Thomas Lissner braucht ein Mikrofon, um sich Gehör zu verschaffen. Das Konzert aus Trillerpfeifen vor der Nudelfabrik ist ohrenbetäubend. „Wer hart arbeitet, verdient es auch, mehr als den Mindestlohn zu bekommen“, ruft der Gewerkschaftssekretär der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG). Die Reaktion: Beifall und weiteres Pfeifen.
Vier Stunden lang wurde am gestrigen Dienstag bei den Teigwaren Riesa gestreikt. Mehr als 70 Mitarbeiter – rund die Hälfte der Belegschaft – haben sich mit gelben Warnwesten vor dem Eingang zum Nudelkontor postiert. Zum zweiten Mal innerhalb von knapp zwei Wochen gibt es dort einen Warnstreik.
Ziel der NGG ist die Aufnahme von Tarifverhandlungen. Lief beim ersten Mal die Nudelproduktion zumindest noch eingeschränkt, ist sie diesmal laut Betriebsrat stillgelegt. „Wir streiken zwar nur vier Stunden, aber mit den Reinigungsarbeiten bedeutet das eine Schicht Arbeitsausfall“, sagt Betriebsratschef Daniel Zielke. Er unterhält sich gerade mit dem Linken-Landtagsabgeordneten Klaus Tischendorf und Linken-Stadträtin Uta Knebel. „Sachsen darf nicht länger das Image des Billiglohnlands anhängen“, sagt die Riesaerin.
Das Unternehmen selbst hatte sich zu konkreten Lohnhöhen nicht äußern wollen, allerdings treffe es nicht zu, dass der größte Teil der Mitarbeiter nur knapp über Mindestlohn verdiene. Zudem müsse man kontinuierlich in neue Anlagen, Reparaturen und Revisionen investieren, um den Standards der Lebensmittelproduktion zu entsprechen, teilte Geschäftsführer Martin Steidl mit. Betriebsratschef Zielke verweist auf öffentlich einsehbare Zahlen der Albgold-Gruppe, zu denen das Unternehmen Teigwaren Riesa gehört. „Von 2007 bis 2016 hat die Albgold-Gruppe mehr als 30 Millionen Euro Gewinn gemacht, der Großteil davon stammt aus Riesa. Da brauchen sich die Mitarbeiter nicht mit einem Lohn dicht am Mindestlohn abspeisen zu lassen.“
Die Geschäftsführung hatte angegeben, dass man „offene Fragen“ zwischen Betriebsrat und Geschäftsführung regeln könne – ohne „fremde Hilfe“. Sprich: ohne Gewerkschaft. Daniel Zielke sieht es anders. „Verhandlungen über Tarife übersteigen die Kompetenz des Betriebsrats: Das ist die Aufgabe der Gewerkschaft!“ Die Gespräche des Betriebsrats mit der Geschäftsführung liefen parallel – über Überstundenregelungen, Schichtpläne, Umkleidezeit. Und ohnehin sei ein großer Teil der Belegschaft mittlerweile in der Gewerkschaft: Aus etwa einem halben Dutzend NGG-Mitgliedern im Frühjahr seien in den vergangenen Monaten mehr als 100 geworden – bei 145 Mitarbeitern insgesamt.
„Mit Sicherheit wird ein Großteil der Mitarbeiter nach einem jahrzehntelangen Berufsleben in der Grundsicherung landen“, sagt Frank Meyer vom Betriebsrat. „Dann bekommen unsere Kollegen so viel Geld, wie jemand, der nie gearbeitet hat.“ Bislang stelle sich die Geschäftsführung beim Thema Tarifvertrag stur. Aber man habe einen langen Atem, sagt NGG-Regionalchef Volkmar Heinrich in Riesa.
Die NGG kündigt an, die Warnstreiks fortzusetzen. Der Nächste werde dann nicht mehr vier, sondern acht Stunden dauern. „Wenn es sich nicht vermeiden lässt, gehen wir in einen unbefristeten Streik“, sagt Lissner. Laut Betriebsrat mache sich schon ein drei- bis viertägiger Ausstand durch Lücken im Sortiment bemerkbar.
Von Christoph Scharf
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