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Sächsischer Energieexperte Zeuner: Die Energiewende geht weiter

Welchen Einfluss kann das Wahl-Ergebnis auf die Energiewende in Sachsen haben? Ein Gespräch mit Falk Zeuner, dem Präsidenten der Vereinigung zur Förderung der Nutzung Erneuerbarer Energien in Sachsen - über Gerechtigkeit, Unterschiede und Atomkraft.

Lesedauer: 6 Minuten

Man sieht Falk Zeuner, Präsident der Vereinigung zur Förderung der Nutzung Erneuerbarer Energien in Sachsen.
Falk Zeuner aus Leipzig ist Präsident der Vereinigung zur Förderung der Nutzung Erneuerbarer Energien in Sachsen. Er hält die Arbeitsteilung zwischen Stadt und Land für richtig. © Jürgen Lösel

Von Georg Moeritz

Herr Zeuner, Sie sind viel in Sachsen unterwegs. Spüren Sie einen Stadt-Land-Gegensatz, wenn es um die Energiewende geht?

Die Unterschiede sind durchaus zu spüren, weil ja die Menschen in Stadt und Land unterschiedlich stark betroffen sind. In manchen ländlichen Regionen entstehen Projekte vor der Haustür. In der Stadt dagegen sind die Windkraftanlagen weit weg, und große Solaranlagen sind auch eher weniger zu sehen.

In den Städten wird viel Energie verbraucht, aber die meisten großen Anlagen stehen auf dem Land. Lässt sich das gerechter gestalten?

Es ist ja keine neue Tatsache, dass es eine Stadt-Land-Arbeitsteilung gibt. Die Nahrungsmittelproduktion findet auch auf dem Land statt. Dafür hat die Stadt eine Infrastruktur, die sie auch für die ländliche Bevölkerung vorhält. Ich halte nichts davon, nun mit dem Finger auf eine Stadt zu zeigen und zu fordern, dort eine Windmühle auf den Marktplatz zu bauen. Notwendig ist vielmehr, dass auch der Nutzen der Erneuerbaren Energien auf dem Land ankommt.

Was kann denn das zum Beispiel sein?

Durch erneuerbare Energieprojekte entsteht Wertschöpfung. Erst einmal haben die Grundstückseigentümer Einnahmen. Damit die nicht zu ungleich verteilt werden, können beispielsweise in einem Gebiet mit Windkraftanlagen alle Eigentümer Anteile bekommen, auch wenn sie keinen Standort oder eine Abstandsfläche haben. Der zweite Aspekt: Die Gewerbesteuer kommt der Gemeinde mit dem Standort der Anlage zugute, dafür ist die Steuergesetzgebung vor einiger Zeit geändert worden. Und drittens gibt es seit Juni das Bürgerbeteiligungsgesetz, das Einnahmen aus dem Stromertrag zum Teil der Gemeinde zukommen lässt. Das Geld kann direkt den betroffenen Ortsteilen zugutekommen, etwa über lokale Stromtarife oder Zuwendungen für Vereine und soziale Projekte.

Dennoch hat Sachsens Landesregierung nicht die Ausbauziele aus dem Koalitionsvertrag erreicht. Wie schlimm ist das aus Sicht Ihrer Vereinigung zur Förderung Erneuerbarer Energien?

Es war vorhersehbar, denn Genehmigungen und Umsetzung dauern lange. Aber es war wichtig, ambitionierte Ziele zu setzen. Darauf konnte die Politik sich ausrichten. In den vergangenen vier Jahren ist tatsächlich eine Wende eingeleitet worden. Aber die Richtungsänderung wird erst langfristig spürbar werden. Im Schnitt vergehen erfahrungsgemäß fünf bis zehn Jahre von der Idee bis zur Fertigstellung einer Windkraftanlage.

Und künftig?

Mit den eingeleiteten Veränderungen wird es schneller gehen. Es gab diverse Vereinfachungen, außer dem Bürgerbeteiligungsgesetz zum Beispiel die Artenschutzleitfäden für Tiere.

Anderswo ist aber mehr passiert. Was machen andere Bundesländer besser als Sachsen?

Sachsen war Schlusslicht und hat sich aufgemacht, diese Position zu verlassen. Dafür ist aber auch ein Umdenken notwendig, auch bei den Mitarbeitern in der Verwaltung. In Sachsen ist seit Biedenkopf Windkraft geradezu verteufelt worden, das hat sich in den Köpfen teilweise festgesetzt. Das ändert sich jetzt.

Und was erleben Sie in anderen Bundesländern?

Mein Planungsbüro ist auch in Niedersachsen aktiv. Da erlebe ich häufiger, dass die Energiewende als wirtschaftliche Chance verstanden wird. Was ich darauf zurückführe, dass dort viele Leute schon aus der Historie eher gewohnt sind, wirtschaftlich zu denken und unvoreingenommen auf ein Projekt zuzugehen. Da holt zum Beispiel ein Landwirtschaftsbetrieb die Eigentümer an einen Tisch, und dann wird gemeinsam ein Projektentwickler für einen Windpark beauftragt. Sachsen geht jetzt aber auch an einer entscheidenden Stelle voran.

Was meinen Sie damit?

Sachsen geht die Ausweisung neuer Flächen für Windkraft ambitionierter an, als es müsste. Schon bis 2027 sollen in Sachsen zwei Prozent der Landesfläche als mögliche Standorte ausgewiesen werden, statt anderswo bis 2032 mit einem Zwischenziel davor. Das ist sehr positiv zu bewerten und sorgt dafür, dass die langwierigen Änderungen der Regionalpläne in einem Schritt gemacht werden können.

Ministerpräsident Kretschmer hat gesagt, die Energiewende sei gescheitert. Was sagen Sie?

Die Energiewende ist natürlich nicht gescheitert. Sie ist ja keine kurzfristig angelegte Schnapsidee von den Grünen, sondern ein gesamtgesellschaftliches Projekt, das über Dekaden geht und sehr herausfordernd ist. Wir haben schon hohe Anteile an erneuerbaren Energien am Strommarkt, stehen aber trotzdem noch nah am Anfang. Denn fürs Fahren und Heizen wird noch immer viel fossile Energie verwendet. Die Energiewende geht weiter.

Womit rechnen Sie nach der Wahl?

Wenn die bisherigen Umfragewerte sich materialisieren sollten, würde es nicht leichter mit der Energiewende. Allerdings werden viele Entwicklungen nicht auf sächsischer Ebene angestoßen und sind auch nicht einfach zurückzudrehen. Zum Beispiel ist es ein Bundesgesetz, dass zwei Prozent der Fläche für Windkraft auszuweisen sind. Daran muss sich Sachsen halten, egal welche Landesregierung dran ist. Allerdings ist es natürlich schon erheblich, ob ein Umsetzungsprozess unterstützt oder boykottiert wird. Im schlimmsten Fall würde es länger dauern, die Energiewende in Sachsen voranzubringen – mit negativen Auswirkungen auf den Energie- und Industriestandort Sachsen.

Kommt denn das Thema im Wahlkampf ausreichend vor?

Leider nein. Das hat nach meinem Eindruck damit zu tun, dass gegen die erneuerbaren Energien zu sein ein Kernthema der AfD ist. Und es gibt die Fehleinschätzung, dass die Mehrheit der Bevölkerung gegen die erneuerbaren Energien sei – was aber nachweislich falsch ist. An dem Thema kommen die Parteien nicht vorbei, aber viele behandeln es wie eine heiße Kartoffel und fassen es im Wahlkampf kaum an.

Was können Sie da als Verein tun?

Wir suchen den Schulterschluss mit den Akteuren im Land, die ja auf den Ausbau der erneuerbaren Energien massiv angewiesen sind. Dazu gehören die regionale Wirtschaft und die Industrie- und Handelskammern. Für die Industrie und den Ausbau und Erhalt von Arbeitsplätzen sind Erneuerbare Energien entscheidende Standortfaktoren.

Auf der Liste Ihrer Mitglieder habe ich gesehen, dass auch das Riesaer Stahlwerk Feralpi seit kurzem dazugehört. Warum?

Die Mitgliedschaft solcher Betriebe bei uns ist folgerichtig. Und wir werden daran arbeiten, mehr Energieverbraucher in unsere Reihen zu integrieren. Gerade die energieintensiven Betriebe sind massiv auf Erneuerbare Energien angewiesen. Sonst haben sie bald keine Absatzchancen mehr. Für die Stahlproduktion müssen sie ihren Kunden perspektivisch einen geringeren CO2-Fußabdruck nachweisen. Das gelingt gerade bei der strombasierten Stahlerzeugung bisher nur mithilfe von grünen Strom.

Die großen Bauprojekte werden aber vor allem von den großen Energieversorgern vorangetrieben. Die Leag hat ein Gigawattprojekt angekündigt, Sachsen-Energie und Envia-M investieren massiv in Leitungen. Sind wir bei der Energiewende auf die etablierten Konzerne angewiesen?

Es wäre schlimm, wenn die großen etablierten Akteure nicht auf den Zug aufspringen und die Transformation aktiv mitgestalten würden. Es wäre aber fatal, wenn die mittelständisch geprägte Branche der Erneuerbaren Energie keine Chance mehr hätte. Wir sind darauf angewiesen, dass sowohl die Kleinen als auch die Großen daran arbeiten, auch dezentral mit Projekten in der Fläche.

Gibt es denn genügend finanzkräftige Investoren in Sachsen? Vielleicht haben wir einfach nicht so viele wie in Niedersachsen?

Das ist ein absoluter Trugschluss. Warum investieren denn zum Beispiel Stadtwerke in Erneuerbare Energien? Weil das die Zukunft ist und damit auch Geld verdient werden kann. Auch in Sachsen gibt es dafür genügend Geld und Investoren, natürlich mit Unterstützung der Banken. Unser Wunsch und Ziel ist aber auch, mehr lokale Investoren zum Beispiel über Genossenschaften einzubeziehen.

Da kann dann jeder einen kleinen Anteil an einer großen Anlage erwerben, mit wenigen Hundert Euro?

Korrekt. Wir als Projektentwickler öffnen unsere Projekte für kommunale und Bürgerenergiegenossenschaften. Das ist auch gut für die Akzeptanz im Ort. Auch Landwirtschaftsbetriebe oder kommunale Betriebe können sich beteiligen. Wir wollen die Energiegenossenschaften über unseren Verein auch besser vernetzen.

Kommen denn immer alle geplanten Projekte zustande?

Voriges Jahr sind in Sachsen 25 Projekte für Windkraftanlagen durch Ablehnung oder Rücknahme nicht zustande gekommen. Aber das liegt nicht an zu wenig Geld oder zu wenig Wind. Diese Projekte sind immer wirtschaftlich. Die modernen Anlagen sind so hoch, dass sie viel höhere Erträge liefern als früher üblich. Unsere erste Windkraftanlage vor 30 Jahren hatte einen Ertrag von weniger als einer Million Kilowattstunden pro Jahr. Anlagen der jetzigen Generation liefern zwischen 15 und 20 Millionen Kilowattstunden. Da sieht man, wie uns die technische Entwicklung schon vorangebracht hat. Mit der neuen Technik werden in Summe auch weniger Anlagenstandorte benötigt.

Ist es nicht trotzdem schade, dass dafür alte Anlagen abgerissen werden? Sollte man sie nicht möglichst weiterlaufen lassen statt sie zu zersägen?

Eine Vielzahl von Altanlagen werden gehegt und gepflegt, bis sie aus technischen Gründen nicht mehr durch den Tüv kommen. Das liegt einfach daran, dass sich die Genehmigungsbedingungen auch verschärft haben. Bei weniger als 1.000 Meter Abstand zur nächsten Siedlung kann nicht unbedingt eine neue Anlage errichtet werden. Wir haben Anlagen, die seit 30 Jahren laufen.

Die Strompreise sind erheblich höher als vor ein paar Jahren, jedenfalls aus Sicht der Abnehmer. Wie groß ist denn die Chance, dass die Preise auch mal wieder sinken?

Viele haben den einen Tarif im Kopf, den sie pro Kilowattstunde bezahlen – egal ob am Tag oder in der Nacht. Davon müssen wir wegkommen. Es wird kein zentralistisches Stromsystem mehr geben, sondern ein dezentrales mit viel Wind- und Sonnenenergie. Daran muss sich auch der Verbrauch orientieren. Es wird Preissignale geben, die Strom bei Mangel teurer und bei Überschüssen billiger machen.

Die ersten dynamischen oder gesplitteten Tarife sind schon auf dem Markt – aber wird Strom insgesamt billiger oder teurer?

Es ist ein zweischneidiges Schwert. Jeder hätte gerne billigen Strom. Aber der verleitet auch zur Verschwendung. Energie muss auch einen relevanten Preis haben. Die dynamischen Tarife lohnen sich vor allem für Verbraucher, die zu bestimmten Zeiten eine ausgeprägte Bedarfsspitze haben. Mittags ist der Preis durch den hohen Solaranteil in der Regel niedriger.

Einige Parteien fordern wieder Atomkraftwerke. Werden sie kommen, vielleicht auch nach Sachsen?

Dazu hat Bundeswirtschaftsminister Habeck etwas gesagt, was ich sehr gelungen fand: Er würde das Thema auf die Agenda nehmen, wenn ihm jemand die beiden Landräte nennen könnte, die ein Kernkraftwerk und ein Endlager in ihren Landkreisen befürworten würden. Damit hat sich die Frage erledigt, und das sage ich auch für Sachsen voraus. Selbst wenn man unterstellen würde, dass Atomenergie eine Lösung sein könnte, sind die Genehmigungs- und Bauzeiten so lang, dass sie nicht in einem relevanten Zeitraum nutzbar gemacht werden könnte. Mal ganz abgesehen vom Finanziellen. Es ist nicht mal annähernd möglich, Kernenergie so preiswert herzustellen wie Energie aus erneuerbaren Quellen.

Das Gespräch führte Georg Moeritz. Falk Zeuner ist Gründer und Geschäftsführer der Terrawatt Planungsgesellschaft mbH, eines Leipziger Ingenieurbüros mit etwa 20 Mitarbeitern. Beruflicher Schwerpunkt ist die Planung von Wind- und Solaranlagen. Ehrenamtlich leitet Zeuner seit seiner Wahl im vorigen Jahr als Nachfolger von Wolfgang Daniels die VEE Vereinigung zur Förderung der Nutzung Erneuerbarer Energien in Sachsen.

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