Der junge Mann, der zur Caritas-Schuldnerberatung in der Nähe des Meißner Hauptbahnhofs kam, hat ein großes Problem. Sein Geld reicht nicht mehr aus, um die vielen Rechnungen zu bezahlen. Sie stapeln sich in einem großen Karton, gemeinsam mit den Mahnbriefen der Gläubiger. Die letzten sogar ungeöffnet. Die Mahnbriefe werden immer eindringlicher, Inkassobüros drohen ihm. Jetzt ist er auch noch mit der Miete in den Rückstand geraten. Der junge Mann ist geschieden, hat aber einen Job. Doch statt auf den teuren 75-Zoll-UHD-Fernseher zu sparen, kauft er ihn sich auf Raten. Das Macbook ebenso und auch den edlen Jura-Kaffeevollautomaten. Die teure Reise mit der neuen Freundin musste ebenfalls sein. Jetzt droht wegen der Mietrückstände der Rauswurf aus der Wohnung .
Unangemessenes Konsumverhalten, nennen das die Experten. Ich leiste mir etwas, was ich mir gar nicht leisten kann. Thomas Schulz, Prokurist der Wirtschaftsauskunftei Creditreform, kommentiert das so: "Günstige Ratenzahlungsmöglichkeiten suggerieren den Kunden Zahlungsfähigkeit." Doch sie binden ihn jahrelang und eine Veränderung der Lebenssituationen kann dann schnell schlimme Folgen haben. Trotz der aktuell niedrigen Zinsen.
Der junge Mann aus Meißen ist daher kein Einzelfall. Etwa jeder elfte Bewohner im Landkreis Meißen über 18 Jahren ist überschuldet. Überschuldung heißt, dass die flüssigen Mittel einer Person nicht ausreichen, um seine Ausgaben zu decken. Fast zwei Drittel der überschuldeten Personen sind Männer, allerdings betreffen laut Creditreform fast alle neuen Überschuldungsfälle Frauen. Auch die Altersüberschuldung nimmt zu.
Im Verhältnis zum Bundesdurchschnitt geht es dem Kreis Meißen recht gut. Dennoch sind insbesondere in den Städten im Landkreis – mit Ausnahme von Radebeul – viele Menschen überschuldet, wie aus dem aktuellen Schuldneratlas der Wirtschaftsauskunftei Creditreform hervorgeht. Mit Abstand am stärksten betroffen ist die Stadt Meißen mit einer Schuldnerquote von 15,7 Prozent. Die Quote ist dabei der Anteil der überschuldeten Personen im Verhältnis zu allen volljährigen Einwohnern einer Stadt oder Gemeinde. Hinter Meißen landen Riesa, Großenhain und Strehla. Thomas Schulz hat dafür eine einfache Erklärung. "In Städten sind die Lebenshaltungskosten höher als auf dem Land", sagt er. Die Mieten sind höher, das Angebot zum Geldausgeben ist größer. Die Preise für Lebensmittel und Kleidung steigen oft schneller als die Einkommen. Auf dem Land hingegen ist die Eigentumsquote an Wohnimmobilien höher, viele der Häuser sind bereits abbezahlt und die Menschen sind vermutlich traditionell sparsamer. Eine weitere Erklärung könnte auch der Zuzug von Flüchtlingen sein, sich ja eher in Städten niederlassen als auf dem Land.
Am besten schneiden im Landkreis Meißen die Gemeinden Moritzburg (4,51 Prozent) und Weinböhla (5,93) sowie die Stadt Radebeul (6,51) ab. Alle drei Kommunen gelten als attraktive Wohngegend mit einer finanzkräftigen Einwohnerschaft.
Die Hauptgründe für die Überschuldung sind deutschlandweit Arbeitslosigkeit (20 Prozent), Trennung oder Scheidung (13 Prozent), Krankheit (16 Prozent), eine schlechte Haushaltsführung (13 Prozent) und gescheiterte Selbstständigkeit (8 Prozent). Zunehmend lösen auch Faktoren wie Sucht oder Unfälle eine Überschuldung aus.
Vergleicht man die letzten 14 Jahre, hat sich die Schuldnerquote im Landkreis etwas erhöht. Doch es gibt große lokale Unterschiede. In Weinböhla hat sich die Quote am deutlichsten verbessert, während sie sich in Meißen am weitesten verschlechtert hat. Gründe dafür liegen nicht so einfach auf der Hand, denn die Beschäftigungs- und Einkommenssituation hat sich in beiden Kommunen positiv verändert. Möglicherweise spielt aber die eher ländliche Struktur in Weinböhla und der Zuzug finanzkräftiger Dresdner eine große Rolle. Der Wohnort ist beispielsweise bei einer Kreditvergabe wichtig. Kredite bis etwa 100000 Euro werden von den Banken automatisch vergeben. Computer entscheiden darüber, nicht Menschen. Wer in Weinböhla oder Moritzburg in einem Gebiet der Risikoklasse eins wohnt, hat es da viel leichter als jemand, der in Meißen (Risikoklasse acht) oder Riesa (Risikoklasse sieben) wohnt.
Überschuldete wie der junge Mann aus Meißen müssen nicht verzagen. Ist die Lage noch nicht ganz hoffnungslos, können die Verbraucherberater ihm helfen, aus eigener Kraft die Schulden wieder loszuwerden. Meist durch Absprachen mit den Gläubigern und einer fortan disziplinierten Haushaltsführung. Wenn gar nichts mehr geht, hilft die Verbraucherinsolvenz. Sie bietet die Möglichkeit zum finanziellen Neuanfang. Mindestens drei Jahre muss sich die Person an Auflagen halten. Danach wird der Schuldenrest erlassen.
Von Theresa Hellwig und Ulf Mallek
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