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Sollen die ländlichen Räume im Osten aufgegeben werden?

Ökonomen sehen nur eine Chance, wie die Ost-West-Unterschiede irgendwann auszugleichen sind.

Lesedauer: 3 Minuten

Die wichtigsten Befunde einer neuen Studie des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) klingen bekannt: Auch 30 Jahre nach der Einheit sind die Unterschiede bei Wirtschaftsleistung, Produktivität und Löhnen zwischen Ost und West noch immer erheblich. Die Vermutungen der Wissenschaftler über einige Ursachen und vor allem ihre Vorschläge für die Zukunft haben es aber in sich.

„Das Bestehen auf gleichwertigen Lebensverhältnissen in Deutschland hat in die Irre geführt, ist unrealistisch und falsch“, sagte der Instituts-Präsident Reint Gropp am Montag bei der Vorstellung der Untersuchung. Wenn sich die Wirtschaftskraft in Ost und West weiter annähern soll, müsse man vor allem die Städte stärken. Denn dort entstünden die hochwertigen Dienstleistungen, die die Wirtschaft mehr und mehr bestimmen würden. Gropp: „Natürlich ist es hart zu sagen, wir müssen ländliche Räume aufgeben. Aber nur so haben wir eine Chance, die Unterschiede zwischen Ost und West irgendwann mal auszugleichen.“ 

Eine Analyse der Studie:

Ostdeutschland ist durchgehend weniger produktiv als der Westen

Dem Bericht zufolge erreiche kein einziges Bundesland im Osten die Produktivität des schwächsten westdeutschen Bundeslandes. Dies habe auch, aber nicht nur mit den fehlenden Konzernzentralen in Ostdeutschland zu tun. Der eindeutige Befund: 464 der 500 größten deutschen Unternehmen haben ihren Sitz im Westen, also etwa 93 Prozent. Da generell die Produktivität mit der Betriebsgröße steige, ist in Ostdeutschland eine geringere Produktivität zu verzeichnen. Das sei allerdings nur ein Teil der Geschichte, sagen die Forscher: Selbst wenn man die unterschiedlichen Betriebsmerkmale berücksichtigt, haben ostdeutsche Betriebe in jeder Größenklasse eine niedrigere Produktivität von mindestens 20 Prozent. Sie stellen also – grob gesagt – mit der gleichen Mitarbeiteranzahl ein Fünftel weniger Produkte her.

Produktivitätsrückstand ist auch Folge der Subventionspolitik

Dass Potenziale für Produktivitätssteigerungen im Osten noch nicht ausgeschöpft werden, hat nach Einschätzung der IWH-Ökonomen auch mit staatlichen Subventionen zu tun: Sind diese an die Bedingung geknüpft, Arbeitsplätze zu erhalten oder zu schaffen, dann kann das einer Erhöhung der Arbeitsproduktivität im Wege stehen. „Die Subventionspolitik hatte negative Konsequenzen“, so Gropp. Sie habe Unternehmen verleitetet, nicht benötigte Arbeitsplätze zu erhalten. In Zeiten von Fachkräftemangel sollte Wirtschaftsförderung deshalb nicht um jeden Preis für Arbeitsplätze sorgen, sondern für Produktivitätssteigerung. Statt Geld an ostdeutsche Firmen zu verteilen, solle der Staat lieber in eine exzellente Infrastruktur investieren.

Staat sollte vor allem die ostdeutschen Städte stärken

Die Produktivität unterscheidet sich laut den Forschern zwischen den ost- und westdeutschen Städten mehr als zwischen den ländlichen Regionen. Die Gründe: Konzernzentralen sind häufig in den (westdeutschen) Städten angesiedelt, und drei Viertel der Beschäftigten im Westen arbeiten in Städten, während es im Osten nur die Hälfte ist. Wenn sich aber die Wirtschaftskraft in Ost und West weiter annähern soll, müsse man vor allem die Städte stärken. Denn dort entstünden jene hochwertigen Dienstleistungen, die die Wirtschaft mehr und mehr bestimmen. In der Wissensgesellschaft sind Städte die zentralen Orte von Forschung, Innovation und Wertschöpfung – und damit für Wohlstand. „Wir sollten aufhören, dort auf Teufel komm raus Arbeitsplätze zu erhalten“, empfahl Gropp mit Blick auf das Land.

Für mehr Fortschritt braucht es ausreichend Fachkräfte

In Ostdeutschland fehlen zunehmend Fachkräfte. Das hat laut Studie vier Gründe: Der Osten hatte bis zum Anfang der 2000er-Jahre einen größeren Anteil hoch qualifizierter Beschäftigter als der Westen; dieser Vorsprung sei mittlerweile fast überall verloren gegangen. Zweitens: Die Schulabbrecherquoten seien im Osten höher als in Westdeutschland. Zudem nehme die Zahl der Personen im erwerbsfähigen Alter in den ostdeutschen Flächenländern in Zukunft deutlich schneller ab als in den westdeutschen. Und schließlich: Hochqualifizierte Zuwanderer, die zum Beispiel eine Blaue Karte EU haben, ziehen viel eher in west- als in ostdeutsche Regionen.

Der Osten muss sich weltoffen und attraktiv für Zuwanderer präsentieren

Die Forscher ermutigen in der Studie die Politik: Exzellente Bedingungen ziehen exzellentes Personal an. Orte mit attraktiven Wohn- und Arbeitsbedingungen und einem breiten Angebot von Wissenschafts-, Bildungs- und Kultureinrichtungen können den Strukturwandel in Ostdeutschland voranbringen, wenn sie sich als weltoffen und attraktiv für qualifizierte Zuwanderung profilieren.

 

Von Peter Heimann  

Foto: © André Schulze

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