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Schlechte Karten für das 49-Euro-Ticket?

Das 9-Euro-Ticket von 2022 hat das Fahrverhalten nicht verändert. Das werde sich beim Deutschlandticket nicht ändern, vermuten Forscher. Und wie steht es um einen Sozialtarif in Sachsen? Die SZ hat nachgefragt.

Lesedauer: 3 Minuten

Eine S-Bahn fährt gerade aus dem Dresdner Hauptbahnhof heraus über eine Brücke. Im Hintergrund sieht man teilweise verschwommen die Prager Straße.
Anders als die meisten Bundesländer plant Sachsen bislang keinen Sozialtarif für das 49-Euro-Ticket? Einen Vorstoß aus dem Landtag beantwortet der Verkehrsminister vage.

Von Hannes Koch und Michael Rothe

Das billige Bahn- und Busticket für neun Euro wurde im vergangenen Jahr vor allem für Freizeittouren genutzt. Zur Arbeit fuhren die Bürgerinnen und Bürger damit seltener. Das ist das Ergebnis einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Das 9-Euro-Ticket hatte „kaum Auswirkungen auf die Alltagsmobilität“, sagt Mitautor Dennis Gaus. Deshalb hält er es auch für fraglich, ob das seit Montag erhältliche 49-Euro-Ticket ab 1. Mai zum verbreiteten Umstieg auf Busse und Bahnen führt. Mit dem monatlich kündbaren Online-Ticket bzw. der Chipkarte können bundesweit Züge und Busse im Nah- und Regionalverkehr genutzt werden.

Die Untersuchung analysiert das 9-Euro-Ticket erstmals auf der Basis bundesweiter und repräsentativer Daten, die aus den Bewegungsprofilen von Smartphones und Befragungen der Nutzer stammen. Sie geht damit über Studien hinaus, die teils zu ähnlichen Ergebnissen kamen. Die Billigfahrkarte galt bundesweit für den öffentlichen Nahverkehr zwischen Juni und August 2022. Rund 52 Millionen Tickets verkauften die Verkehrsbetriebe damals. Das Vorhaben sollte die Inflation dämpfen.

Das wichtigste Ergebnis der Analyse: Die vielen zusätzlichen Bus- und Bahnfahrten in den drei Sommermonaten waren eher Ausflüge in die Natur, die Berge und ans Meer. Seltener nutzten die Arbeitnehmer die günstige Fahrkarte, um regelmäßig in die Firma zu kommen. So war in vielen Sommerwochen der Anteil der „sonstigen Wege“, die Fahrgäste mit Bussen und Bahnen zurücklegten, an der gesamten Verkehrsleistung höher als der Anteil der Arbeitswege. Ein teilweise ähnliches Muster zeigten die Distanzen: Lange Wege über 30 Kilometer nahmen zeitweise stärker zu als kürzere Wege. Längere Distanzen dienten vornehmlich Freizeitzwecken – die Leute fuhren am Wochenende aus der Stadt zum Strand und in die Mittelgebirge. Kurze Wege könne man eher als Arbeitsmobilität einstufen. „Das 9-Euro-Ticket führte nicht dazu, dass in größerem Umfang Personen auf dem Weg zur Arbeit zum öffentlichen Personenverkehr wechselten“, so das DIW.

Weitere Resultate stützen diese Interpretation. Unter Erwerbslosen war im Juli 2022 mit 64 Prozent der Anteil derer am größten, die das 9-Euro-Ticket kauften. „Voll Berufstätige“ nutzten es nur zu 44 Prozent. Gegen den Befund spricht freilich, dass auch 57 Prozent der Azubis die günstige Fahrkarte nutzten – das Studienergebnis ist also nicht eindeutig.

29 Euro halten viele für angemessen

Interessant erscheint das Stadt-Land-Gefälle: „Knapp die Hälfte der Personen aus überwiegend städtischen Gebieten erwarb das 9-Euro-Ticket, während dies auf lediglich ein Drittel der im ländlichen Raum wohnhaften Personen zutraf“, heißt es in der Studie. Das DIW-Team erklärt dies mit dem schlechteren Angebot des öffentlichen Verkehrs auf dem Land im Vergleich zu den Städten. Wo kein Bus fahre, brauche man auch kein Billigticket. Aus Sicht des DIW hat das Folgen für das neue 49-Euro-Ticket, dessen Vorverkauf in dieser Woche beginnen soll. Mit dieser Fahrkarte kann man ab Mai alle Nahverkehrsmittel in ganz Deutschland nutzen. Dennis Gaus bezweifelt, dass diese Strategie die Verkehrswende voranbringt. Nicht nur wegen der oft mangelhaften Bus- und Bahnlinien und schlechten Taktung. Außerdem seien 49 Euro zu teuer. Die Befragung im Rahmen der 9-Euro-Studie habe ergeben, dass die Bürgerinnen und Bürger durchschnittlich 29 Euro für einen akzeptablen Preis halten.

Für einen sächsischen Sozialtarif in der Größenordnung machen sich nun SPD und Bündnisgrüne im Landtag stark. Wie die Sächsische.de berichtete, schlagen die mit der CDU regierenden Parteien für Studierende, Azubis, Schüler, Senioren und Empfänger von Bürgergeld ein Ticket von 29 Euro vor. Weil es deutschlandweit „absehbar nicht eingeführt wird“, brauche es „im Freistaat eine eigene Lösung, heißt es. Zwölf Bundesländer bieten Sozialtarife an, Sachsen hatte Rabatte bislang ausgeschlossen. Das Verkehrsministerium hatte noch im Februar auf das mit 49 Euro ohnehin günstige Angebot und die jährlich für Azubi- und Bildungsticket bereitgestellten 74 Millionen Euro verwiesen. Für mehr fehle das Geld.

Nun rückt Minister Martin Dulig (SPD) davon ab. Wenn der deutschlandweite Sozialtarif nicht komme, „sollten wir schauen, ob wir nicht auch den bayerischen Weg gehen“, sagte er vorige Woche. Im anderen Freistaat hätte die CSU einen Sinneswandel vollzogen und – auch mit Blick auf die Landtagswahl– Studenten und Azubis ab Oktober ein 29-Euro-Ticket versprochen.

„In den kommenden Monaten werden wir mit dem Bund über ein generelles bundesweit einheitliches Sozialticket reden müssen“, reagiert Dulig auf den Vorstoß aus den eigenen Parteireihen. „Aber es ist absehbar, dass dies nicht in kürzester Zeit passiert bzw. umsetzbar ist“, sagt er auf SZ-Anfrage und: „Daher werden wir natürlich auch im Freistaat darüber sprechen müssen, was möglich ist.“ Jedoch stehe der aktuelle Doppelhaushalt fest, schränkt er ein. Inwieweit eine Finanzierbarkeit vom Land machbar sei, müsse die Regierung klären. „Dass uns die Grünen bei der Einführung unterstützen wollen, begrüßen wir sehr.“

Weil sich der Freistaat bereits mit hohen Ausgleichszahlungen an der Einführung des Deutschlandtickets beteilige, gebe es „wenig Möglichkeiten, sofort weitere vergünstigte Tickets anzubieten“, sagt Dulig. Angesichts stark gestiegener Kosten für Energie und Personal sei zunächst „oberstes Ziel, die bestehenden Verkehre zu sichern und Abbestellungen zu vermeiden“.

Aber warum geht in Sachsen nicht, was anderswo – auch ohne Wahl und mit Verkehrsverbünden – möglich ist? „Meist handelt es sich um Länder, welche finanziell ganz andere Voraussetzungen und Einnahmen haben“, argumentiert Dulig und verweist auf Sachsens Verkehrsverbünde, die die Tarife der Verkehrsbetriebe koordinieren. Im Ergebnis würden die Verbundtarife festgelegt. „Darauf haben wir als Land keinen Einfluss“, so Dulig, dessen Forderung nach einer zentralen Landesverkehrsgesellschaft CDU und Grüne einst in den Koalitionsverhandlungen abgelehnt hatten.

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