Michael Rothe
Sachsens Handwerk drohen die Leute auszugehen. „Es mangelt nicht nur an ausreichend Lehrstellenbewerbern, sondern auch an bereits qualifizierten Mitarbeitern“, sagt Uwe Nostitz, Präsident des Sächsischen Handwerkstags. Laut dem Fachkräfte-Monitoring der sächsischen Wirtschaft seien Facharbeiter und Gesellen mit Abstand die meistgesuchten Arbeitskräfte, entfalle auf sie branchenübergreifend nahezu jede zweite offene Stelle, so das Sprachrohr von knapp 55.000 Handwerksbetrieben mit etwa 280.000 Beschäftigten. Um ein „Fachkräfte-Fiasko“ in naher Zukunft auszuschließen, sei es „an der Zeit, jetzt entschlossen zu handeln“, appelliert Nostitz an die Landespolitik. Seine Forderung: Schulische Allgemeinbildung und duale Berufsbildung nachhaltig stärken und als Kernthema im Koalitionsvertrag der Landesregierung verankern! Bildung und Qualifizierung seien „Grundpfeiler einer prosperierenden, zukunftsweisenden Gesellschaft“.
Fachkräftemangel ist nicht nur demografisch bedingt
„Um das gesellschaftliche Ansehen von Berufsbildung ist es in Deutschland nicht gut bestellt“, räumt Nostitz ein. Noch seien viele Klischees zu handwerklichen Berufsbildern und Karrierewegen im Umlauf, die junge Menschen von einer dortigen Laufbahn abhielten. Noch seien Oberschulen, von denen 80 Prozent der Azubis im Handwerk kommen, „als Resterampe verrufen“. Schulabgänger von Gymnasien zögen es vor, zu studieren, anstatt in einer dualen Berufsausbildung zunächst einen Beruf zu erlernen. Dennoch würden jährlich etwa 30 Prozent ihr Studium abbrechen. „Es ist keineswegs nur demografisch bedingt, wenn im sächsischen Handwerk jedes Jahr mehrere Hundert Lehrstellen unbesetzt bleiben“, sagt Sachsens Oberhandwerker. Es brauche eine qualifizierte und praxisbezogene Berufsorientierung an Oberschulen und Gymnasien und strengere Zulassungskriterien fürs Studium.
Nostitz, Inhaber einer Baufirma im Landkreis Bautzen, sieht für die künftige Landesregung mehrere Handlungsfelder, denn Bildung sei Ländersache. Oberschulen und Berufsschulzentren müssten in Stadt und Land gleichermaßen „als Talentschmieden“ gestärkt und entsprechend materiell und personell ausgestattet werden – auch um dem dramatisch zunehmenden Ausfall zu begegnen. Im vergangenen Schuljahr waren es 1,7 Millionen Unterrichtsstunden, „ein trauriger Rekord“ – neben bereits 100.000 planmäßig gekürzten Stunden.
Sanierung der Berufsschulstandorte, Investitionen in die Bildung statt Rotstift und alles zu tun, um das Image von Berufsschullehrern aufzuwerten, sind weitere Forderungen des Handwerks. Immerhin schieden bis 2030 zwei Drittel der Lehrkräfte altersbedingt aus, so Nostitz. Dem müsse auch mit mehr Quereinsteigern begegnet werden. Finanzmittel für die Bildung sollten auch den Kommunen zugutekommen.
Nur in Sachsen und Bayern kein Bildungsurlaub
Und wie passt die von der Dachorganisation der sächsischen Kammern und Verbände eingeforderte Bildungsoffensive mit deren Nein zu fünf Tagen freier Bildungszeit zusammen? Im August hatte der DGB Sachsen gut 55.600 Unterschriften an Sachsens Landtagspräsidenten Matthias Rößler (CDU) übergeben – stellvertretend für über 60 Organisationen, die ein Landesgesetz fordern, das Beschäftigten auch im Freistaat fünf bezahlte Tage zur Weiterbildung garantiert. Damit muss sich die Volksvertretung mit dem vorgelegten Gesetzentwurf befassen. Unter den Unterstützern: SPD, Grüne und Linke.
In deren Ansinnen gehrt es nicht nur um Know-how für Unternehmen, auch um Trainer in 4.500 Sportvereinen, Vertrauensleute in Betrieben – und bei der Freiwilligen Feuerwehr. Alle Bundesländer haben so ein Gesetz – mit Ausnahme von Sachsen und Bayern. Es erlaubt berufliche, kulturelle und politische Weiterbildung oder eine Qualifizierung für ehrenamtliche Arbeit. Teils gilt es ab einer Betriebsgröße von fünf, zehn oder 20 Leuten. Der Antrag kann verwehrt werden, wenn Betriebserfordernisse entgegenstehen. Und: Urlaub anderer hat Vorrang.
Sachsens Handwerk lehnt das vorgelegte Papier ab – zu undifferenziert, heißt es. Doch das Nein sei nicht grundsätzlich, heißt es hinter vorgehaltener Hand. Gebe es wie in anderen Ländern eine Mindestgröße für dessen Gültigkeit, sei ein Sinneswandel denkbar. 94 Prozent der hiesigen Betriebe haben weniger als zehn Mitarbeitende. Sie könnten eine solche Vorgabe nicht stemmen.
Konjunkturumfrage: kein Aufschwung in Sicht
Die jüngste Konjunkturanalyse der Kammern von Dresden, Leipzig und Chemnitz ist wenig ermutigend. „Die Stimmung bleibt eingetrübt, auch wenn die Talfahrt gestoppt zu sein scheint“, sagt SHT-Geschäftsführer Andreas Brzezinski. Laut der repräsentativen Herbstumfrage bewerten knapp die Hälfte der Unternehmen ihre Geschäftslage als gut, 38 Prozent als befriedend und 15 Prozent als schlecht. Das entspricht in etwa den Angaben von vor einem Jahr. Die Auftragsreichweite ist um mehr als eine Woche auf knapp zehn Wochen gesunken.