Suche
Suche

Sächsische Waffenprodukte: „Die Arbeiter sollen ihr Gewissen am Werkstor abgeben“

Nach Recherchen von SZ und LVZ fertigen Gießereien in Sachsen und Leipzig fleißig Bauteile für Kriegsmunition – wie sie etwa in der Ukraine dringend gebraucht wird. Die sechs Fraktionen im sächsischen Landtag sehen das gespalten.

Lesedauer: 3 Minuten

Man sieht eine Fabrik.

Dresden. Ausgerechnet Rüstungsprodukte retten inzwischen sächsische Arbeitsplätze. Während Stahlriesen wie Thyssenkrupp Tausende Jobs streichen wollen, produzieren Werke in Sachsen und Thüringen vermehrt Waffenteile, um die aktuell schwierige Auftragslage zu verkraften: Zum Beispiel Artilleriemunition vom Kaliber 155 Millimeter, die im Stellungskrieg in der Ostukraine immer knapper wird.

Am Zwenkauer See im Leipziger Süden, in Coswig oder Dippoldiswalde stehen Gießereien der Dihag Gruppe, die inzwischen zehn Prozent ihres Umsatzes im Rüstungssektor generiert. Ein Sprecher erklärt: Aufgrund von „Geheimhaltungsverpflichtungen gegenüber der Kundschaft“ könne man „keine näheren Angaben über Rüstungsgüter machen“. Eine Umfrage im sächsischen Landtag zeigt: Das Thema spaltet die Parteienlandschaft.

Im Stahl- und Hartgusswerk Bösdorf am Zwenkauer See werden Rohlinge für Munition gefertigt, wie sie in der Ukraine gebraucht wird.
Im Stahl- und Hartgusswerk Bösdorf am Zwenkauer See werden Rohlinge für Munition gefertigt, wie sie in der Ukraine gebraucht wird.
Quelle: Andre Kempner

Jörg Urban, Vorsitzender der AfD Sachsen, sagt auf LVZ-Anfrage: „Wir lehnen die Lieferung von Waffen und Munition in die Ukraine ab. Wir wollen Frieden. Deutschland sollte sich auf die Landesverteidigung mit einer gut ausgerüsteten Bundeswehr konzentrieren.“

Deutlichere Worte findet Sabine Zimmermann, Landesvorsitzende des BSW: „Nicht jeder will Produkte herstellen, mit deren Hilfe Menschen getötet werden“, sagt sie. „Die Arbeiter werden also indirekt aufgefordert und sollen ihre Meinung und ihr Gewissen vorn am Werkstor abgeben. Und wer nicht will, verliert seinen Job.“

Zimmermann, die selbst einmal Gewerkschaftssekretärin war, verweist auch auf das Görlitzer Alstom-Werk, für das sich der deutsch-französische Rüstungskonzern KNDS interessiert, der Panzer herstellt. „Die Militärindustrie ist nicht unser Zukunftsweg“, so Zimmermann. Um Werke konkurrenzfähig zu machen, brauche es eher „bezahlbare Energie für Unternehmen“.

Es gibt schon jetzt zu viele Waffen auf unserem Planeten.

Stefan Hartmann (Die Linke)

Der Linke-Abgeordnete Stefan Hartmann wählt drastische Worte gegen Kriegstechnik aus sächsischen Gießereien: „Wir können es nicht gutheißen, dass Beschäftigte Rüstungsgüter produzieren müssen“, so Hartmann. „Die Unternehmenseigner verdienen damit prächtig – die Rüstungsindustrie war schon immer der einzige Gewinner in Kriegen.“

„Aufrüstung“, so Hartmann, könne nicht als „legitimes Mittel gelten, um Arbeitsplätze zu sichern und Betriebe von hohen Energiepreisen zu entlasten“. Alternativ fordert er eine Lockerung der Schuldenbremse und Investitionen in zivile Güter wie Eisenbahninfrastruktur oder erneuerbare Energien. „Es gibt schon jetzt zu viele Waffen auf unserem Planeten“, so der Linke. „Und jede Waffe findet ihren Krieg.“

Die Schmiedeberger Gießerei gehört zur Dihag-Firmengruppe. Hier gießt ein Arbeiter flüssiges Metall in sogenannte Kokillen, wie sie auch zur Herstellung von Munitions-Rohlingen verwendet werden.
Die Schmiedeberger Gießerei gehört zur Dihag-Firmengruppe. Hier gießt ein Arbeiter flüssiges Metall in sogenannte Kokillen, wie sie auch zur Herstellung von Munitions-Rohlingen verwendet werden.
Quelle: SAE Sächsische Zeitung

Anders sieht das die sächsische SPD-Fraktion. Man stehe „an der Seite der Ukraine“, erklärt ein Sprecher. „Wir befürworten, dass die Ukraine finanziell, humanitär und auch militärisch unterstützt wird. Und wir befürworten, dass Deutschland oder deutsche Unternehmen Waffen in die Ukraine liefern.“

Neben diplomatischen Anstrengungen für Frieden, wie sie auch Bundeskanzler Scholz unternehme, müsse sich „die Ukraine auch mit mehr als Pfeil und Bogen verteidigen können“. Insbesondere „solange Putin und Russland die Ukraine tagtäglich angreifen“. Daher sei es „folgerichtig, dass in Deutschland, und auch in Sachsen, Munition oder Munitionsteile gefertigt und in die Ukraine geliefert werden.“

„Die Ukraine hat das Recht, sich zu verteidigen“, bekräftigt auch Leipzigs CDU-Chef Andreas Nowak. Dafür brauche sie Munition, von der sie zu wenig hat. „Wenn die bei uns hergestellt wird, wird das auch dazu beitragen, dass die Ukraine am Verhandlungstisch eine stärkere Position hat.“ Und: „Stärke ist das einzige, was die Russen verstehen. Denn sie denken selber so.“ Nowak habe diesen Eindruck selbst bei Dienstreisen gewonnen.

Der Landtagsabgeordnete findet: „Wir brauchen schon deswegen Munition, damit unsere Bundeswehr selbst verteidigungsfähig wird.“ Bei einem Angriff auf Deutschland würden die Vorräte nur ein bis zwei Tage reichen. Arbeitern oder Betrieben „ein schlechtes Gewissen einreden zu wollen“ sei „unredlich“. Man könne sich „wünschen, dass die Welt weiter so bleibt, wie sie bis vor wenigen Jahren war“. Das werde aber „keinen Aggressor davon abhalten, andere zu überfallen“, so Nowak.

Ukrainischer Soldat hantiert mit einem Geschoss vom Kaliber 155 Millimeter: Rohlinge für solche Munition stammen auch aus sächsischen Gießereien.
Ukrainischer Soldat hantiert mit einem Geschoss vom Kaliber 155 Millimeter: Rohlinge für solche Munition stammen auch aus sächsischen Gießereien.
Quelle: Evgeniy Maloletka/AP/dpa

Sachsens ehemaliger Grünen-Minister Wolfram Günther sagt, seine Partei stehe „für weltweite Abrüstung und Frieden.“ Doch müsse man „die Realität zur Kenntnis nehmen: Russland führt völkerrechtswidrig Kriege, vor allem in der Ukraine, aber auch anderswo.“

Weiter sagt Günther: „Die europäische Friedensordnung zu verteidigen und wiederherzustellen heißt auch, sich gegen Angriffe zu verteidigen.“ Dafür benötige man auch Rüstungsgüter, so der Fraktionssprecher für Außenpolitik und Frieden – „gerade auch im Hinblick auf die Verteidigungsfähigkeit der Ukraine.“

Das könnte Sie auch interessieren: