunternehmen Wacker hat sich entschieden, für einige Bereiche ab Januar kommenden Jahres bei der Agentur für Arbeit Kurzarbeit anzumelden. Betroffen seien rund 200 Beschäftigte, teilt eine Sprecherin mit.

Gründe sind die schwache Nachfrage nach Polysilizium für die Solarindustrie und die enormen Strompreise. Das Unternehmen versucht, den Schritt für die Betroffenen abzufedern: So will Wacker das Kurzarbeitergeld aufstocken. Nichtsdestotrotz werde man in Nünchritz in das Geschäft mit Spezialsiliconen weiter investieren.

Dow Chemical stellt Standorte auf den Prüfstand

Schlimmer könnte es die Produktionsstandorte von Dow Chemical im sächsischen Böhlen und in Schkopau in Sachsen-Anhalt mit zusammen rund 1600 Beschäftigten treffen.

Das US-amerikanische Unternehmen hat angekündigt, ausgewählte europäische Anlagen, hauptsächlich im Geschäft mit dem Kunststoff Polyurethan, einer strategischen Überprüfung zu unterziehen. In Schkopau und Böhlen stellt Dow unter anderem Basismaterialien für Polyurethanprodukte her, wie Sprecher Florian Hartling mitteilt. Dow betreibt Anlagen in diesem Segment an 14 Standorten im Wirtschaftsraum Europa, im Nahen Osten und in Afrika.

Die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Standorte sei in Gefahr durch die „im internationalen Vergleich hohen Energiekosten, zunehmende kostengünstige Importe nach Europa sowie eine anhaltend schwache Nachfrage“, so der Sprecher.

Wir hoffen sehr, dass die Politik in Berlin endlich den Ernst der Lage begreift.

Manuela Grieger, Betriebsratsvize bei Infraleuna

Er geht auch auf den Green Deal der EU ein: „Um in Europa in Richtung Dekarbonisierung zu investieren, benötigen wir eine Perspektive, langfristig wettbewerbsfähig in Europa zu produzieren“, so Hartling. Die aufgezeigten Rahmenbedingungen würden die zukünftige Geschäfts- und Transformationsfähigkeit erheblich einschränken, weil sie die Kosten weiter erhöhen. Bis Mitte 2025 will Dow eine Entscheidung fällen.

Haseloff ermahnt Brüssel zu handeln

Aus dem Chemiepark Bitterfeld-Wolfen bleiben aktuell Meldungen über Jobabbau oder Kurzarbeit aus. Es seien vor allem die Hersteller von Grundchemikalien, die Schwierigkeiten hätten, erklärt Chemiepark-Chef Patrice Heine. Die Herstellung von Vorprodukten sei besonders energieintensiv, sagt er. In Bitterfeld-Wolfen hätten sich überwiegend Unternehmen der Spezialchemie angesiedelt.

„Zufriedenstellend ist der Zustand aber keineswegs“, sagt er weiter. Die Stimmung in der Branche wirke sich langfristig auf das Investitionsverhalten in Deutschland aus.

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) hat den Ernst der Lage erkannt und suchte in dieser Woche in Brüssel das Gespräch mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU). Haseloff fordert Abstriche beim Green Deal der EU, der von den Mitgliedsstaaten verlangt, bis 2050 klimaneutral zu werden.

Chemieunternehmen könnten abwandern

Von der Bundesregierung verlangt er für die Industrie zudem die Aussetzung aller Umlagen und Abgaben auf Strom und Gas, eine Rückkehr zur Preisbremse und planbare Energiekosten. Andererseits befürchtet er, dass Chemieunternehmen aus Mitteldeutschland abwandern könnten.

Sachsen-Anhalt und Sachsen wären besonders betroffen: Ein Drittel der rund 55.600 Mitarbeiter in der ostdeutschen Chemiebranche ist in Sachsen-Anhalt beschäftigt, ein Fünftel in Sachsen. An den Chemiestandorten im Osten ging es nach der Wende stark bergab. Seit dieser Zeit steigt der Umsatz kontinuierlich: 2021 knackte er erstmals die 30-Milliarden-Euro-Schwelle.

„Wir hoffen sehr, dass die Politik in Berlin endlich den Ernst der Lage begreift“, sagt Manuela Grieger, stellvertretende Betriebsvorsitzende bei Infraleuna. Der verkündete Stellenabbau schmerze sehr, werde aber bei den Beschäftigten als Chance begriffen.

„Die Geschäftsführung versucht, die Kosten für sämtliche Dienstleistungen im Chemiepark zu drücken, um letztlich die Kunden am Standort zu halten. Wir ziehen mit“, erklärt sie.

Die Personalkosten seien aber nur ein Punkt. Wenn die Politik nicht endlich gegensteuere, gehe der Abwärtssog weiter, so die Arbeitnehmervertreterin. Sie verweist auf Entwicklungen an vielen anderen Chemiestandorten deutschlandweit. „Unternehmen kehren Deutschland den Rücken, Produktionsstätten drosseln ihre Produktion oder schließen. Das sind Alarmsignale – weiteres Wegducken kostet Arbeitsplätze.“

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