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Stein um Stein weniger Gefahr

Der schiefe Schornstein von Großenhain ist Geschichte. Mitarbeiter eines Abrissunternehmens haben ihn per Hand abgetragen.

Lesedauer: 2 Minuten

Schwindelfrei müssen die Bothur-Männer schon sein. Auch wenn der alte Schornstein in der Großenhainer Herrmannstraße bei Weitem nicht mit anderen ähnlichen Bauwerken in der Stadt mithalten kann, reichen die rund 20 Meter aus, weniger höhentauglichen Zeitgenossen ein flaues Magengefühl zu bereiten.

Am Donnerstagmorgen hat das hiesige Abrissunternehmen Bothur damit begonnen, den als „schiefen Turm von Großenhain“ bekanntgewordenen Schornstein Schicht für Schicht abzutragen. Mit Hilfe eines Autodrehkrans gelangten zwei Mitarbeiter der Firma in einer Krangondel an die schräge Esse, lockerten jeden Klinkerstein einzeln und ließen die Ziegel in den Schlund des Schornsteins fallen. Das Ziel: Noch am gleichen Abend soll von dem „schiefen Turm von Großenhain“ nichts mehr zu sehen sein. „Wir müssen fertig werden, bevor der Wind kommt“, sagt Kranführer Frank Ludewig. Denn es bestand die Gefahr, dass der Schornstein, der vor allem im oberen Bereich umzukippen drohte, auf die Gleise der benachbarten Bahnstrecke Dresden-Cottbus fällt.

Kaum zu glauben, aber wahr: Erst vor Kurzem wurde das Problem bekannt. Mitglieder des hiesigen Judovereins hatten auf den schiefen Schornstein aufmerksam gemacht. Denn in unmittelbarer Nähe befinden sich die Trainingsräume der Kampfsportler.

Immer, wenn die Judoka ihre Sporthalle an der Herrmannstraße verließen, rechneten sie damit, dass ein Ziegel herunter fallen würde. Wenn nicht sogar der gesamte Schornstein. Auch fürs bloße Auge sichtbar, neigte er sich bedrohlich nach links. Die Sportler sind sich sicher, dass ein starker Windstoß ausgereicht hätte, um den „schiefen Turm von Großenhain“ zum kippen zu bringen. Und das hätte böse Folgen haben können. Für die Judoka oder für Bahnreisende. Je nachdem, in welche Richtung der alte Schornstein gefallen wäre.

Dass er fällt, war nur eine Frage der Zeit. Umso erstaunlicher ist es, dass seine kritische Neigung zuvor offenbar von niemanden bemerkt wurde. Wie Recherchen der WiS ergaben, warem weder die Stadtverwaltung noch die hiesige Wohnungsverwaltungs- und -baugesellschaft darüber im Bilde, welche Einsturzgefahr von dem Schornstein ausging. Immerhin reagierte das Rathaus sofort und schaltete die zuständige Bauaufsichtsbehörde des Landkreises ein. Mitarbeiter des Kreisbauamtes sahen sich Ende September bei einer Ortsbesichtigung das Dilemma an. Es folgte ein Schreiben an den Grundstückseigentümer, in dem er auf den schlechten baulichen Zustand des Schornsteins hingewiesen und aufgefordert wurde, Abhilfe zu schaffen.

Das Bauwerk stand auf einem Sockel. Genutzt wurde der Schornstein offenbar schon seit Jahren nicht mehr, auch das Betreten des Grundstücks wird durch einen Zaun verhindert. Das Kreisbauamt hat im Zuge der Untersuchungen dem Eigentümer empfohlen, den Schornstein bis Ende Oktober bis auf Sockelhöhe abzutragen. Nun wurde die Firma Bothur mit dem Abriss beauftragt.

Die Klinkersteine können übrigens nicht wiederverwendet werden. Sie sind versottet und müssen als Sondermüll entsorgt werden. Das kostet zusätzlich Geld. Wohl auch deshalb hatte sich der Eigentümer vor einem Abriss des Schornsteins gescheut. Doch wieder einmal gilt die alte Regel: Eigentum verpflichtet.

 

Von Jörg Richter und Thomas Riemer

Foto: © Kristin Richter

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