Von Michael Rothe
Sachsens Industrie- und Handelskammern (IHK) haben nach der Landtagswahl im Freistaat dringenden Bedarf, sich zu Wort zu melden. Der Ort der dafür am Donnerstag anberaumten Pressekonferenz ist zufällig gewählt: das Ministerzimmer des Dresdner Hotels Maritim, gleich neben dem Landesparlament. Doch mit der dort von den Kammerspitzen verkündeten Botschaft bekommt die Location, einst Rückzugsort für Abgeordnete und Namensgeber, schon gewollte Züge.
„Wir wollen bei den Koalitionsverhandlungen mit am Tisch sitzen“, macht Andreas Sperl, Präsident der Dresdner IHK, klar. Bei der erwarteten schwierigen Regierungsbildung haben die drei Interessenvertretungen von rund 250.000 Mitgliedsunternehmen mit über 900.000 Beschäftigten große Sorge, dass die Interessen der Wirtschaft auf der Strecke bleiben könnten.
Die Spitzen von Haupt und Ehrenamt hatten sich bereits am Vortag getroffen, um das Wahlergebnis zu analysieren. Angesichts der Erfolge der Parteien am rechten und linken Rand sitzt der Schock tief. Ohne Beteiligung des Bündnisses von Sahra Wagenknecht (BSW) ist eine Regierungsbildung unmöglich – vorausgesetzt die CDU bleibt bei ihrer Absage an die AfD.
Kammern skeptisch bei „Brombeer-Experiment“
Das Wählervotum wird von Unternehmerinnen und Unternehmern sowie den IHK-Präsidien als „Warnschuss“ bewertet. Ein „weiter so“ könne und dürfe es nicht geben, heißt es. Neue politische Akteure und stark differierende Programmatiken möglicher Koalitionäre würden eine Regierungsbildung erschweren. „Doch gerade in Zeiten wirtschaftlicher Schwäche und transformationeller Umbrüche, wie wir sie gerade erleben, sind stabile Mehrheitsverhältnisse von herausragender Bedeutung.“
„Sachsen hat eine Mitte-rechts-Regierung gewählt und bekommt nun Mitte-links“, sagt Max Jankowsky, Präsident der IHK Chemnitz. Er habe „Bauchschmerzen mit dem Brombeer-Experiment“, also einer Koalition aus CDU, SPD und BSW. Letzteres sei eine Blackbox mit vielen Fragezeichen, dem aber nach seinem Stimmenanteil mindestens drei Ministerposten winken.
Daher wollen sich die Kammern frühzeitig in die Diskussion um das Regierungsprogramm einbringen, „denn die nächsten fünf Jahre werden entscheidend sein, um Vertrauen bei den Wählerinnen und Wähler zurückzugewinnen“, heißt es. Teams aus Unternehmerinnen und Unternehmern sowie IHK-Experten sollen den Prozess aktiv begleiten, um in einem Koalitionsvertrag 15 Kernforderungen in den Feldern Verwaltung, Förderung Standort, Fachkräfte und Bildung zu verankern.
IHK regen neuen Zuschnitt der Ministerien an
Andreas Sperl räumt ein, dass die Kammern keinen Anspruch auf einen Platz am Verhandlungstisch hätten, er hofft aber auf ein Entgegenkommen der Parteien. Sachsens Wirtschaft, die aus sich heraus erfolgreich wachse, Zuversicht ausstrahle und standorttreu bleibe, brauche eine starke Vision, die eine neue Regierung zwingend entwickeln und zum verbindlichen Leitfaden machen müsse.
„Es war nicht alles schlecht“, blickt Corinne Ziege, Vizepräsidentin der IHK zu Leipzig, auf die letzte Legislatur zurück und nennt Breitbandausbau, stabilen Haushalt, erhöhte Erwerbsquote, Verbesserungen im ÖPNV und dass Sachsen nun ein führender Mikroelektronik-Standort sei.
Um Wirtschaftsthemen mehr Gewicht zu geben, plädieren die Kammern für einen neuen Zuschnitt – etwa dass der Bereich Arbeit ins Sozialministerium verlagert wird. „Bei dem Thema sitzt der Minister bislang auf beiden Seiten des Tisches“, sagt Dresdens IHK-Chef Lukas Rohleder. Liege der Fokus tatsächlich auf der Wirtschaft, sei egal, wer das Ministerium führt.
Sachsens Wirtschaftslobby hofft, „dass bei dem riesengroßen Spagat der Parteien Stabilität zählt und nicht das Parteibuch“, wie es Jankowsky formuliert. Und dass das Unternehmertum Wertschätzung erfährt.
Die Forderungen der Kammern im Überblick
- 15 Prozent Personalabbau in der öffentlichen Verwaltung des Freistaats;
- schlankes Vergabegesetz ohne ideologischen Ballast;
- Sonn- und Feiertagsöffnungen liberalisieren;
- ein neues strategisches Investitionsinstrument;
- Paradigmenwechsel in der Förderlandschaft;
- Unternehmernachwuchs fördern;
- den ländlichen Raum lebenswert machen;
- koordinierter Ausbau der Energieinfrastruktur;
- Verkehrsinfrastruktur weiterentwickeln;
- Arbeitspotenzial im Inland heben – Zahl der Leistungsbezieher halbieren;
- Aufenthalt im Land an Job koppeln;
- Kinderbetreuung zur Steigerung der Erwerbsquote erweitern;
- Lehrermangel und Stundenausfall an den Schulen reduzieren;
- MINT-Kompetenzen verbessern;
- Steigerung der Attraktivität der dualen Ausbildung.