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Teigwaren Riesa: „Wir waren jahrelang unterbezahlt“

Sieben Wochen streikten die Beschäftigten von Riesa Teigwaren. Jetzt sollen die Löhne schrittweise steigen. Ein Kompromiss, der den Konflikt im Osten widerspiegelt.

Lesedauer: 4 Minuten

Sieben Wochen streikten die Beschäftigten von Riesa Teigwaren. Jetzt sollen die Löhne schrittweise steigen. Ein Kompromiss, der den Konflikt im Osten widerspiegelt.

Von Luisa Zenker

Dresden/Riesa. Iris Kawecki klatscht in die Hände. In ihrer gelben Weste greift die Angestellte von Riesa Teigwaren an diesem Mittwochvormittag ausnahmsweise zu einem Sektglas. Nach einem sieben Wochen andauernden Streik der Beschäftigten gibt es nun einen Kompromiss. Das Unternehmen wird die Löhne bis Ende 2023 schrittweise um zwei Euro erhöhen, heißt es von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) im Dresdner Herbert-Wehner-Haus.

Die 61-jährige Kawecki sitzt normalerweise nicht in einem Versammlungsraum, sondern packt in Riesa die Nudeln von der Maschine in die Tüte. Prüft die Etiketten, repariert Maschinen. Im Dreischichtsystem. Seit 2003 arbeitet sie in der Werkhalle in Riesa ohne Unterbrechung. Bis zum Jahr 2019. Da zog sie sich das erste Mal eine gelbe Warnweste und streikte mit ihren Kollegen. Um zu erklären, warum, beginnt sie vom Jahr 2001 zu erzählen. Zu der Zeit muss Kawecki ihren Job als Instandhaltungsmechanikerin in einem Stahlwerk aufgeben. Wie so viele ostdeutsche Unternehmen schließt ihr Betrieb nach der Wende. Kawecki muss ins überfüllte Arbeitsamt. „Ich hätte alles gemacht, mein Mann war arbeitslos, wir saßen mit unserer Tochter zu Hause, wir wussten nicht weiter.“

Das Bild zeigt zwei Mitarbeiterinnen die für höhere Löhne streiken.
Iris Kawecki und Katrin Bäurich von Riesa Teigwaren streikten für höherer Löhne. © Luisa Zenker

Kawecki beginnt eine Umschulung zur Altenpflegerin. Im Dezember 2002 bekommt sie eine Zusage von Riesa Teigwaren. „Ich war so glücklich, als Frau mit 40 Jahren etwas gefunden zu haben.“ Seitdem packt sie Nudeln ein und nimmt viele Überstunden einfach hin. „Wir sind jahrelang unterbezahlt worden, weil wir uns nicht getraut haben, etwas zu tun“, mischt sich ihre Kollegin Katrin Bäurich ein. Doch im Jahr 2019 nimmt die Unzufriedenheit überhand. Die Mitarbeiter beginnen zu streiken. Ein Protest folgt dem nächsten – mit Erfolg, denn 2019 erhalten die Beschäftigten Zuschlagszahlungen. Im September 2021 gibt es nach Streik und Protest erneut eine Einigung.

Weil die nächsten Lohnerhöhungen aber ausbleiben, fahren die Beschäftigten am 20. Oktober 2022 zum Nudelproduzenten Alb-Gold in Trochtelfingen auf der Schwäbischen Alb. 70 Kilometer südlich von Stuttgart hat die Eigentümerfamilie Freidler ihren Sitz. Sie hat die Teigwaren Riesa 1993 gekauft. Danach stellen sich Mitarbeiter wieder vor das Werktor. Und gehen nicht mehr durch. Um den mehrwöchigen Lohnwegfall auszugleichen, richtet die NGG einen Solidaritätsfonds ein, der durch Spenden auf 40.000 Euro anwächst.

700 Euro mehr Lohn in der westdeutschen Nudelfabrik

„Wir wollen hier im Osten nicht länger Arbeiter zweiter Klasse sein, wir gehören dazu“, ruft Kawecki mit verschränkten Armen. Nach Angaben der NGG bekommen die Mitarbeiter des Nudelproduzenten Alb-Gold monatlich knapp 700 Euro mehr als in Riesa. Bis diesen Mittwoch argumentierte die Riesa Teigwaren GmbH, dass man so hohe Löhne nicht zahlen könne, weil man ansonsten den Nudelpreis verdoppeln müsse – und schon in diesem Jahr musste das Unternehmen den Preis anheben, um die steigenden Produktionskosten für Verpackung, Energie sowie Zutaten bezahlen zu können. Auch wenn Riesa Nudeln zu den beliebtesten Ost-Marken zählt: Als kleineres Unternehmen im Vergleich zu anderen Nudelherstellern muss es sich dem derzeitigen Preiskampf mit den Handelskonzernen stellen. „Aber wir können uns den niedrigen Lohn nicht mehr leisten“, kritisiert Kawecki, die sieht, wie junge Beschäftigte nach kurzer Zeit weggehen und ihre Kollegen Angst vor Altersarmut haben.

„Mit niedrigen Löhnen in Ostdeutschland können wir langfristig nicht erfolgreich sein“, fügt der SPD-Landesvorsitzende Henning Homann bei dem Treffen hinzu. Der Osten ist seit der Wende Niedriglohnland, hier hat kein Dax-Unternehmen einen Sitz. Die Lohnunterschiede werden kleiner, bestehen aber noch immer.

Doch es tut sich was, denn nach jahrelangen Zeiten der Arbeitslosigkeit spürt man auch im Osten den Fachkräftemangel. Das bringt die Arbeitnehmer in eine neue Situation. Es kommt zu mehr Arbeitsniederlegungen, ob im Lebensmittelsektor oder bei der Metallverarbeitung. Das Kampfmotto: endlich Westlöhne.

Investitionsstau in den Betrieben

Doch das allein reicht nicht. Laut dem Dresdner Ifo-Institut ist die Produktivität im Osten 20 Prozent geringer. „Bei unseren Maschinen gibt es einen massiven Investitionsstau“, sagt ein Mitarbeiter. Doch vorerst geben sich die Beschäftigten mit der Lohn-Erhöhung zufrieden. Vom Dezember an ist ein Euro pro Stunde mehr vorgesehen. Im Juli und Dezember 2023 werden die Stundenlöhne jeweils um 50 Cent angehoben. Zudem soll es vom 1. Januar 2023 bis 31. Mai 2024 einen monatlichen Inflationsausgleich von 50 Euro für jeden Beschäftigten geben. Für den Geschäftsführer von Teigwaren Riesa, Mike Hennig, ist der Tarif-Abschluss teuer.

Er werde in den kommenden Monaten sehen, wie sich die Kostenentwicklung insgesamt auswirke. Der Handel jedenfalls akzeptiere nach aktueller Einschätzung keine größeren Preissteigerungen. Hennig zufolge läuft ab Donnerstag die Produktion in Riesa wieder vollständig. Zwischenzeitlich hatte Riesa Teigwaren in einem bayrischen Unternehmen die Nudeln herstellen lassen, weil die sächsischen Beschäftigen nicht zur Arbeit kamen.

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Im Dresdner Herbert-Wehner-Haus hatten sich am Mittwochvormittag etwa 40 Angestellte des Betriebs mit Vertretern der NGG, dem SPD-Landesvorsitzenden Henning Homann sowie den Landtagsabgeordneten Thomas Löser (Bündnis90/Grüne) und Jörg Kiesewetter (CDU) getroffen, um unter anderem über Ost-West-Lohnunterschiede zu diskutieren.

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