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Vegane Fleischerei in Dresden: Mission Wurst-Wut

Sie dachten nicht ans Geldverdienen, als vier junge Dresdner zu Beginn dieses Jahres eine vegane Fleischerei eröffneten. Wie aus der provokanten Botschaft ein kleines Imperium wurde.

Lesedauer: 7 Minuten

Man sieht den Inhaber der veganen Fleischerei in Dresden.
Keine Knobisalami, keine Pfeffersalami - und trotzdem ist Auslage voll. © Jürgen Lösel

Von Henry Berndt

Wie viele Brötchen würden sie zur Eröffnungssause brauchen? 50, 60, vielleicht 70? Auf Klappstühlen saßen Nils, Henning, Quis und Stefan vor ihrem Tresen und beratschlagten sich. Und wenn niemand kommt? Wenn das alles überhaupt niemanden interessiert? Dann treffen wir uns hier jeden Sonntag zum Tischtennisspielen, entschieden sie. 1.000 Euro Monatsmiete über zwei Jahre, das Risiko ist es wert. Wenig später ist von Tischtennis allerdings keine Rede mehr. Vor dem Laden auf dem Bischofsweg in der Dresdner Neustadt stehen die Menschen an jenem 7. Januar Schlange. Nach einer Dreiviertelstunde sind die 70 Brötchen weg.

„Das war der Moment, in dem wir merkten, dass das was Größeres werden könnte“, sagt Nils Steiger, 28 Jahre alt, Glatze, Bart, weiße Turnschuhe, Jungunternehmer. Auf seinem olivgrünen Pullover steht „Refugees welcome“. Nils betreibt um die Ecke ein Fitnessstudio mit Physiotherapie. Auch die anderen Jungs haben ihr eigenes Business. Das mit der veganen Fleischerei sei eher ein Gag gewesen, eine Botschaft im Schraubglas. Bis heute hätten die vier noch keinen Euro ins Marketing investiert. Dafür merkten sie schnell: Wo auf dem Herd Provokation köchelt, da kommt die Aufmerksamkeit von ganz allein.

Zur Eröffnung im Januar standen die Interessenten vor dem Geschäft auf dem Bischofsweg in der Dresdner Neustadt Schlange.© René Meinig

Die gute alte Fleischerei, den letzten Rückzugsort für Fleischliebhaber und Wurstkönige, mit Tofu, Soja und Seitan zu besudeln, da hörte für viele der Spaß auf. Zumindest im Internet. Auf Facebook wüteten Dutzende Nutzer über diese „Pampe“, dieses „Gedöns“ und „Gelumpe“, diesen „Blumenladen“ oder wahlweise diese „Mischstation von Chemikalien und anderen naturfernen Produkten zur Fütterung von Besseressern“. „Ich esse trotzdem weiter Fleisch“, stellten sie trotzig fest, als ob jemand von ihnen verlangt hätte, das augenblicklich zu unterlassen.

Aus allen Ecken Deutschlands, aus Österreich und Holland prasselten Hassbotschaften auf die veganen Fleischer ein. Selbst die Ostschweizer Fleischerei-Innung wollte ihnen die Bezeichnung „Fleischer“ absprechen.

Bald kamen unverhohlene Drohungen dazu. In Mails wurde ihnen „ein baldiges Ableben unseres sinnlosen Daseins“ gewünscht und festgestellt, dass sie „alle an den Strick“ gehörten. Als sie irgendwann beschlossen, künftig doch mal Strafanzeigen zu stellen, ebbte die Hasswelle von ganz allein ab. „So ist das doch heute üblich. Die Trolle kommen, schütten ihren Müll ab und fahren weiter“, sagt Nils, der selbst seit fünf Jahren vegan lebt. Damit wolle er allerdings niemanden beleidigen, der ihre Meinung nicht teilt. „Diskutieren bringt uns ja weiter, aber wir wollen auch, dass unsere Argumente gehört werden.“


So ganz nebenbei hat sich aus der provokanten Botschaft in den vergangenen Monaten ein kleines Imperium entwickelt. Die vegane Fleischerei ist nun im ganzen Land bekannt, hat knapp 8.000 Follower bei Instagram. Inzwischen beschäftigt die Friends not Food GmbH 20 Mitarbeiter, darunter allein sechs Wurstmacher und vier Produktentwickler. In der Weihnachtszeit kamen noch zehn Helfer für den Augustusmarkt am Goldenen Reiter dazu. Statt wie anfangs einzelne Kanister mit Rapsöl zu kaufen, werden nun fast alle Zutaten in Europaletten-Dimension erworben. Nur so könne die Herstellung gerade noch halbwegs mit der Nachfrage mithalten. Wie die Rohware reinkommt, wird sie verarbeitet und geht direkt wieder raus.

In den Ausbau der Kapazitäten haben die Dresdner zuletzt weit mehr als 100.000 Euro investiert – sämtliche Einnahmen plus private Ersparnisse. Neue Maschinen, neue Mitarbeiter, neue Räumlichkeiten. Hauptsitz des Unternehmens ist seit Sommer ein Hinterhaus in Striesen, in dem früher eine Bäckerei ihre Brötchen buk. Die alten Gärautomaten erinnern an diese Zeit. Das Erdgeschoss wurde zuletzt komplett entkernt und neu gefliest. Bald soll hier die Produktion einziehen, 350 Quadratmeter samt Hygieneschleuse. Bis dahin zwängen sich Verwaltung und Herstellung allerdings noch zusammen ins Obergeschoss: ein schlichtes Büro mit vier Arbeitsplätzen, eine Spülküche und die echte Küche. Überall wuseln Menschen mit Haarnetzen herum. Die Bartträger bedecken auch diesen mit einem Schutz. Kaum jemand ist über 30.

Produktionsleiterin Judith Voigt führt in einer ehemaligen Bäckerei inzwischen ein Team von zehn Wurstköchen und Produktentwicklern an.© SZ/Henry Berndt

Während in einem gewaltigen Topf die neue Bratensoße vor sich hin köchelt, vermischt daneben ein überdimensionales Rührgerät das Seitanmehl mit Gewürzen und Trockenobst. Später soll daraus mal Weihnachtsbraten werden, genau gesagt KEIN Weihnachtsbraten. Seit die Lebensmittelüberwachung die Benennung einiger Produkte bemängelte, sind die veganen Fleischer vorsichtig geworden. Anfangs retteten sie sich noch in Wortspiele wie „Gesülze“ statt Sülze. Für die Bezeichnung „Eierlikör“ mahnte sie der Deutsche Spirituosenverband ab, sodass das Getränk in „Eierpunsch“ umgetauft wurde.

„Irgendwann wurde uns das zu viel“, sagt Nils. „Wir haben einen klaren Schnitt gemacht und uns für einen einheitlichen Markenauftritt entschieden.“ Seitdem steht vor allen Produkten einfach ein „Kein“. Kein Sauerbraten, kein Gulasch, keine Pfeffersalami, keine Bratwurst („nach Bundesland westlich von Sachsen Art“). Ihrer Kundschaft trauen die Dresdner zu, sich ihren eigenen Reim auf diese Art der Bezeichnung zu machen.

Eröffnung im Januar: Mitgründer Stefan Meyer-Götz verteilt Äpfel an die Wartenden.© René Meinig

In der Küche füllt gerade einer der Köche das frisch gewürzte Gyros in 2,5-Kilo-Beutel, die anschließend vakuumiert werden und damit bereit zur Auslieferung sind. Arbeitssprache in der Produktion ist Englisch. Viele Angestellte haben Migrationshintergrund. Produktionsleiterin ist Judith Voigt, 26, studierte Lebensmitteltechnologin. Ihr Kollege bringt gerade einen neu kreierten „Eiersalat“ zur Verkostung, der geschmacklich frappierend an verlorene Eier in Senfsoße erinnert.

Rund 75 Produkte gibt es bereits im Sortiment – und ständig kommen neue dazu. „Wir tüfteln vor allem an Dingen, die möglichst weit weg von vegan sind. Blutwurst zum Beispiel.“ Mit veganen Burgerpattys und Nuggets könne man heute ja schon niemanden mehr hinter dem Ofen vorlocken. Dem echten Fleisch und der Wurst dabei so nah wie möglich zu kommen, sei weiterhin der Maßstab. „Unsere wichtigste Zielgruppe sind ja nicht die Veganer, sondern alle Menschen, die den Geschmack weiter genießen wollen, ohne dabei jedoch die Konsequenzen für Tier und Umwelt tragen zu müssen.“

Wo man auch hinschaut: Die Zeit läuft für die vegane Fleischerei.© SZ/Henry Berndt

Immer wieder habe es in den vergangenen Wochen und Monaten Anfragen von Investoren gegeben, die sich ihren Teil der Idee sicher wollten. „Wir haben das aber alles abgelehnt, da wir uns nicht von außen unter Druck setzen lassen wollen“, sagt Nils. Die vegane Fleischerei werde nie ein Unternehmen sein, das Profitmaximierung verfolge. Ganz oben stünde die Botschaft: Tiere schützen. Oder welchem Investor solle man erklären, dass zehn Prozent aller Umsätze aus dem Bratenverkauf in diesem Jahr einem Tierschutzverein in Berlin zugutegekommen sind?

Da man sich weiterhin als Manufaktur begreife, sei auch das Wachstum begrenzt. „Zum Beispiel unsere Bratensoße. Dafür nehmen wir echtes Gemüse. Das Ganze muss zehn Stunden köcheln und passiert werden, wie zu Hause bei Oma. Wenn wir mehr herstellen wollen, können wir nur in mehr Töpfen gleichzeitig rühren.“

Im Erdgeschoss einer alten Bäckerei in Striesen entstehen gerade die neuen Produktionsräume.© SZ/Henry Berndt

An diesem Montagvormittag schaut Nils mal wieder im Geschäft vorbei. Höchstens einmal im Monat passiert das noch. Geöffnet ist erst ab 11.30 Uhr, deswegen ist er allein. Das Kühllager wurde gestern erst neu bestückt, die frischen Brötchen liegen bereit. Vorn im Regal fehlen zwei Flaschen BBQ-Soße, die er sogleich ersetzt. „So was tut mir sonst im Herzen weh.“ Nach wenigen Minuten muss er weiter, den Raclettekäse für die Silvesterpakete abholen.

Mit 40 Stunden in der Woche ist es schon lange nicht mehr getan, wobei die Weihnachtszeit in der Belastung nochmal alles getoppt habe. Neben dem Weihnachtsmarkt lag das in erster Linie am boomenden Onlinegeschäft. 120 Bestellungen am Tag wollten bearbeitet werden. Statt wie sonst um die 20.000 Euro Umsatz im Monat war es zeitweise fünfmal so viel. „Dabei war ein Onlineshop gar nicht vorgesehen“, sagt Nils. „Erst, als uns täglich Hunderte Mails mit Bestellwünschen erreichten, haben wir den aufgemacht.“

Unmittelbar vor seinem Kurzbesuch im Laden saß Nils gerade noch im wöchentlichen Meeting mit den anderen Jungs. Eines der wichtigsten Themen: München. Anfang Januar soll dort die erste Franchisefiliale für die geschützte Marke eröffnen. Vielleicht auch gleich zwei auf einmal. Deswegen werden gerade vor allem neue bayrische Produkte getestet, wie Weißwürste und Ochsenfetzensemmeln. Noch einmal so ein kurzer aber gern heftiger öffentlicher Aufschrei wie Anfang des Jahres in Dresden wäre Nils und seinen Mitstreitern ganz lieb. „Mal sehen, das Land ist ja noch mal ein Stück konservativer. Wir sind gespannt auf die ersten Reaktionen.“

Wieder gehe es dabei in erster Linie um Aufmerksamkeit für die Sache, versichert er, und vergleicht seine Mission mit der der Umweltschützer, die sich auf die Straßen kleben. „Sie müssen provozieren, weil sie keine andere Möglichkeit haben, ins öffentliche Bewusstsein zu kommen.“ Wenn sich Menschen an der Wortschöpfung „vegane Fleischerei“ stören, dann sei das im Prinzip dasselbe. So werde die Gesellschaft gezwungen, sich mit den Konsequenzen von Massentierhaltung auseinanderzusetzen. „Es geht mir nicht in den Kopf, wie man Kinder in die Welt setzt und trotzdem nicht bereit ist, nachhaltig und umweltbewusst zu leben.“

Die vegane Fleischerei am Bischofsweg in der Dresdner Neustadt feiert bald einjähriges Bestehen.© SZ/Henry Berndt

Nach München dürfte die vegane Fleischerei im kommenden Jahr auch in anderen deutschen Städten Fuß fassen. Die Gespräche laufen. Schon ab Januar gibt es die Produkte sachsenweit in diversen Edeka- und Konsumfilialen. Zum Teil mit eigenen Frischetheken.

Ob es Grenzen gibt, die Welt von Fleisch und Wurst vegan zu ersetzen? „Kaum“, sagt Nils. Selbst ein T-Bone-Rindersteak könne inzwischen strukturell nachgebaut werden, wenngleich das die technischen Möglichkeiten seines Start-ups überschreite. „Ehrlich gesagt würde ich das aber auch nicht essen.“ Es gebe da diesen Punkt, da sei ihm die Kopie schon zu nah dran am Original. „Wenn ich einen zu guten Ei-Ersatz esse, habe ich trotzdem das Gefühl, ein Hühnerembryo im Mund zu haben“, sagt er. „Das geht für mich nicht.“

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