Andreas Dunte, Florian Reinke und Franziska Höhnl
Leipzig. Sachsens Industrie verharrt im Tief. Wegen zu geringer Aufträge, hoher Kosten und schlechter Wettbewerbsbedingungen geraten viele Betriebe in Zahlungsschwierigkeiten und bauen Stellen ab. Bei Arbeitgebern und Gewerkschaften wächst die Sorge. Der Freistaat ist damit nicht allein, die ostdeutschen Regierungschefs wollen dazu am Donnerstag bei ihrer Regionalkonferenz in Weimar mit Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) sprechen.
„Kein Industrieland wächst langsamer als Deutschland“, sagt Sachsenmetall-Präsident Jörg Brückner. „Seit 2019 stagniert unsere Wirtschaftsleistung. Seit Ende 2022 schrumpft sie sogar. Besonders das Produzierende Gewerbe leidet.“
Wirtschaft in Sachsen schrumpft im zweiten Quartal
Im zweiten Quartal ist die sächsische Wirtschaftsleistung um 0,4 Prozent im Vergleich zu den ersten Monaten des Jahres geschrumpft, zeigen aktuelle Berechnungen des Ifo-Instituts. „Im ersten Quartal konnte die sächsische Wirtschaft, ausgelöst durch vorgezogene Käufe aufgrund der Zollankündigungen, zulegen. Im zweiten Quartal fehlen diese Käufe, sodass es zu einem Rückgang der Wirtschaftsleistung kam“, erklärt Konjunkturforscher Robert Lehmann.
Die Lage der sächsischen Wirtschaft insgesamt bleibe angespannt, wenngleich sich seit Jahresbeginn Tendenzen einer Besserung zeigten. So hat sich das Ifo-Geschäftsklima für Sachsen in den ersten sechs Monaten kontinuierlich verbessert und stagniert seitdem. „Dennoch ist dies nur eine Verbesserung auf niedrigem Niveau. Die Ifo-Geschäftslage in Sachsen wird von mehr Unternehmen als schlecht denn als gut bezeichnet“, erklärt Lehmann.
Industrie vor großen Herausforderungen
Während das ifo-Institut für Sachsen im zweiten Quartal 2025 einen Rückgang der Wirtschaftsleistung gegenüber dem Vorquartal ausweist (−0,4 Prozent), meldet das Statistische Landesamt für das gesamte erste Halbjahr ein leichtes Plus von 0,1 Prozent gegenüber dem Vorjahreshalbjahr. Der Unterschied erklärt sich durch den Bezugsrahmen: Das Ifo weist die Entwicklung gegenüber dem Vorquartal aus, die amtliche Halbjahreszahl zieht dagegen Jahresauftakt und Frühjahr zusammen. Auch wenn sich seit Jahresbeginn eine leichte Besserung abzeichnet: Die Lage der sächsischen Wirtschaft bleibt insgesamt angespannt.
So hat sich das Ifo-Geschäftsklima für Sachsen in den ersten sechs Monaten zwar kontinuierlich verbessert – doch seitdem stagniert es. „Dies ist nur eine Verbesserung auf niedrigem Niveau. Die Ifo-Geschäftslage in Sachsen wird von mehr Unternehmen als schlecht denn als gut bezeichnet“, erklärt Lehmann. Der Zustand der Industrie ist wichtig für Sachsen, denn sie hat „an der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung einen maßgeblichen Anteil“, so der Experte. Im Jahr 2024 trug sie gut ein Viertel zur sächsischen Wertschöpfung bei.
Der Industriegewerkschaft IG Metall zufolge steht die Industrie vor großen Herausforderungen. Die geopolitischen Krisen, beispielsweise der Ukraine-Krieg oder die Zollpolitik der US-Regierung, wirkten sich negativ auf die Unternehmen aus, sagt Steffen Reißig, Chef der IG Metall in Leipzig. Zwar sei die Situation keineswegs so dramatisch wie in der Krise nach der Wende, als allein im Leipziger Raum rund 90.000 Arbeitsplätze verloren gingen. Dennoch ist die Erinnerung daran bei vielen Metallern noch lebhaft.
Metall- und Elektroindustrie baut 8000 Stellen ab
Aber die aktuelle Situation lasse sich durchaus mit der Finanz- und der Coronakrise vergleichen, so Arbeitgeberpräsident Brückner. „Denn die Produktionskapazitäten der Industrieunternehmen in Sachsen sind massiv unterausgelastet.“ Allein in den vergangenen zwei Jahren musste Sachsens Metall- und Elektroindustrie bereits mehr als 8000 Arbeitsplätze abbauen.
Die Krise bringt viele Firmen in Zahlungsschwierigkeiten. Im Vergleich zum Juli dieses Jahres, als es 36 Insolvenzen gab, stiegen die Insolvenzfälle sachsenweit im August auf 44, davon allein 15 im Raum Leipzig. Im April erreichten die Insolvenzen mit 72 sachsenweit den höchsten Wert der vergangenen Jahre. Von den Insolvenzen waren in Sachsen in den vergangenen 12 Monaten im Mittel 912 Jobs pro Monat betroffen, zeigen Zahlen des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH).
Große Unternehmen stecken in der Krise
In Leipzig betrifft dies unter anderem die Industriebetriebe in Heiterblick und Bösdorf. Hinzu kommt, dass Firmen ihren Sitz ins Ausland verlagern und große Unternehmen die Produktion aus Deutschland abziehen. Ein besonders auffälliger Fall in Mitteldeutschland ist der US-Konzern Dow Chemical. Dieser hat bereits länger die kosten- und energieintensive Produktion kritisiert. Letztlich zog er die Konsequenzen: Zwei Anlagen sollen in Böhlen (Landkreis Leipzig) und Schkopau (Sachsen-Anhalt) schließen. 550 Beschäftigte sind betroffen.
Die IG Metall sieht die Politik in der Pflicht: „Die Industrie braucht klare Rahmenbedingungen und gezielte Unterstützung, etwa einen Industriestrompreis, den zügigen Ausbau der erneuerbaren Energien und den Anschluss unserer Leipziger Betriebe an das geplante Wasserstoffkernnetz“, sagt Gewerkschaftsvertreter Reißig. „Das vorrangige Ziel muss sein, die bestehenden Industriearbeitsplätze zu erhalten.“
Ost-Regierungschefs wollen Rüstungsaufträge sichern
Die ostdeutsche Spitzenpolitik nimmt diesen Ball auf: Bei der Ministerpräsidentenkonferenz Ost werde es im Kern um Wirtschaft und Energiepolitik gehen, kündigte der Chef der gastgebenden Thüringer Staatskanzlei, Stefan Gruhner (CDU), an. Sowohl Kanzler Merz als auch Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) werden als Gäste der Beratungen erwartet.
Das hat auch mit Perspektiven für die ostdeutsche Industrie zu tun: Die Ost-MPs wollen ihrer Industrie viele Aufträge der Bundeswehr aus dem wachsenden Rüstungsbudget sichern. Sachsens Regierungschef Michael Kretschmer (CDU) hatte dieser Zeitung dazu schon vor einigen Tagen gesagt: „Um Industriearbeitsplätze zu schaffen oder zu erhalten und die wirtschaftlichen Transformationsprozesse in Sachsen abzufedern, kann die Verteidigungsindustrie einen wichtigen Beitrag leisten.“
Stagnation der sächsischen Wirtschaft wahrscheinlich
Insgesamt deutet der Ausblick darauf hin, dass sich die gesamtwirtschaftliche Lage weiter bessern könnte. Die Geschäftserwartungen in Sachsen hätten sich bis zuletzt spürbar aufgehellt, und die Auftragslage in der Industrie stabilisiere sich, erklärt Ifo-Forscher Lehmann. „Beides gibt Zuversicht für das zweite Halbjahr.“ Derzeit geht das Ifo-Institut davon aus, dass die sächsische Wirtschaftsleistung gegenüber 2024 stagniert. Mit viel Zuversicht sei ein sehr mageres Plus drin. „Mehr Wirtschaftswachstum dürfte sich aber wohl kaum einstellen.“
Der Arbeitgeberverband Sachsenmetall fordert vor diesem Hintergrund ein Ende der „gegenwärtigen wirtschaftlichen Lähmung“ und betont: „Abgesehen von kleineren Entlastungen, beispielsweise in Form eines Zuschusses des Bundes zur Netzentgeltumlage oder einer Streichung der Gasspeicherumlage, sind von der Bundesregierung keine Maßnahmen bekannt, die dazu geeignet wären, das Wirtschaftswachstum signifikant anzukurbeln.“
Die ostdeutsche Spitzenpolitik drängt zum Handeln: Bei der Ministerpräsidentenkonferenz Ost werde es im Kern um Wirtschaft und Energiepolitik gehen, kündigte der Chef der gastgebenden Thüringer Staatskanzlei, Stefan Gruhner (CDU), an. Sowohl Kanzler Merz als auch Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) werden als Gäste der Beratungen erwartet.
Das hat auch mit Perspektiven für die ostdeutsche Industrie zu tun: Die Ost-MPs wollen ihrer Industrie viele Aufträge der Bundeswehr aus dem wachsenden Rüstungsbudget sichern. Sachsens Regierungschef Michael Kretschmer (CDU) hatte dieser Zeitung dazu schon vor einigen Tagen gesagt: „Um Industriearbeitsplätze zu schaffen oder zu erhalten und die wirtschaftlichen Transformationsprozesse in Sachsen abzufedern, kann die Verteidigungsindustrie einen wichtigen Beitrag leisten.“
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Artikels haben wir fälschlicherweise falsche Zahlen zu den von der Insolvenz betroffenen Mitarbeitern in Sachsen angegeben. Der betroffene Abschnitt wurde inzwischen korrigiert.