Dresden. Wer nach vorne schauen will, sollte zunächst zurückblicken. Die Bahninfrastruktur im Freistaat dünnte nach der Wende stark aus. „Sachsen wurde in den 90er-Jahren vom Bahnverkehr abgehangen“, sagte der damalige Verkehrsminister Martin Dulig vor einem Jahr. „Viele Strecken wurden schlichtweg stillgelegt, weil sie nicht mehr genutzt wurden“, fügte der Sozialdemokrat hinzu. Mittlerweile befinde sich das Land in einem mühsamen Nachholprozess. Es gehe darum, den Bahnverkehr vom Abstellgleis auf die Überholspur zu bringen.

Wie geht das? Tatsächlich nahm die Deutsche Bahn nach der Wende 178 Bahnhöfe in Sachsen außer Betrieb, wie der damalige Dresdner Bundestagsabgeordnete Torsten Herbst (FDP) 2020 erfragte. Die Gründe: mangelnde Wirtschaftlichkeit, Abwanderung, zu wenig Fahrgäste.
Fast 400 Millionen Euro für Elektrifizierung
Es ist nicht leicht, eine Kehrtwende einzulegen. Immer wieder fragen Landtagsabgeordnete die Staatsregierung nach Plänen für Bahnstrecken, vor allem auf dem Land. Ein Beispiel: Um die Verbindung zwischen Dresden und dem ostsächsischen Demitz-Thumitz zu elektrifizieren, sind nach einer Schätzung fast 400 Millionen Euro notwendig, wie aus der Antwort der Staatsregierung auf eine Anfrage der Grünenabgeordneten Katja Meier hervorgeht. Abzüglich bereits vereinbarter Planungsleistungen liege der Landesanteil bei 60 bis 80 Millionen Euro. Das verdeutlicht: Für den Push der Infrastruktur ist eine Menge Geld nötig.

Zweites Beispiel: Für den Neubau einer Bahnstrecke zwischen Seifhennersdorf und dem etwa sechs Kilometer entfernten tschechischen Rumburk weist eine Machbarkeitsstudie Kosten zwischen 32 und 56 Millionen Euro aus. Zudem sind, wie das Infrastrukturministerium auf eine Anfrage des AfD-Abgeordneten Tobias Keller antwortete, noch millionenschwere Investitionen in die Infrastruktur notwendig, etwa ein Drittel davon auf deutscher Seite. Dafür sowie für die Reaktivierung bestehender Gleise bestünden keine Planungsabsichten. Allerdings sehe der sächsische Koalitionsvertrag die Prüfung dieses Schrittes vor.
Verbesserungen gibt es auch
Es lassen sich noch mehr Beispiele finden, auch für Zentren. Sachsens drittgrößte Stadt Chemnitz beispielsweise ist trotz des riesigen Bahnhofes mit der Ausnahme einer von Dresden verlängerten Intercity-Verbindung nicht ans Fernnetz angebunden. All das zeigt, wie kompliziert, langwierig und teuer Neubau, Modernisierung sowie Wiederinbetriebnahme von Strecken sind. Freilich: Verbesserungen gibt es durchaus. So ist es mittlerweile möglich, mit der Bahn in eineinhalb Stunden von Dresden nach Berlin zu reisen. Vor einigen Jahren dauerte das noch zwei Stunden.
Jetzt doch wirtschaftlich
Im April ließ eine Meldung aufhorchen. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) teilte mit dem Verweis auf neue Berechnungen des Bundesverkehrsministeriums mit, die vollständige Elektrifizierung der Sachsen-Franken-Magistrale sei nun doch wirtschaftlich. Entsprechende Planungen könnten also aufgenommen werden.
Worum geht es? Von Dresden aus ist die Strecke bis ins fränkische Hof elektrifiziert. In Richtung Nürnberg und Regensburg geht es mit Dieselloks weiter – eng und laut. Eine aktuelle Prognose hatte ein fünf Jahre altes Gutachten entkräftet, wonach die Investitionen für den Ausbau mangels Wirtschaftlichkeit nicht vollständig refinanziert werden können.
Kretschmer bezeichnete die neuen Daten als „starkes und längst überfälliges Signal für die Menschen in Sachsen und in der deutsch-tschechischen Grenzregion“. Es gehe um eine Investition in den Wirtschaftsstandort und die Mobilität. Kretschmer: „Nun erwarten wir vom Bund auch ein klares Bekenntnis zur zügigen Umsetzung – trotz der angespannten Haushaltslage.“
Nun erwarten wir vom Bund auch ein klares Bekenntnis zur zügigen Umsetzung – trotz der angespannten Haushaltslage. – Michael Kretschmer, Sachsens Ministerpräsident
Helfen könnte das Sondervermögen. 500 Milliarden Euro will der Bund in den kommenden zwölf Jahren über Kredite finanzieren und damit die Infrastruktur modernisieren. Im Koalitionsvertrag haben Union und SPD auf Bundesebene zudem festgehalten: „Investitionen in das deutsche Schienennetz werden gesteigert.“ Planungen zur Elektrifizierung von Bahnstrecken sollen beschleunigt werden. Vorgesehen ist sogar der Verzicht auf die Kosten-Nutzen-Rechnung. Elektrifizierung sieht die Bundesregierung als Beitrag zum Klimaschutz. Dafür sollen Mittel aus dem Klima- und Transformationsfonds fließen.
Beschwerde über Dieselgeruch
Reisende auf der Sachsen-Franken-Magistrale dürfte das freuen. Und womöglich auch die zwischen Chemnitz und Leipzig. Dort sind Dieselloks unterwegs, Passagiere klagten unlängst über Geruchsbelästigung durch Abgase. Die Industrie- und Handelskammer Chemnitz startete eine Petition, die den weitgehend zweigleisigen Ausbau und die Elektrifizierung der Strecke fordert. Die Chemnitzer Bahninitiative unterstützt das. Deren Sprecher Sebastian Drechsler betont: „Jetzt braucht die Region endlich Gewissheit sowie eine verlässliche und leistungsfähige Bahnanbindung.“
SZ