Von Georg Moeritz
Freiberg/Dresden. Helm auf, Schutzmaske vor Mund und Nase: Wer einen Recyclingbetrieb mit Bleischmelzöfen und 200 Meter hohen Schornsteinen besichtigen will, der muss Sicherheitskleidung samt Brille anziehen. Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) ließ sich in dieser Woche in fünf sächsischen Unternehmen zeigen, wie Kreislaufwirtschaft funktionieren kann. Der größte Betrieb: Ecobat im Freiberger Industriegebiet Muldenhütten. Dort kippen Lieferwagen ausgediente Autobatterien aus ganz Deutschland und Benelux über eine Rampe. Etwa fünf Millionen Blei-Säure-Batterien kommen dort pro Jahr an, von Autowerkstätten und Schrottplätzen.
Blei aus Autobatterien wird in Freiberg zu großen Barren
Ecobat in Freiberg ist Deutschlands drittgrößte Bleihütte. In einer Halle stapeln sich saubere Barren zu je 45 Kilo, getrennt nach ihren Legierungen je nach Kundenwunsch – auch „Zinnblei“ und „Kalziumblei“ steht auf Tafeln über den Endprodukten. Um sie herzustellen, werden die alten Blei-Säure-Batterien erst einmal in einer Hammermühle zerkleinert.
Herz der Anlage an dem Jahrhunderte alten Hüttenstandort sind 13 Kessel zum Bleigießen – für je 100 Tonnen Gewicht. Rot leuchtet die runde Öffnung eines solchen Ofens, dann ergießt sich ein orangefarbener Schwall in einen großen Tiegel. Ist er voll, fährt er auf Schienen zur Seite und macht dem nächsten Platz. Wer hier arbeitet, trägt einen Helm mit Visier und Luftschlauch.
142 Menschen arbeiten bei Ecobat in Freiberg, einer „Sekundärbleihütte mit angeschlossener Sondermüllverbrennungsanlage“. Schwefelsäuren und Metalle werden hier getrennt. Säuren gehen in die Glas- und Chemieindustrie. 18.000 Tonnen Sonderabfall pro Jahr werden im Industriegebiet Muldenhütten bei 260 Grad verbrannt, zum Beispiel Lösemittel, Lackabfälle, Laborchemikalien. Die Asche muss auf eine Deponie.
Die Kunststoffhüllen der Batterien aber werden zu Granulat zerkleinert, berichtet Geschäftsführer Martin Fischer. Sie sind meistens aus Polypropylen, das Ecobat wieder an Autoteile-Hersteller liefert – sie machen daraus zum Beispiel Kabelträger oder Unterbodenschutz. Fischer sagt, so gut wie alle Autostarterbatterien fänden den Weg zum Recycling. Von 200.000 Tonnen Gewicht in Deutschland pro Jahr kommen etwa 60.000 nach Freiberg. Fast alles werde wiederverwendet. Ecobat liefert das Blei wieder an Batteriehersteller.
Die Freiberger sind stolz auf neue Anlagen zur Nutzung der Abwärme aus der Blei-Kristallisation. 40 Prozent seines Stromverbrauchs deckt Ecobat in Freiberg aus der Abwärme. Für die Bleischmelze aber verbrennt das Unternehmen Koks und Gas. Bis zu 20 Prozent Wasserstoff-Einsatz könnte künftig möglich werden, sagt Fischer. Der Betrieb Ecobat Recources Freiberg mit 167 Millionen Euro Umsatz im vorigen Jahr gehört zu einem Konzern mit Sitz in Dallas, Texas, und hat mehrere Schwesterfirmen in Europa.
Wer das Gold aus ungenutzten Corona-Tests bekommt
Deutlich kleiner ist der Betrieb der Chemikerin Karin Jacob-Seifert mit ihren 38 Mitarbeitern. Am Eingang hängt ein Schild: „Das illegale Ablagern von Abfällen ist verboten.“ Doch die FNE-Entsorgungsdienste Freiberg nehmen Eimer mit Farbresten an. Schließlich hat das Unternehmen sich die Internetadresse problemabfaelle.de gesichert. Bei der Führung durch den Betrieb berichtet Jacob-Seifert aber von wertvolleren Resten: von Gold und Platin und dem Element Gadolinium – das gehört zu den seltenen Erden. Das Material ist sonst fast nur in China zu bekommen. In der Medizin wird es als Kontrastmittel gebraucht.
FNE in Freiberg gewinnt pro Jahr acht bis zehn Tonnen Gadolinium aus Altmedikamenten – und 150 Kilo Platin. Der Betrieb bekommt Arzneipackungen aus Leipzig und Dresden, aus Griechenland und Israel. Es sind Medikamente, die übrig geblieben sind oder Produktionsrückstände. Studenten helfen, die Kartonpackungen zu entfernen. Gold findet sich in unbenutzten Corona-Tests von Roche.
In dem Recyclingbetrieb drehen sich Glaskolben, die groß wie Medizinbälle sind. Ein Zweikammerofen trennt bei 500 Grad Edelmetalle ab, organisches Material verglüht. Giftige Gase werden nachverbrannt, berichtet der Prokurist Martin Seifert, Sohn der Geschäftsführerin. Er freut sich, gute Kunden in der Nähe zu finden: Gold und Platin nimmt Saxonia Edelmetalle in Halsbrücke ab, Arzneirohstoffe gehen etwa zu Arevipharma in Radebeul und Menarini in Dresden.
Chefin Jacob-Seifert sagt, das Recycling helfe, unabhängiger von asiatischen Herstellern zu werden. Sie überreicht Dulig einen gut verpackten kleinen Klumpen Gallium, den ersten Abstich aus diesem Jahr. Das Material für die Mikrochip-Industrie könnte an FCM Freiberger Compound Materials verkauft werden, FNE hat als Ziel zwei Tonnen Liefermenge pro Jahr. Die Firmenchefin betont aber, Recycling sei kein Wunderprozess: „Irgend etwas bleibt immer übrig.“ Manche Reststoffe könnten nur „thermisch verwertet“ werden.
Radebeuler Erfindung: Blitze unter Wasser spalten Material
Ganz ohne Chemie möchte Stefan Eisert beim Recycling auskommen. Eisert ist Geschäftsführer des Radebeuler Anlagenbau-Betriebs Impulstec mit 22 Mitarbeitern. Die Erfindung von Impulstec: Schockwellenzerkleinerung.
Die Radebeuler erzeugen elektrische Entladungen. Diese Blitze können unter Wasser Schockwellen auslösen, die feste Materialien voneinander trennen. Galvanisierte Kunststoffe etwa lassen sich laut Impulstec „sauber entschichten“. Eisert berichtet, über die Anzahl der Schockwellen lasse sich der Zerlegungsgrad einstellen. Kunden schicken Testmaterial, Impulstec verbessert damit die Anlagen.
Die ersten zehn Schockwellenzerkleinerungsanlagen aus sächsischer Produktion sind ausgeliefert, berichtet Eisert. Die nächste bekommt der Armaturen-Hersteller Hansgrohe. Er braucht sie zum Recyceln von Duschköpfen, die nicht perfekt geraten sind. Eisert weiß, dass es viele kleinere Galvanikbetriebe gibt, die sich nicht alleine eine solche Anlage leisten werden. Doch er plant eine, die von mehreren Lieferanten der Autoindustrie gemeinsam genutzt werden kann.
Die Radebeuler Schocktechnik funktioniert am besten, wenn sehr unterschiedliche Materialien zu trennen sind. Auch mit alten Handys hat Eisert experimentiert. Darin stecken teure Rohstoffe, doch nach seinem Eindruck würden nicht genügend Handys zum Auslasten einer Anlage zusammenkommen. Zerlegen in Handarbeit in Osteuropa sei üblich, sagt der Geschäftsführer. Schreddern sei bei Geräten mit Akkus wegen Brandgefahr nicht möglich. Der Sondermaschinenbauer arbeitet auch daran, die Materialien von Solarmodulen zu recyceln. Für die Radebeuler Technologie müssen sie dazu aber erst in kleine Stücke zerteilt werden.
So kompliziert ist Kreislaufwirtschaft in der Solar-Industrie
Das Freiberger Unternehmen Luxchemtech dagegen möchte Fotovoltaikmodule möglichst zerlegen und die einzelnen Materialien verwerten. In den Hallen nahe der Solarmodulfabrik von Meyer Burger stehen Geräte, die mit „Siebkugelmühle“ oder „Taumelsieb“ beschriftet sind. In einem Vertrag mit Meyer Burger haben die Luxchemtech-Geschäftsführer Ingo Röver und Wolfram Palitzsch in dieser Woche vereinbart, gemeinsam „einen Großteil der Abfälle aus der Produktion“ wieder dem Stoffkreislauf zuzuführen.
Dabei geht es zunächst um Glas, Folien, Aluminium und Zellbruch aus der Fabrik – noch nicht ums Recycling alter Module. Minister Dulig durfte beim Firmenbesuch per Knopfdruck ein Förderband zu einer neuen Anlage in Gang setzen: Der Querstromzerspaner, eine Art Mühle, zerkleinert Folien, die Drähte enthalten. Weder Rotorscheren noch eine Hammermühle konnten diese Materialien gut trennen, sagt Röver. Die Maschine müsse weiter verbessert werden.
Im nächsten Jahr will Luxchemtech eine Demonstrationsanlage in Tangerhütte in Sachsen-Anhalt in Betrieb nehmen, die ganze Module verarbeitet – Teil eines geförderten Gemeinschaftsprojekts namens Photorama. In dem Zweigbetrieb arbeiten drei der 19 Mitarbeiter des Unternehmens. Geschäftsführer Palitzsch berichtet von den Tücken der Technik: Selbst wenn die Glasscheiben der Solaranlagen sich recyceln lassen, sind sie zu zerkratzt für neue Fotovoltaik-Anwendungen. Sie taugen noch für Buswartehäuschen oder Gewächshäuser.
Luxchemtech hat auch Schmelzanlagen für Silizium, übernommen von ehemaligen Unternehmen Solarworld. Die Freiberger stellen aber kein so reines Silizium her, dass es für die Fotovoltaikbranche infrage käme, sondern liefern es zum Beispiel zur Beschichtung von Architekturglas. Laut Palitzsch ist es zurzeit auch schwer, Investoren für die Recyclingtechnik zu finden – sie würden von Subventionen der USA angelockt. Aus Europa kämen zunächst wohl auch keine ausreichenden Mengen, um eine Anlage ständig zu betreiben.
Wie Holypoly aus Dresden Firmen das Recycling beibringt
Viele junge Leute, viele bunte Kunststoffe – der Firmenname Holypoly GmbH hält, was er verspricht. Der Name bedeutet so viel wie heiliger Kunststoff. Geschäftsführerin Johanna Bialek sagt, sie finde Plastik grundsätzlich gut. Das Material sei beständig und leicht zu recyceln – man müsse es nur machen. Weil selbst große Konzerne sich nicht daran wagen, wollen die Dresdner ihnen nach Art einer Agentur dabei helfen.
„Wir organisieren die Rücknahme und verhindern Restmüll“, sagt Fridolin Pflüger, ebenfalls Geschäftsführer von Holypoly. Mit den Marken Nuk für Schnuller, Mattel für Spielzeug und Lamy für Schreibgeräte sei das schon gelungen: Holypoly stellte auffällige Sammelbehälter in Schulen und Kindergärten auf. Lamy werde aus dem gesammelten Kunststoff Farbmalkästen herstellen, sagt Bialek.
Holypoly hat gerade neue Räume in Dresden nahe dem Drewag-Kühlturm bezogen und Maschinen zum Zerkleinern von Plasten aufgestellt – und zum Herstellen von Klötzchen in Form von Legosteinen. Sie sind allerdings zweifarbig marmoriert und sollen so möglichen Kunden zeigen, was mit Recycling möglich ist. Die Dresdner sammeln gerade Geld für weitere Demonstrationsgeräte, obwohl sie ihre Zukunft nicht hauptsächlich in der Produktion sehen. Sie wollen Konzerne beim Thema Kreislaufwirtschaft beraten, zu Kommunikation, Recht und Logistik. „Wir schaffen einen Wert für die Marke“, sagt Pflüger. In zwei Jahren sollen aus 25 Mitarbeitern 37 werden.
Minister Dulig freute sich über die Vielfalt der Recycling-Betriebe. Er sagte, die sächsischen Unternehmen sorgten dafür, „dass Abfall nicht mehr ein Umweltproblem ist, sondern Teil der Lösung“. Das Bewusstsein dafür in den Betrieben wachse. Und das sei auch nötig: Innovative Produkte von heute, etwa Lithium-Batterien, dürften nicht zu einem Entsorgungsproblem von morgen werden.
Voriges Jahr hatte Dulig die neue sächsische Rohstoffstrategie vorgestellt. Sie konzentriert sich auf die Stärkung des einheimischen Bergbaus und auf Recycling. Unternehmen der Branche arbeiten im Innovationscluster „Circular Saxony“ zusammen, das vom Staat gefördert wird und neue Kreislaufwirtschaftskonzepte entwickeln will. Dulig sagte, es werde aber auch künftig einen Abbau von Rohstoffen geben. Es sei eine schöne Illusion, dass sich alles mit Kreisläufen erledigen lasse.