Von Georg Moeritz
Dresden. Das Homeoffice wird aus Deutschland nicht wieder verschwinden. Damit verändert sich nicht nur die Arbeit. Manche Bürohäuser verlieren an Wert, und Städteplaner müssen sich neue Gedanken um Wohnen, Arbeiten und Verkehr machen. Darüber waren Experten bei einer Diskussion des Berliner Beratungsunternehmens Rueckerconsult am Montag einig. Einige nahmen selbst aus dem Homeoffice teil – darunter die Dresdner Städtebau-Professorin Angela Mensing-de Jong. Sie rechnet mit großen Umstellungen.
Trend 1: Büroangestellte bleiben zwei bis drei Tage daheim
Das wird häufig gewünscht: zwei bis drei Tage Homeoffice pro Woche – als Möglichkeit, aber ohne feste Vorgabe. Diese Erfahrung hat Matthias Höppner gemacht, Geschäftsführer der Personalvermittlung Rectocon in Düsseldorf, die sich auf die Bau- und Immobilienbranche spezialisiert hat. Viele Firmen gewährten derzeit nur einen Homeoffice-Tag pro Woche, doch der Wunsch nach mehr sei groß. Fast jeder vierte Beschäftigte in Deutschland hat im Februar laut einer Ifo-Umfrage zumindest zeitweilig im Homeoffice gearbeitet. Höppner weiß natürlich, dass Bau- und Fabrikarbeitsplätze sich nicht in die Wohnung verlagern lassen, ebenso wenig wie das Gesundheitswesen und der Transport. Er kennt auch Architekten, die es stets nach draußen auf die Baustellen zieht – doch auch sie bevorzugten „völlige Freiheit bei der Wahl der Homeoffice-Tage“. Von Führungspersonal werde dagegen eher erwartet, immer ansprechbar und im Office erreichbar zu sein.
Trend 2: Der Freitag ist als Bürotag unbeliebt
Die Erfahrung seit der Corona-Zeit zeigt eine klare Entwicklung bei bevorzugten Wochentagen fürs Büro. Dienstag bis Donnerstag sind die frequenzstarken Tage, sagt Alexander Lackner, Geschäftsführer der Frankfurter Immobilienfirma Neworld. Auch an Montagen würden die Büros wieder recht gut genutzt, die Nachfrage in den Kantinen sei montags immerhin „okay“. Doch für den Freitag gebe es einen eindeutigen Trend: „Da sparen sich viele den Weg.“ Auch in Kantinen werde freitags erheblich weniger verzehrt. Dieser Kundenmangel schadet auch Gastwirten und Einzelhändlern. Büroangestellte sind wichtige Kunden in den Innenstädten. Professorin Mensing-de Jong weiß: „Jeder wünscht sich schöne Läden und gastronomische Angebote, aber der Leerstand nimmt zu.“ Abseits der 1A-Lagen sinkt das Interesse an Büros und auch an Ladenflächen. Kleine und Mittelstädte hätten es besonders schwer. Andererseits ermöglicht Homeoffice manchem den Wegzug aus der Großstadt.
Trend 3: Bewerber fragen zeitig nach flexibler Arbeit
Personalvermittler Höppner und seine „Headhunter“ sprechen beruflich Fachleute darauf an, ob sie die Stelle wechseln möchten. Häufig werden sie dann nicht zuerst nach dem Gehalt gefragt, sondern nach der Möglichkeit zum Homeoffice. Der Wunsch nach flexiblem Arbeiten sei weit verbreitet. „Juniors“ hätten es am liebsten vollständig flexibel. Höppner, selbst Vater von drei Kindern, sieht auch noch immer große Unterschiede bei der Rollenverteilung nach Geschlecht. Nach seiner Erfahrung müssen in vielen Familien mit Kind weiterhin die Frauen flexibler sein als die Männer. „Wenn das Kind krank ist, schreit es eher nach der Mutter“, sagt Höppner. Im Betrieb müsse für junge Eltern teilweise von Monat zu Monat eine Lösung gefunden werden.
Trend 4: Manche Büros werden zu Wohnungen
In den vergangenen Jahren haben viele Unternehmen mit gemieteten Büros versucht, Teilflächen zurückzugeben. Neworld-Geschäftsführer Lackner sagt, nicht alle „Untermietflächen“ ließen sich vermarkten. Nach einer Studie des Frankfurter Gewerbeimmobilien-Dienstleisters Colliers schrumpft der Bedarf an Büroflächen in den sieben größten deutschen Städten langfristig um etwa zwölf Prozent. Allerdings wird eine große Spanne um diese Zahl genannt. Mehr Menschen pendeln zur Arbeit. Professorin Mensing-de Jong sagt, der Bedarf an Wohnraum wachse, der Engpass in den Ballungsräumen werde schlimmer. Dabei habe Deutschland schon den europaweit größten Bedarf: Pro Quadratmeter stehen 47 Quadratmeter Wohnraum pro Person zur Verfügung, dagegen 28 in Polen. Es gibt Versuche, Bürohäuser zu Wohnungen umzubauen, etwa in Frankfurt-Niederrad. Das sei aber teuer, weil Bäder und Abflussrohre, Schalldämmung und Brandschutz zu berücksichtigen seien. Laut Simon Kempf, Mitgründer von DLE Land Development, ist Baurecht für den Umbau schwer zu bekommen und Neubau oft einfacher als Umbau. Mensing-de Jong rät dazu, in den Stadtvierteln gut zusammenzuarbeiten, auch Bürgerinitiativen bei der Planung einzubeziehen. Schicke Coworking-Arbeitsflächen könnten ein Gebiet attraktiv machen.
Trend 5: Motivieren und Führen wird für Chefs schwieriger
Das Homeoffice eignet sich nicht für jede Büroarbeit. Führungskräfte merken laut Personalvermittler Höppner, dass online führen und motivieren mit Telefon und Kamera schwierig ist. Bei zu viel Homeoffice gehe Kreativität verloren. Wer in der eigenen Wohnung arbeite, werde womöglich abgelenkt durch Haushalt, Familie, Handwerker. Auch Immobilienexperte Lackner sagt, die Treffen im Büro seien wichtig für Kreativität und Innovationen. In „echten“ Sitzungen spreche so mancher ein Thema an, das am Bildschirm im „30-Minuten-Call“ weggelassen werde. Vor allem jüngere, neue Mitarbeiter merken, dass sie sich im Homeoffice nicht gut mit Kollegen austauschen und Erfahrung sammeln können. Eine gute Führungskraft sorge dafür, dass die Mitarbeiter nicht zu selten ins Büro kämen. Sonst entstehe eine Kombination: gelegentlich ins Büro fahren, um unterwegs noch Dinge zu erledigen.
Trend 6: Manche Homeofficer kehren zurück
Die Dresdner Professorin Mensing-de Jong stellt „teils gegenläufige Tendenzen“ um das Homeoffice fest. Einerseits gebe es weniger Fahrten ins Büro, das sei erst einmal umweltfreundlich. Manche Familien ziehen „ins Grüne“ und nehmen dafür längere Arbeitswege in Kauf. DLE-Geschäftsführer Kempf sagt: „Die Leute haben ein gewisses Budget.“ Für eine größere Wohnung akzeptiere mancher längere Fahrten, aber nicht täglich. Andere dagegen kehrten zurück ins Büro, weil sie daheim zu wenig Platz zum Arbeiten fänden. „Wenn die Leute wirklich viel zu Hause arbeiten, dann fehlt ein Zimmer“, sagt Kempf. Bei zehn Euro Miete oder mehr pro Quadratmeter Wohnfläche sei es auch viel verlangt, einen Teil davon zur Arbeitsfläche zu machen. In Metropolen wie Paris und London seien schon deswegen viele ins Büro zurückgekehrt. Noch ein Grund fürs Büro des Arbeitgebers: Dort werden Arbeitsstättenrichtlinie und Gesundheitsschutz in der Regel eingehalten. Wer auf einem Hocker in der heimischen Küche am Laptop arbeite, spare vielleicht zunächst Geld für Büroeinrichtung – aber später müsse die Krankenversicherung für seine Rückenschäden zahlen. Arbeitnehmer trauen sich laut Kempf kaum, ihre Chefs auf Büromöbel fürs Homeoffice anzusprechen – aus Sorge, dann wieder zu häufig ins Büro zu müssen.
Trend 7: Worauf Büroplaner nun achten müssen
Das Büro ist ein wichtiger Treffpunkt. Damit Angestellte wieder gerne dorthin kommen und gemeinsam Ideen entwickeln, muss es attraktiv gestaltet sein, betonen die Immobilien-Entwickler. Neworld-Geschäftsführer Lackner sagt, Büroflächen in schlechten Lagen und im Zustand der 80er-Jahre hätten es schwer. Die Büroangestellten legten Wert auf rückenfreundliche Möbel und „vernünftige Küchen“. Getränke und Snacks seien schon weit verbreitet, Angebote von Sport und Spiel zur Stärkung von Gemeinschaft und Gesundheit ebenfalls. Großraumbüros mit 60 Plätzen wolle niemand, bei acht oder zwölf sei für viele die Grenze. Nicht nur in Innenstädten werden Coworking-Spaces angeboten, also Büros zur Vorbestellung zur gelegentlichen Zusammenarbeit. Ruhige Lagen seien gewünscht, andererseits aber gute Anbindung an die S-Bahn und Parkplätze. Mancher wolle doch lieber Läden und ein Café in der Nähe. In einem Hamburger Szeneviertel wurden die Entwickler jüngst gebeten, bei der Planung auch genügend Stellflächen für die Lastenfahrräder der Mitarbeiter einzuplanen.