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Puffärmel, Sweater und die wilden Waldweiber

In Lübbenau verknüpft Modedesignerin Sarah Gwiszcz sorbische Trachtenelemente mit moderner Mode. Ihr Label „Wurlawy“ hat nun zehnten Geburtstag gefeiert.

Lesedauer: 4 Minuten

Eine junge Frau in auffälliger Mode steht im Zentrum von Lübbenau.
Ideen für ihre Mode zu finden, ist für Sarah Gwiszcz kein Problem: Die Inspiration liege vor der Haustür – eben in der sorbischen Lausitz. Foto: Matthias Schumann

Von Irmela Hennig

Lübbenau. Bei der Zugabe greift auch Sarah Gwiszcz zum Mikrofon. Gesellt sich zur Schülerband auf die „Bunte Bühne“, dem Kulturzentrum der Spreewaldstadt Lübbenau. Früher war hier mal ein Bahnbetriebswerk. Sie singen „What’s up“, den 90er-Jahre-Hit der längst aufgelösten Rockband „4 non Blondes“. Wo es heißt: „I said, hey, what’s going on“. – „Ich sagte, hey – was ist los, was geht?“ Bei Sarah Gwiszcz ist das eine Menge. Auch Musik, die sie mit dem Vater gemeinsam in einer Band macht. An diesem Abend aber geht es hauptsächlich um die Arbeit. Ein Netzwerktreffen der „Lausitz Frauen“ läuft. Gekommen sind rund 100 Brandenburgerinnen und Sächsinnen. Solche, die Firmen leiten, forschen, studieren, noch zur Schule gehen, im Ruhestand sind oder angestellt. Ihnen hat Sarah Gwiszcz gerade ihr Unternehmen vorgestellt. Die junge Frau, geboren in Lübben, aufgewachsen in Lübbenau, ist Modedesignerin. Vor wenigen Wochen hat ihr Betrieb Zehnjähriges gefeiert. Im März 2014 hatte die Absolventin der Berliner Akademie für Mode und Design gegründet. Vorausgegangen waren zwei Jahre Testphase, um zu erspüren, ob sich Kunden finden, für das, was Sarah Gwiszcz entwirft. Kleidung, Schmuck, Accessoires inspiriert vom Spreewald, seiner Flora und Fauna. Aber vor allem von der sorbischen Tracht. Von deren traditionellen Mustern, vom Blaudruck, von Samt und Spitzen. „Wurlawy“ heißt ihr Label. In der sorbischen Sagenwelt sind die „Wurlawy“ wilde Waldweiber. Nicht unbedingt freundliche Wesen, aber darauf bedacht, dass niemand zu lange arbeitet.

Tradition und Moderne
Ein paar Stunden vor dem Netzwerktreffen – ein Besuch in Sarah Gwiszczs Laden in Zentrum von Lübbenau. Beste Innenstadtlage sozusagen. In Sichtweite befinden sich Spreewald-Museum und Nikolaikirche. Schräg gegenüber die Tourist-Information, wo es neben Ausflugstipps und Landkarten auch Spreewaldgurken und aufwendig verzierte sorbische Ostereier gibt. Es genügt ein Blick in Sarahs Schaufenster und man bekommt mehr als eine Ahnung von den Ideen, die die Brandenburgerin umsetzt. Neben Modepuppen mit Hasenohren auf dem Kopf gibt es eine mit einer großen, flügelartigen Haube. Es ist die typische Kopfbedeckung für die Spreewälder Tracht. „Die wendische“, sagt Sarah Gwiszcz. In der Niederlausitz wird eher von Wenden als von Sorben gesprochen.
Im Geschäft selbst trifft modernes Design auf Tradition. Hängen Faltenröcke neben legeren Sweatern, Jäckchen im Bolerostil mit Puffärmeln neben T-Shirts. Manchmal ist es nur eine Kleinigkeit, die als Reminiszenz ans Wendische zu erkennen ist. Manchmal dominiert das Traditionelle. Die Farben sind oft kräftig. Dunkelblau und Grün, warmes Gelb, tiefes Rot und Pink. Die Grund-Idee für das, was sie bis heute macht, fand Sarah Gwiszcz während des Studiums. Sie hat damals teilgenommen an einem EU-geförderten Projekt namens „Sorbisch modern“. Es sei darum gegangen, Mode für junge Sorben zu entwerfen. Für die Studentin ein Aha-Erlebnis. „Ich habe gemerkt, das ist eine Marktlücke. Das macht noch niemand.“
Also ging die Lübbenauerin es an. „Ich habe mit einer Nähmaschine, einem Stoffballen und einem Schnitt-Tisch zu Hause angefangen“, erinnert sie sich. Zwar mit Förderung und Begleitung durch ein Gründerzentrum, aber wirklich in Eigenregie. Das klarzustellen, ist ihr wichtig. Denn nicht jeder habe ihr das so abgenommen. So ein junger Mensch, hieß es mitunter. Selbstständig, ohne einen starken Hintergrund-Strippenzieher? Es habe Leute gegeben, die sich das nicht vorstellen konnten. Deswegen nennt Sarah Gwiszcz ihr Alter heute nicht mehr. Diesem „so eine junge Frau, das kann doch nicht …“, will sie keine Nahrung geben. Sie nämlich kann. Gleich zu Beginn ihrer Unternehmerinnen-Tätigkeit hat sie sich auf der Berliner „Fashion Week“ präsentiert, einer der Höhepunkte in der deutschen Modeszene. Längst hat sie ihren Kundenkreis, einen Online-Shop, hat Angestellte auf Minijob-Basis. Entwickelt Kollektionen nicht den Gesetzen der schnellen Mode, der „Fast Fashion“ folgend, sondern „immer mal wieder“. Recycelt alte Schnitte. Probiert neue Farben aus. Sie kooperiert – zum Beispiel mit ehemaligen Klassenkameraden, die für sie Siebdruck machen. Den Schmuck einer früheren Mitschülerin hat sie im Verkaufssortiment.

Starkes Interesse an Politik
Als Kind habe sie Künstlerin werden wollen. Hat sich in ihrer Jugendzeit, in Jahren in der Punkszene, die Klamotten selbst genäht. Dann kam die Ausbildung; schließlich der Schritt in die Selbstständigkeit. Zu Beginn habe es durchaus Skepsis gegeben für Sarahs Art, mit der wendischen Tradition umzugehen. Unter anderem, weil sie Elemente aus dem mexikanischen Totenkult in ihre Entwürfe einbaute. Calaveras vor allem, Totenschädel. Sie sind in Mexiko Teil des Brauchtums um den Tag der Toten. Die, so der Glaube, kommen einmal im Jahr aus dem Jenseits zurück in die Welt, um zu feiern. Sarah Gwiszcz legte da hinein ihre Idee von der „Wiederauferstehung der Tracht“.
Wobei sie keine neuen Trachten an sich entwirft, sondern Elemente aufgreift. Im Atelier, das hinter dem Laden seinen Platz hat, entstehen die Projekte. Ideen finden, das sei kein Problem. „Ich habe die Inspiration vor der Haustür“, erzählt Sarah Gwiszcz. Sie habe nie Fernweh gehabt. Wollte sich nach dem Studium nicht zu den „vielen guten Modedesignern“ in Berlin gesellen, sondern zurückkommen. Hier ist die Familie. Der Vater, mit dem sie Musik macht. Die Mutter, die ihre Kreativität immer gefördert habe. Mit der sie zusammen Klavier gelernt hat.
Und die Kundschaft. Die reiche von Kleinkindern bis hin zu 80-Jährigen. Es gibt etwas für Schulabschluss-Bälle, fürs Büro, für Touristen, die gern mit sorbischen Motiven bedruckte Textilien als Souvenir mitnehmen. Fährfrauen kleiden sich hier ein, die Kähne durch die Spreewaldfließe steuern. Und es gibt Maßanfertigungen nach Sarahs Design für Feste bis hin zum Hochzeitskleid. Ihr eigenes hat die seit 2020 verheiratete Lübbenauerin auch selbst entworfen. Und jetzt? Mit „auf die nächsten zehn“ haben manche beim Jubiläum gratuliert. Doch Sarah Gwiszcz denkt über neue Schritte nach. „Ich interessiere mich stark für Politik, ich möchte mich da mehr einsetzen.“ Wie konkret, das überlege sie noch. Ein Thema, das ihr auf dem Herzen liegt, sei der „Mutterschutz für alle“. Den gebe es für selbstständige Frauen, die Kinder bekommen, bislang so nicht. Zugleich gehe es um eine solidarische Finanzierung der Mutterschaftsleistungen. Ein Verein möchte hier etwas bewegen. Und Sarah Gwiszcz sieht für sich einen Ansatzpunkt, da anzupacken.

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