Georg Moeritz
Dresden. Vorfahrt für duale Ausbildung, zum Beispiel mit einem Azubi-Ticket für 29 Euro im Monat – das fordern gemeinsam sächsische Unternehmer und der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) Sachsen. Auszubildende müssten „gleiche Rahmenbedingungen vorfinden wie Studierende“, heißt es in einem Forderungspapier, das die Industrie- und Handelskammer (IHK) sowie die Handwerkskammer zu Leipzig gemeinsam mit der stellvertretenden DGB-Sachsen-Vorsitzenden Daniela Kolbe unterschrieben haben. Sie wollen, dass ihre Forderungen in den nächsten sächsischen Koalitionsvertrag aufgenommen werden. Dazu gehören auch Änderungen an Berufsschulstandorten und kürzere Fahrzeiten.
Der Leipziger IHK-Präsident Kristian Kirpal sagte, zur Sicherung des Fachkräftebedarfs der sächsischen Wirtschaft müsse die Berufsorientierung verbessert werden. Politische Entscheider müssten die Vorzüge der Lehre im Betrieb stärker propagieren und präsentieren. Für die duale Ausbildung müssten öffentliche Mittel „in gleicher Größenordnung wie für die hochschulische Ausbildung“ zur Verfügung gestellt werden. Erst am Montag hatte der Dresdner Handwerkskammer-Hauptgeschäftsführer Andreas Brzezinski kritisiert, an sächsischen Gymnasien sei „Berufsorientierung immer noch ein weißer Fleck“. An allen allgemeinbildenden Schulen müsse auf die Vorzüge der Berufsausbildung hingewiesen werden. Die „Gleichwertigkeit beruflicher und akademischer Bildung“ müsse gestärkt werden.
Im vorigen Jahr hatte das Handwerk mit einer Plakataktion Gleichwertigkeit Lehre und Studium gefordert. An einem Baugerüst an einer Dresdner Schulturnhalle war beispielsweise groß ein Mädchengesicht zu sehen, mit der rhetorischen Frage: „Was gegen Handwerk spricht? Meine Akademiker-Eltern.“ Dabei gebe es nirgendwo mehr erfolgreiche Start-up-Betriebe als im Handwerk.
Lehrlinge sind „Klimaretter von morgen“
In ihrem neuen Forderungspapier schreiben die Unternehmer und Gewerkschafter, die duale Ausbildung biete „hervorragende Karrieremöglichkeiten“. Viele Handwerker seien „Weltverbesserer und Klimaretter von morgen“. Lehrberufe seien wichtig für die Dekarbonisierung und Digitalisierung der Wirtschaft, also für die notwendige Transformation der Wirtschaft. Die duale Berufsausbildung müsse gesellschaftlich mehr Anerkennung erfahren.
Die Lehrlinge sollen nach den Vorstellungen der Arbeitgeber und Gewerkschafter ein ermäßigtes Deutschlandticket als Azubi-Ticket zum Preis von 29 Euro im Monat für den öffentlichen Verkehr bekommen. Erst zum August war das Azubiticket zum Preis von 48 Euro im Verkehrsverbund eingestellt worden. Das sächsische Verkehrsministerium hatte mitgeteilt, seit Einführung des Deutschlandtickets sei die Nutzerzahl um 70 Prozent auf 8.400 gesunken. Sachsen habe nicht genügend Geld, um das Ticket weiterhin zu subventionieren.
Kürzere Fahrzeit zum Berufsschulunterricht – dank Modul-Angeboten
Den Auszubildenden soll außerdem geholfen werden, indem der Weg zu Berufsschule kürzer wird: Der Standort des Berufsschulunterrichts müsse sich künftig nach den Standorten der Ausbildungsbetriebe richten. Statt Zentralisierung müsse es modularisierte Angebote und Spezialkurse geben können, auch einzügige Berufsschulklassen und höchstens zwei Stunden Zeit pro Tag für die Fahrt zur Berufsschule und zurück. Das Forderungspapier weist darauf hin, dass im nächsten Jahr ohnehin eine Evaluierung der Teilschulnetzplanung für die berufsbildenden Schulen stattfindet. Dann müsse es „notwendige Anpassungen“ geben. Die künftigen Berufsschulen müssten auf Strukturwandel und regionale Bedarfe ausgerichtet sein – etwa Energiewende, Hochlauf der Wasserstoffindustrie und „Transformation of Chemistry“.
Der Freistaat Sachsen und die Landkreise als Träger sollen auch ausreichend bezahlbaren Wohnraum für Azubis bereitstellen, heißt es in dem Forderungspapier. Die Einrichtung eines Azubi-Werkes als Anstalt des öffentlichen Rechts könnte diesem Zweck dienen – ähnlich wie Studentenwerke an den Hochschulen. Im Juli hatte Sachsens DGB-Jugend gefordert, Wohnheimplätze mit einer bezahlbaren Miet-Obergrenze zu schaffen. Die DGB-Jugend forderte ein kostenloses Bildungsticket.
In der Region Leipzig steigen nach Angaben in dem neuen Forderungspapier die Absolventenzahlen der allgemeinbildenden Schulen bis 2035 um fast 45 Prozent verglichen mit dem Jahr 2020. Andererseits sei zu erwarten, dass jeder dritte Berufsschullehrer bis 2030 in Rente geht. Quereinsteiger müssten unterstützt werden. Die Unternehmer und Gewerkschafter fordern außerdem, die praktische Berufsorientierung an den Schulen zu verbessern und dazu dezentrale Lehrwerkstätten zu nutzen. Der Staat solle Fahrtkosten von Klassenverbänden für Betriebspraktika übernehmen. Unternehmen sollen mit Ersatz für ihren Aufwand rechnen können, wenn sie Kapazitäten für Praktika vorhalten. Für Schüler mit schlechten Berufsaussichten müsse es rechtzeitig Angebote der Arbeitsagentur geben – und deshalb müssten rechtliche und technische Voraussetzungen für einen Austausch von Schülerdaten zwischen Agentur und den Schulträgern geschaffen werden.