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Spezialbäckerei Jarmer in Kottmarsdorf gibt auf

Jacqueline und Ulf Jarmer haben ihr Unternehmen zum Jahreswechsel dichtgemacht. Mangelndes Kundeninteresse war nicht der Grund. Stattdessen hat es viele andere Ursachen gegeben.

Lesedauer: 4 Minuten

Man sieht ein Bäckereischild.

Kottmarsdorf. Brot und Brötchen gibt es seit Jahresbeginn keine mehr in der Bäckerei Jarmer an der Löbauer Straße in Kottmarsdorf. Das in Ostsachsen dank seiner Vollkorn- und glutenfreien Brote auch als Allergienbäckerei bekannte Unternehmen hat geschlossen. Für immer – das macht ein Aushang an der Ladentür klar. Um den Kunden die Gründe für das Aus zu erklären, nehmen Jacqueline und Ulf Jarmer kein Blatt vor den Mund. „Die katastrophale Politik der letzten Jahre“ und die „damit verbundene desaströse Wirtschaftslage in Deutschland“ habe ihr Geschäftsmodell zum Scheitern gebracht, schreiben sie. Deshalb sei es ihnen „nicht möglich, unsere Bäckerei wie gewohnt weiter zu betreiben“, so das Unternehmerpaar.

Dabei zeugt ein Dokument im früheren Laden von einer noch nicht allzu weit zurückliegenden, heileren Welt. Erst 2024, also vor ein paar Monaten, hat die Handwerkskammer Jacqueline Jarmer mit einer Urkunde nachträglich die am 10. Dezember 1991 bestandene Meisterprüfung bestätigt. Sie bescheinigt ihr mit dem Schriftstück, Meisterin ihres Handwerks zu sein. „Das ist zwar schön, hilft uns in der aktuellen Situation aber nicht weiter“, sagt die 55-Jährige.

Das Bäckerehepaar nimmt kein Blatt vor den Mund und erklärt den Kunden auf einem Info-Blatt die Gründe für die Geschäftsaufgabe.
Das Bäckerehepaar nimmt kein Blatt vor den Mund und erklärt den Kunden auf einem Info-Blatt die Gründe für die Geschäftsaufgabe.
Quelle: Rafael Sampedro/foto-sampedro.de

Schon seit mehreren Jahren seien die Umstände in ihrer Branche immer kritischer geworden. „Sicher, die Jahresbilanz war trotzdem immer positiv. Aber seit Corona kannten die Zahlen nur noch eine Richtung – nach unten. Und sie haben sich nicht erholt.“ In den nächsten Jahren werde sich – das sei gewiss – daran auch nichts ändern. Deshalb zögen sie „schweren Herzens einen Schlussstrich.“ So haben es die Jarmers in ihrem Info-Schreiben an die Kunden formuliert. Wichtig ist den beiden: „Es ist eine Geschäftsaufgabe, keine Insolvenz.“

1990 hatte Jacqueline Jarmer zusammen mit ihrem Mann Ulf im alten Kretscham an der S148 in Kottmarsdorf einen Imbiss eröffnet und später eine Bäckerei daraus gemacht. Als ihre Kinder unter allergischem Asthma und Neurodermitis mit Lebensmittelallergien litten, stellten sie ihre Backphilosophie um. Es folgte die Entwicklung hin zur Allergiebäckerei, deren Produkte Kunden aus ganz Ostsachsen haben wollten. Denn überall gab es Personen mit Unverträglichkeiten. Zusätzlich wurden Wochenmärkte in Zittau, Görlitz, Bautzen und Dresden angefahren.

Doch all das hat nicht gereicht, um das Unternehmen in eine sorgenfreie Zukunft zu führen. Im Gegenteil: „Kostensteigerungen in allen Bereichen ließen uns immer weniger Luft zum Atmen“, erklärt die Bäckermeisterin. Und sie führt einige Beispiele auf, wie sich die Preise zwischen 2000 und heute entwickelt haben. Der Liter Heizöl habe sich von 0,40 auf 0,91 Euro verteuert. Benzin für die Bäckerautos kostet nicht mehr 1,03 Euro je Liter, sondern muss für 1,80 gekauft werden. Auch der Strompreis – für eine Bäckerei ein ganz wesentliches Element – ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen: von 0,16 auf 0,35 Euro je Kilowattstunde.

Jeder hat mit steigenden Kosten zu kämpfen. Das ist eine Spirale ohne Ende. – Jacqueline Jarmer, Bäckermeisterin aus Kottmarsdorf

Ganz zu schweigen von den Kosten für Handwerkerstunden, die im Unternehmen für Elektro- und Installationsarbeiten, für den Backofenbauer, aber auch Maschinenwartung und Instandhaltung der Bausubstanz immer wieder anfallen. „Der Stundensatz ist von 15 bis 25 Euro auf jetzt 45 bis 65 Euro gestiegen“, rechnet Jacqueline Jarmer vor. Einen Vorwurf macht sie den Kollegen der anderen Branchen aber nicht. „Jeder hat mit steigenden Kosten zu kämpfen. Das ist eine Spirale ohne Ende.“

Ein Bild aus besseren Tagen: Hier zeigt Jacqueline Jarmer 2009 die große Vielfalt der in der Dorfbäckerei hergestellten Produkte.
Ein Bild aus besseren Tagen: Hier zeigt Jacqueline Jarmer 2009 die große Vielfalt der in der Dorfbäckerei hergestellten Produkte. Quelle: Weber, Matthias

Wobei es noch einige andere Faktoren gibt, die den Preis für die sowieso schon nicht ganz billigen Allergiebackwaren zusätzlich unter Druck setzen. Für das Material – also Mehle, Zutaten und spezielle Zuschlagstoffe – muss die Dorfbäckerei einen 100-prozentigen Preisaufschlag berappen. Pflichtversicherungen, Kosten für Steuerberater und Bankgebühren, außerdem Beiträge für Handwerkskammer, Innung und Berufsgenossenschaft sind ebenfalls in die Höhe geschnellt. Nicht zu vergessen die „inflationsbedingt notwendige Lohnerhöhung für die Mitarbeiter“, erklärt Jacqueline Jarmer.

Und sie fährt fort: „All das können wir nicht auf unsere Produkte umlegen.“ Um nur einigermaßen am Markt teilnehmen zu können, müsste ein großer Teil der Produkte unter dem Herstellungspreis verkauft werden. Das wolle und könne man jedoch nicht. Denn am Ende stünde irgendwann die Insolvenz. Und die Situation in Deutschland, die bevorstehenden Wahlen inbegriffen, mache wenig Hoffnung auf Besserung.

In Zukunft gehen wir nur noch aus Lust und Laune in die Backstube, quasi für den Eigenbedarf. – Jacqueline Jarmer, Bäckermeisterin aus Kottmarsdorf

Das Bäckerehepaar ist traurig, dass es so weit gekommen ist. Persönlich geht es für die beiden Kottmarsdorfer in der Branche aber weiter. Ulf Jarmer hat eine Anstellung bei einem befreundeten Bäckermeister gefunden. Jacqueline Jarmer gibt ihre Erfahrungen als Fachlehrerin für Bäcker und Fachverkäufer am Berufsschulzentrum in Görlitz weiter. „In Zukunft gehen wir nur noch aus Lust und Laune in die Backstube, quasi für den Eigenbedarf. Denn die Maschinen und Anlagen stehen ja noch.“

SZ

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