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Sachsens Energiewirtschaft widerspricht Kretschmer beim Klimaziel

Sachsens Ministerpräsident plädiert dafür, das Ziel der Klimaneutralität auf 2050 zu verschieben. Die Energiekonzerne Envia-M und VNG halten davon wenig, wie eine Tagung in Leipzig zeigte.

Lesedauer: 4 Minuten

Ulrich Langer

Es ist zum Verzweifeln: Explodierende Energiepreise haben das traditionsreiche erzgebirgische Emaillierwerk Omeras an den Abgrund gedrängt. „Liquidität fehlt dem Betrieb, es droht die Insolvenz“, berichtet Thomas Kunzmann am Dienstag auf einer Tagung „Zukunft der Infrastrukturentwicklung“ in Leipzig.

Der Bürgermeister der Kleinstadt Lauter-Bernsbach bei Aue zeigt sich ratlos. „Hilfe ist nicht in Sicht“, sagt er auf der Veranstaltung des Kompetenzzentrums Öffentliche Wirtschaft, Infrastruktur und Daseinsvorsorge (KOWID) der Universität Leipzig. „Innerhalb eines Jahres kamen auf die Firma 800.000 Euro Mehrkosten für Energie zu.“ Eine Größenordnung, die für das Unternehmen mit seinen 150 Mitarbeitern faktisch nicht zu stemmen ist. Im März startete Omeras ein Sanierungsverfahren in Eigenregie. Kunzmann rechnet mit dem Schlimmsten. Das wäre das Aus für den Standort, an dem seit 1838 Metall im Emaillierverfahren veredelt wird.

Klimaneutral – das ist super positiv, weg von Öl, Kohle und Gas. Das ist eine irre gute Aufgabe. – Stephan Lowis, Vorstandsvorsitzender des regionalen ostdeutschen Energieversorgers EnviaM

Der Bürgermeister stößt dabei auf offene Ohren. Schließlich geht es in einer der Podiumsdiskussionen auf der Tagung um die Energiewende und die Frage, ob sie eine Neujustierung brauche. „Das zwar nicht, aber eine permanente Nachjustierung“, meint Ina Klemm, Mitglied des sächsischen Landtages sowie energie- und klimaschutzpolitische Sprecherin der CDU-Fraktion.

Ähnlich sieht es Ines Zenke. Die Professorin ist Präsidentin des SPD-Wirtschaftsforums und verweist auf Frankreich. Dort habe sich der Präsident eingeschaltet und „einen speziellen Industriestrompreis aufgelegt“. Das sei ein Weg, um „wichtige Branchen im Land zu halten“. Allerdings ist die Energiewende ein viel umfangreicheres Aufgabenpaket. „Zu welchen Kosten können wir den Kohlendioxid-Abbau vorantreiben?“, fragt Andreas Fritz in die Runde, der an die 100 Interessierte im Haus der Sächsischen Aufbaubank – dem Gastgeber der Tagung – folgen.

VNG und Envia-M halten am Klimaziel 2045 fest

„Das Ziel, klimaneutral zu werden bis 2045, ist sehr gut“, fügt der Geschäftsführer der VNG Innovation GmbH hinzu, einer Tochter der Leipziger VNG-Gruppe, einem Unternehmensverbund für Gas und Gasinfrastruktur. Dem stimmt auch Stephan Lowis, Vorstandsvorsitzender des regionalen ostdeutschen Energieversorgers EnviaM mit Hauptsitz in Chemnitz, zu. „Klimaneutral – das ist super positiv, weg von Öl, Kohle und Gas. Das ist eine irre gute Aufgabe.“ Dabei hätten die Akteure der Branche viele Ideen. „An die 150 Milliarden Euro an Kosten könnten damit aus dem System genommen werden.“ Aber es werde nicht getan. Lowis fordert zum Beispiel die Beteiligung der Stromeinspeiser an den steigenden Netzkosten. Er ist überzeugt: „Dadurch bricht der Markt der erneuerbaren Energien nicht gleich weg.“

Stefan Lowis, Vorstandsvorsitzender der Envia-M-Gruppe, betonte auf der Kowid-Tagung zur Zukunft der Infrastrukturtagung in Leipzig, auch weiterhin am Klimaziel 2045 festhalten zu wollen.
Stefan Lowis, Vorstandsvorsitzender der Envia-M-Gruppe, betonte auf der Kowid-Tagung zur Zukunft der Infrastrukturtagung in Leipzig, auch weiterhin am Klimaziel 2045 festhalten zu wollen.
Quelle: Oliver Rottmann/PR

Lowis und Fritz widersprechen damit Michael Kretschmer, der kürzlich in einem Interview mit der Wirtschaftswoche dafür plädierte, das Erreichen des Ziels der Klimaneutralität von 2045 auf 2050 zu verschieben. „Es reicht, wenn Deutschland 2050 klimaneutral wirtschaftet. Gerade wenn wir wieder auf Wachstumskurs kommen wollen, sind Energiesicherheit und -preise zentral“, sagte Kretschmer dort.

Unabgestimmtes Vorgehen erschwert Energiewende

Ein weiteres Hindernis, das eine schnellere Energiewende behindert, ist nach Ansicht der Experten ein verwaltungstechnisches. Zenke stellt das recht plastisch dar. „Eine Firma will einen Standort zukunftsgerecht gestalten, hat bereits das alte Kohlekraftwerk abgebaut und auch sonst ist alles soweit ok. Und dann kommt der Umweltschutz und monatelange Diskussionen beginnen.“ Umweltprüfungen stärker zu standardisieren, sei dringend geboten, meint denn auch Christoph Ploß, CDU/CSU-Bundestagsmitglied. „Sonst fließen Gelder nicht zügig in die Projekte, sondern zu sehr in deren Vorbereitung und Planung.“ Langwieriges Prozedere verzögere alles nur unnötig. Das könnte bei der Bevölkerung demokratische Abläufe diskreditieren und den Reiz autoritärer Systeme verstärken, mahnt der Politiker.

Unabgestimmtes Vorgehen ist auch nach Ansicht vom Geschäftsführer der Leipziger Stadtwerke, Maik Piehler, ein Hemmschuh. Es gebe viele gute Ideen der kommunalen Wärmeplanung, „aber unabhängig davon werden zahlreiche andere Dinge gefördert, etwa in einem Fernwärmegebiet die Installation von Wärmepumpen“.

Unternehmen pochen auf verlässliche Energiepolitik

Envia-M-Chef Lowis spann den Faden noch weiter. „Was wir brauchen sind verlässliche Rahmenbedingungen. Wenn die stehen, dann gehen wir als Firma auch ins unternehmerische Risiko.“ Mit jeder neuen Bundesregierung bestehe die Gefahr, dass sich Grundlegendes ändert. „Wenn die Energie für viele Kunden zu teuer ist und die Politik darauf mit bestimmten Maßnahmen reagiert, müssen wir ebenfalls gegensteuern.“ Aber ob dann auf Dauer die zuletzt eingestellten 500 neuen Mitarbeiter zu halten seien? Hintergrund ist, dass die neue Bundesenergieministerin Katherina Reiche den Ausbau der Erneuerbaren Energien auf den Prüfstand stellt, damit der notwendige Netzausbau Schritt halten kann.

Klemm beklagt zudem einen viel zu hohen bürokratischen Aufwand in Deutschland. „Wir müssen in Deutschland endlich stärker das Deregulierungspotenzial heben und so deutlich Kosten sparen, also Bürokratie abbauen“, meint denn auch Jan Schnellenbach, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus. Geld sei im Lande durchaus vorhanden.

Allerdings werde es oftmals falsch eingesetzt. Im Durchschnitt vergehen für ein Schienenprojekt 25 Jahre. „Im Durchschnitt. Und das ist auch bei Autobahnvorhaben so, und zwar in allen Regionen des Landes.“ Künftig sollten zu Beginn eines Planungsverfahrens alle Dinge auf den Tisch gepackt und dann ein Stichtag festgelegt werden, wonach „nunmehr keinerlei Änderungen oder Einklagen mehr möglich sind“, so Ploß. Am Ende müsse insgesamt schneller geplant und gebaut werden und damit sparsamer.

Roland Kochs Ratschläge zum Sparen

Dies fordert auch Parteifreund Roland Koch. Der ehemalige hessische Ministerpräsident und heutige Vorsitzende der Ludwig-Erhard-Stiftung sprach in seiner Keynote von Deutschland als einem Land mit „wettbewerbsgefährdend hoher Steuerquote und einer wettbewerbsgefährdend schlechten Infrastruktur“. Die Folge sei ein unzureichendes Produktivitätswachstum. „Wir müssen aufhören mit sinnloser Geldverschwendung“, fordert Koch.

Roland Koch, ehemaliger Ministerpräsident von Hessen, bezeichnete Deutschland in seiner Keynote als Land mit einer „wettbewerbsgefährdend schlechten Infrastruktur“.
Roland Koch, ehemaliger Ministerpräsident von Hessen, bezeichnete Deutschland in seiner Keynote als Land mit einer „wettbewerbsgefährdend schlechten Infrastruktur“.
Quelle: IMAGO/Future Image

Es gehe immer um die Frage, „was eine rentierliche Investition ist“. Dabei seien wirtschaftliche und soziale Effizienz in Einklang zu bringen. Und mit Bezug auf die Infrastruktur fügt er hinzu: „Wie mache ich aus einem Euro Fördermittel viele Euros, die auf die Straße kommen?“ Dabei sei eine Kombination von privatem und öffentlichem Engagement erforderlich. Mehr Tempo sei in der Umsetzung von Projekten nötig. „Um etwas neu zu bauen, muss nicht immer ein architektonisches Meisterwerk angestrebt werden.“ In Hessen sei dies praktiziert worden, indem etwa verschiedene neue Schulen gleich gestaltet wurden – die gleichen Eingangsbereiche, die gleichen Türen und so weiter. Das spare Geld. Koch spricht hier von seriellem Bauen, dem mehr Raum gegeben werden sollte.

SZ

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