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Sie bemalte Ball-Trophäen für St. Petersburg

Regina Fischer führt in der Manufaktur seit 43 Jahren Feder und Pinsel. Ihre jüngste Arbeit ist ein echter Türöffner.

Lesedauer: 3 Minuten

Manchmal müssen sich Regina Fischers Augen die Füße vertreten. Dann spaziert ihr Blick aus dem Fenster über den Hof hinüber zum nächsten Gebäude. Weit dahinter im Grünen angekommen, schweifen die Augen über Baumwipfel und bummeln langsam zurück zum Arbeitsplatz.

Der steht in einem hellen Raum der Staatlichen Porzellanmanufaktur Meissen. „Malstübchen“ nennt Regina Fischer das Zimmer liebevoll. Dabei ist es gar nicht so klein, mehrere Tische passen hinein. An jedem sitzt eine Porzellanmalerin, doch kaum eine verziert schon so lange das sogenannte Weiße Gold. 

Vor 43 Jahren begann Regina Fischer ihre Ausbildung in der Manufaktur. Zuvor hatte sie eine Zeichenmappe eingereicht und die Entscheider beim Probemalen von sich überzeugt. „Meine Tante hat auch im Unternehmen gearbeitet und mir einige Stücke geschenkt.“ Von den Tellern und Tassen malte Regina Fischer schon als Kind Blumen ab. Blumen, die sie bis heute begleiten.

Insgesamt 36 Grundformen gehören zum traditionsreichen floralen Musterkanon. Gegen Ende des ersten von vier Ausbildungsjahren hat die heute 59-Jährige den Pinsel vorsichtig auf Porzellan gesetzt. Bis dahin malten sie und die anderen 30 Lehrlinge mit Bleistift und Farbe auf Papier. Viele Stunden lang hat sie die Anatomie der Blume studiert. Fächer wie Schriftlehre, Farblehre, Materialfertigung und Brennvorgänge gehörten zum Unterricht. Schließlich war klar, was Regina Fischer von Anfang an wollte: Sie setzte die Ausbildung in Richtung Porzellanmalerei fort.

Hochspezialisiert ist die Arbeit an den Produkten der Meissener Porzellanmanufaktur. Sie braucht Fachleute in der Materialherstellung, beim Drehen nach Gipsformen und Schablonen auf der Töpferscheibe, und fürs sogenannte Bossieren. Dabei setzen Mitarbeiter einzelne Teile zu einer Figur oder einem Gefäß zusammen. Das alles war nicht ihr Ziel.

Rund 40 Jahre später sitzt sie an ihrem Malpult und lässt ein Äffchen nach dem anderen durch Weinlaub springen. Die possierliche Gruppe wird sich künftig auf einer großen bauchigen Vase aufhalten. Nicht nur Tiere malt Regina Fischer heute. Auch viele andere Motive beherrscht sie nach jahrzehntelanger Übung. Ein besonders filigranes schmückt einen überdimensionalen Schlüssel aus Porzellan – gemacht, um im übertragenen Sinne Türen zu öffnen. Als Willkommensschlüssel oder auch Trinkschlüssel hat er eine lange Geschichte. Zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert gebrauchten Herrscher ihn für Zeremonien.

Auch August der Starke soll 1714 einen solchen aus Meissener Porzellan überreicht bekommen und ihn umhergereicht haben, bis alle Anwesenden daraus getrunken hatten. In früheren Jahrhunderten haben wohl Männer das geschichtsträchtige Stück gefertigt und verziert. Heute sind überwiegend Frauen mit Porzellanmalerei beschäftigt, ursprünglich war das eine Männerdomäne. Alte Schwarz-Weiß-Fotos zeigen Herren in Schlips und Kragen bei der Arbeit im Malsaal. Zeugnisse eines angesehenen Berufes.

Zwei Trinkschlüssel nach historischem Vorbild hat Regina Fischer für den Dresdner Opernball in St. Petersburg bemalt. Sie wurden bei der Preisverleihung an Schauspielerlegende Armin Mueller-Stahl und Eislauf-Star Katarina Witt übergeben. Doch weder Blüten noch Tiere geben den beiden Exemplaren ihre Unverwechselbarkeit. Eine weitere Facette der Handwerkskunst heißt Landschafts- und Figurenmalerei. Gebäude zählen darunter. Eine Seite der 25 Zentimeter langen und zwölf Zentimeter breiten Replik zeigt die Semperoper mit Theaterplatz und König-Johann-Denkmal. Auf der anderen ist der St. Petersburger Winterpalast zu sehen, zu dem auch die museale Sammlung Eremitage gehört.

Der Weg bis zu dieser Kunstfertigkeit war lang, Regina Fischer ist ihn kontinuierlich gegangen. Neue Moden, Kundenwünsche und Ausrichtungen des Unternehmens brachten weitere Motive hervor, für die in jüngster Zeit zwei Kreativdirektoren des Unternehmens verantwortlich sind. Ihre Entscheidung fiel auf die beiden historischen Bauwerke und eine besonders erfahrene Kollegin sollte die Ideen umsetzen.

So bekam Regina Fischer die Willkommensschlüssel auf ihr Malpult. An der Rückwand ihres Arbeitsplatzes hängen Fotos der Dresdner Oper und des russischen Zarenpalais. Die Abbildungen hat sie auf Porzellan übertragen und jeweils eine Woche lang daran gearbeitet. „Wir haben einen ganz normalen Achtstundentag“, sagt Regina Fischer. Die meiste Zeit davon herrscht konzentrierte Stille im Malzimmer. Doch hin und wieder brauchen die Augen eine Pause, freie Sicht ins Weite oder eine kurze Plauderei mit der Kollegin.

„Zuerst zeichne ich das Motiv mit einem sehr weichen Bleistift vor“, erklärt Regina Fischer. Stimmen alle Linien und Proportionen, greift sie zur Feder. Die benutzt sie überwiegend für die Gebäudemalerei mit ihren scharfen Konturen. Blumen wiederum malt sie mit sehr hochwertigen Pinseln aus Eichhörnchenhaar.

Die Farben entstehen nach rund 10.000 verschiedenen Rezepturen im firmeneigenen Labor. Etwa 300 Farben kommen besonders häufig vor, darunter 42 Purpurtöne, 25 Gelbtöne und 17 Grüntöne. Regina Fischer mischt die Grundfarbe nach ihren Bedürfnissen an und variiert die Intensität über das lang erprobte Ausstreichen des Pinsels.

Ihre Arbeit verlange sehr viel Ruhe und Geduld, das musste auch sie erst lernen, erzählt sie. „Doch wenn die Aufgabe gemeistert und ein kunstvolles Stück fertig ist, macht das schon stolz.“

 

Von Nadja Laske

Foto: © Claudia Hübschmann
 

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