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Sachsens Wirtschaftsminister zu VW und zur Krise im Freistaat: „Pragmatisches Handeln ist jetzt das Gebot der Stunde“

Dirk Panter ist seit Dezember 2024 Minister für Wirtschaft, Arbeit, Energie und Klimaschutz. Im Interview spricht der SPD-Politiker über die ersten Tage im neuen Amt – darüber und was er beitragen will, um die Wirtschaft aus der Krise zu bringen.

Lesedauer: 7 Minuten

Dresden. Herr Minister, Sie sind seit Mitte Dezember im Amt. Wie war der Start?

Ich hatte einen Kaltstart. Eine halbe Stunde nach meiner Vereidigung habe ich bereits wegen Volkswagen telefoniert. Meine Priorität ist, dass wir versuchen, die Wirtschaft zu unterstützen um damit auch sicherzustellen, dass es gute Arbeitsplätze gibt. Traurig bin ich, dass wir als Wirtschaftsministerium den Bereich Verkehr verloren haben. Gleichzeitig bin ich sehr froh, dass wir die Energiepolitik und den Klimaschutz dazubekommen.

Sächsische Zulieferer haben ihre Stellungnahme zur VW-Tarifeinigung kritisiert, die sie trotz Einschnitten bei Standorten im Freistaat als Erfolg bezeichnet hatten. War das dem Kaltstart geschuldet?

Das war Teil des Kaltstarts. Die Bewertung bezog sich auf die drohende Werksschließung in Zwickau, die tatsächlich im Raum stand. Es war für uns unvorstellbar, dass eines der produktivsten und modernsten VW-Werke, das mit Milliardeninvestitionen umgerüstet wurde, vor dem Aus stand. Insofern war ich erleichtert, dass diese Werksschließung vom Tisch war. Dennoch ist es ein sehr bitteres Ergebnis für Sachsen, da wir im Vergleich zu anderen überproportional unter dem Tarifergebnis leiden – da bin ich mir mit den Zulieferern komplett einig.

Was können Sie tun?

Michael Kretschmer und ich wollen zügig mit den VW-Vorständen in Wolfsburg sprechen. Auch mit der Führung von Audi wollen wir ins Gespräch kommen, ob die Marke schon aufgrund ihrer Historie – Audi wurde immerhin in Zwickau gegründet – stärker einspringen kann. Wir brauchen klare Perspektiven für Sachsen, keine Lippenbekenntnisse.

 Blick auf das Werk von Volkswagen in Zwickau bei Nacht. Sachsens neuer Wirtschaftsminister Dirk Panter sucht das Gespräch mit dem VW-Vorstand, um eine klare Perspektive für den Standort mit 9000 Beschäftigten zu erreichen.
Blick auf das Werk von Volkswagen in Zwickau bei Nacht. Sachsens neuer Wirtschaftsminister Dirk Panter sucht das Gespräch mit dem VW-Vorstand, um eine klare Perspektive für den Standort mit 9000 Beschäftigten zu erreichen.
Quelle: Hendrik Schmidt/dpa

Mit welchen Argumenten außer mit der Historie wollen Sie die Audi-Vorstände vom Standort Sachsen überzeugen?

Südwestsachsen bietet in der Zulieferer-Landschaft eine sehr gut gewachsene Struktur und hervorragende Fach- und Arbeitskräfte und sehr ausgeprägte Verbindungen in Wissenschaft und Forschung. Es ist eine sehr starke Industrieregion. Umso mehr müssen wir alles dafür tun, dass das VW-Werk in Zwickau nicht in die Unproduktivität abrutscht. Unser Ziel ist es, dass es – gern mit Hilfe von Audi – eine echte Zukunftsperspektive über 2030 hinaus geben wird. Wir haben bislang keine konkreten Infos von VW, aber was bisher bekannt ist, soll das durch die neue Produktionsplattform SSP abgesichert sein.

Zur Person

Dirk Panter (50) studierte an der Universität Leipzig Politik- und Verwaltungswissenschaften. Später arbeitete er bei der Investmentbank JP Morgan in London, New York und Frankfurt am Main. Seit 1998 ist Panter Mitglied der SPD. Von 2006 bis 2009 war er Landesgeschäftsführers der Partei in Sachsen, von 2007 bis 2015 deren Generalsekretär. Von 2014 bis Anfang 2025 war Panter Fraktionschef der Sozialdemokraten. Am 19. Dezember 2024 wurde er zum Wirtschaftsminister ernannt. Der gebürtige Badener lebt in Leipzig und hat zwei Kinder.

Die frühere Landesregierung hat sich sehr auf den Strukturwandel in den Kohleregionen konzentriert. Wurde der Strukturwandel im Automobilbau dabei vernachlässigt?

Mein Eindruck ist: nein. VW hat durch die Umstellung auf die E-Auto-Produktion Signale gesetzt. Wir haben sie als Staat dabei unterstützt. Entsprechend gibt es bereits auch Zulieferer, die sich umgestellt haben auf die neue Welt. Anderen fällt es schwerer aufgrund ihrer Produkte, die sie herstellen. Umso wichtiger ist es, dass wir mit der Region einen Masterplan für Südwestsachsen entwickeln, wie im Koalitionsvertrag vereinbart.

Wie realistisch war denn die Perspektive, dass die Rüstungsindustrie den Zwickauer Standort übernimmt? Laut einem Bericht der „Wirtschaftswoche“ hatte der deutsch-französische Rüstungskonzern auch Zwickau im Visier?

Ich habe vieles gehört, davon aber nichts. Ich höre diesen Punkt eher aus anderen Regionen. Angesichts der vielen Veränderungen gibt es viele Diskussionen und Gerüchte, auch etwa um die Zukunft der Gläsernen Manufaktur in Dresden. Es gibt sicherlich viele gute Gründe dafür, in einer Stadt, die so gut und international für Kultur steht, über einen Konzertsaal oder ein Kunstdepot nachzudenken. Aber wenn wir eine Gläserne Manufaktur haben, die Industrieproduktion in der Innenstadt ermöglicht hat, dann sollten wir alles dafür tun, dass das in Zukunft auch so bleibt. VW hat sich damals für Dresden verpflichtet, als ein Stück aus dem Großen Garten für die Manufaktur geschnitten wurde. Wir erwarten nun, dass man Wort hält.

Die Gläserne Manufaktur von Volkswagen in Dresden: Ende 2025 soll die Fertigung von ID.3 Fahrzeugen auslaufen. Für die Zukunft der Manufaktur gibt es mehrere Vorschläge auch aus der Kultur. Panter will den Bezug zur Industrieproduktion erhalten.
Die Gläserne Manufaktur von Volkswagen in Dresden: Ende 2025 soll die Fertigung von ID.3 Fahrzeugen auslaufen. Für die Zukunft der Manufaktur gibt es mehrere Vorschläge auch aus der Kultur. Panter will den Bezug zur Industrieproduktion erhalten.
Quelle: Sebastian Kahnert

Befürchten Sie große Proteste, falls sich Rüstungsunternehmen wie KNDS in Görlitz oder anderswo in Sachsen ansiedeln sollten?

Sicherlich wird es eine Debatte geben, die wir auch führen werden. Ich habe eine pazifistische Grundhaltung, aber gleichzeitig habe ich auch unsere Bevölkerung, Wirtschaft und den Wohlstand im Blick. Es ist eine Abwägung, die zu treffen ist. Wir sind betroffen von großen Veränderungen auf der Welt – geopolitisch, wirtschaftlich, klimapolitisch. Der klassische Dreiklang, der unseren Wohlstand in den vergangenen 30 Jahren in Deutschland geprägt hat: Sicherheit aus dem Westen, billige Energie aus dem Osten und ein riesiger Absatzmarkt in China – das bricht an allen Stellen weg.

Und was folgt für Sie daraus?

Wir müssen uns unabhängiger aufstellen, in der Rohstoffversorgung, in der Versorgung mit Halbleitern, in der Energieversorgung durch den konsequenten Ausbau erneuerbarer Energie und letztlich auch in der Sicherheit. Deutschland ist ein friedliebendes Land. Das soll auch so bleiben, aber verteidigen können müssen wir uns schon. Und da ist es keine schlechte Lösung, wenn ein Konzern entscheidet, dass er eine Produktion nicht aufrechterhalten möchte, diesen Weg einzuschlagen. Ich bin froh, dass wir so Industriearbeitsplätze halten können.

Nochmal zu Südwestsachsen. Was steht im Masterplan?

Wir müssen uns jetzt wirklich ehrlich machen. Wir können nicht in der Vergangenheit schwelgen und hoffen, dass alles wieder so wird, wie es war. Wir sollten uns dieser Krise offen stellen. Und diese Krise auch als Chance begreifen. Wir wollen Industrieland bleiben, das ist unsere Kernkompetenz.

Und das gilt auch für die VW-Krise?

Ja. VW ist aktuell ein Problemfall, nicht die gesamte Automobilindustrie. In Leipzig und Umgebung läuft es bei Porsche und BMW aktuell deutlich besser. Andere Industriebranchen in Sachsen wachsen sogar rasch. Im Jahr 2030 wird die Halbleiterindustrie wahrscheinlich unsere größte Industriesparte sein – davon profitiert das ganze Land.

Der Finanzminister will die Kofinanzierung von Förderprogrammen der EU und des Bundes um zehn Prozent kürzen. Wie ist ihr Ministerium betroffen?

Im Bereich Arbeit gibt es viele Programme aus den Europäischen Strukturfonds. Da gibt es nun Sorgen bei Kammern, Unternehmen und Gewerkschaften, zum Beispiel bei der Verbundausbildung. Die Kürzungen bei der Kofinanzierung wären ein schwerer Schlag, auch weil wir keine falschen Signale in Richtung Brüssel senden wollen, wenn wir weniger Fördergeld abrufen. Dort wird gerade der mehrjährige Finanzrahmen verhandelt, und wir brauchen auch künftig das Geld von der EU. Aktuell gibt es Gespräche in der Regierung, wie wir unserer Verpflichtung nachkommen, diesen Haushalt zusammenzubringen und gleichzeitig keine falschen Signale senden.

Sind die Kürzungen pauschal?

Das ist genau die Frage, die es auszuhandeln gilt. Vor allem bei der GRW-Förderung für die regionale Wirtschaft sollte dies vermieden werden. Eine Neuprogrammierung der EU-Programme im ESF müssen wir auf jeden Fall verhindern. Das wäre viel zu aufwendig.

Wird Sachsen weitere Investitionen in der Mikroelektronik oder anderen Schlüsselindustrien noch unterstützen können?

Was beschlossen ist, ist beschlossen. Da haben wir auch Verpflichtungsermächtigungen. Natürlich sind wir froh, dass wir große Investitionen über den EU Chips Act in der Vergangenheit nicht kofinanzieren mussten. Das könnte bei neuen Förderaufrufen nicht mehr der Fall sein. Deshalb kämpfen wir als Landesregierung darum, dass es nicht so kommt. Dresden ist nun einmal der vielfältigste Mikroelektronik-Standort in Europa, ein wichtiger Player auf der Welt. Das haben wir uns als Freistaat hart erarbeitet. Ich finde, dafür darf man nicht bestraft, sondern sollte belohnt werden. Zumal wir mit eigenen Landesmitteln in die notwendige Infrastruktur investieren, angefangen bei der Wasserversorgung bis zur Chipakademie. Wir wollen hier die Entwicklung weiter vorantreiben. Aber wir haben nicht den Haushalt von Bayern.

Die Kräne auf der Baustelle für das neue Infineon-Werk sind im Dresdner Norden von Weitem zu sehen. Die Förderung dieser Investition musste der Freistaat nicht kofinanzieren. Das könnte sich bei künftigen Investitionen in der Mikroelektronik ändern.
Die Kräne auf der Baustelle für das neue Infineon-Werk sind im Dresdner Norden von Weitem zu sehen. Die Förderung dieser Investition musste der Freistaat nicht kofinanzieren. Das könnte sich bei künftigen Investitionen in der Mikroelektronik ändern.
Quelle: Foto: Torsten Fiedler, Stadtentwässerung Dresden

Begehrlichkeiten gibt es auch an anderer Stelle. Sind die Tarifabschlüsse im Öffentlichen Dienst zu hoch? Die Kommunen ächzen unter den Personalkosten.

Ich bin ein großer Freund der Tarifautonomie. Sie steht für gute Bezahlung. Es gibt in Deutschland aber ein grundsätzlich strukturelles Problem mit dem Bund, und das kommt auch bei den Kommunen an. Wir haben in Sachsen vor über zehn Jahren das Konnexitätsprinzip in die Verfassung geschrieben. Es bedeutet, Land und Kommunen tragen gesondert ihre Ausgaben, die sich aus der Wahrnehmung ihrer Aufgaben ergeben. Was uns fehlt, ist ein Konnexitätsprinzip zwischen Bund und Kommunen. Im Bund werden Leistungsgesetze beschlossen, die am Ende die Kommunen bezahlen müssen und sie massiv unter Druck setzen. Dieses Problem muss von der neuen Bundesregierung angegangen werden.

Erwarten Sie stark steigende Arbeitslosigkeit in Sachsen?

Die Arbeitslosenquote wird wohl steigen. Auch wenn uns die Demografie gerade hilft. Wir haben viele gute Programme gemeinsam mit der Wirtschaft, um Fachkräfte qualifizieren zu können. Ob wir sie nutzen können, hängt wieder von der Haushaltslage ab. Wichtig ist, dass die Wirtschaft aus dieser strukturellen Krise schnell herauskommt, damit sich die Arbeitslosigkeit nicht verfestigt. Zur Wahrheit gehört aber: Der sächsische Arbeitsmarkt kommt auch bei steigender Arbeitslosigkeit gar nicht mehr ohne ausländische Arbeitskräfte aus.

Ein großer Streitpunkt mit der Wirtschaft ist das Vergabegesetz, das öffentliche Auftragsvergabe an Tariftreue knüpft.

Wir haben gerade eine wirtschaftliche Krise und müssen daher schauen, welche Prioritäten wir jetzt setzen. Aber: Das Vergabegesetz ist klar vereinbart. Mein Ziel ist es, dazu erst mal ins Gespräch zu kommen.

Die Wirtschaft klagt über zu viel Bürokratie, was kann auf Landesebene getan werden, um diese zu verringern?

Bürokratieabbau ist immer ein großes Thema. Wir vereinfachen und digitalisieren Förderprogramme und wir werden genau prüfen, was wir in Sachsen noch tun können. Ein Weg ist zum Beispiel zu prüfen, dass wir die Unternehmen bei der Rückzahlung der Corona-Hilfen nicht über Gebühr mit Nachweisen belasten. Pragmatisches Handeln in einer schwierigen Lage, mit dem Fokus auf Sachsen, ist jetzt das Gebot der Stunde.

SZ

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