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„Verdrängung regionaler Unternehmen“: Werden chinesische Online-Händler zur Bedrohung für Sachsens Wirtschaft?

Die Ausbreitung der Shopping-Plattformen Shein und Temu mischt den Online-Handel auf. Unternehmen aus Sachsen und Mitteldeutschland beobachten die Entwicklung aufmerksam – und kritisieren die Methoden der neuen chinesischen Konkurrenz deutlich. Können sie sich im harten Wettbewerb behaupten?

Lesedauer: 5 Minuten

Der Aufstieg chinesischer Online-Marktplätze wie Temu oder Shein stellt die deutsche E-Commerce-Branche vor große Herausforderungen. Können sich mitteldeutsche Unternehmen wie Relaxdays (CEO Martin Menz, Mitte) oder Cyberport (COO Maik Friedrich, unten) gegen die Konkurrenz aus China behaupten? Politiker, etwa Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD, oben), fürchten Nachteile für die regionale Wirtschaft. Quelle: dpa, imago, de.freepik.com/BiZkettE, pixabay.com, Cyberport SE, Dirk Knofe/Montage: Benjamin Winkler

Florian Reinke

Leipzig/Dresden. Wer die Shopping-Welten von Temu oder Shein betritt, muss nicht lange nach Angeboten suchen – Rabatte lauern auf den Online-Plattformen fast überall. Das „Langarm-Kleid“ bei Shein für 4,29 Euro, der kabellose Staubsauger bei Temu für rund 36 Euro oder die „Luxus-Schneestiefel“ für 15,47 Euro – die chinesischen Anbieter locken mit Niedrigstpreisen.

Seit dem Markteintritt von Temu im Jahr 2023 haben die Anbieter hierzulande an Bedeutung gewonnen. Es wird immer klarer: Das Wachstum der Online-Marktplätze stellt die Branche auf den Kopf. Die Folgen bekommen nicht allein Kundinnen und Kunden zu spüren, auch die deutsche Konkurrenz ist besorgt. Experten befürchten: Konkurrierende Online-Händler könnten das Nachsehen haben und „von großen Marktplatzspielern regelrecht aufgefressen“ werden. Steht der Online-Handel, wie wir ihn kannten, vor einem grundlegenden Wandel?

Relaxdays aus Halle: „Nehmen die Entwicklung ernst“

Dass der Online-Handel unter Druck geraten ist, offenbart eine konkrete Zahl. Laut sächsischen Wirtschaftsministerium hat der sächsische Versand- und Internethandel 2023 Umsatzverluste in Höhe von 11,3 Prozent erlitten. Von „Wettbewerbsverzerrungen auf Kosten sächsischer Unternehmen“ ist im Ministerium die Rede. Allerdings dürfte auch die eingebrochene Konsumstimmung eine entscheidende Rolle spielen.

Unternehmen aus Sachsen und Mitteldeutschland beobachten die Entwicklungen rund um die chinesischen Wettbewerber akribisch. Wie Martin Menz, Chef (CEO) vom Online-Händler Relaxdays aus Halle (Saale), sagt, nehmen er und sein Team die Veränderungen nicht erst seit diesem Jahr ernst. Man sei aber immer noch dabei, „das Geschäftsmodell mit seinen Auswirkungen zu verstehen.“

Martin Menz ist Chef des Hallenser Online-Händlers Relaxdays – nach Unternehmensangaben ist es das größte E-Commerce-Unternehmen Mitteldeutschlands.
Quelle: Dirk Knofe

Cyberport: „Bei Temu werden willkürliche Rabatte gesetzt“

Auch bei Cyberport beobachten sie die Veränderungen intensiv. Maik Friedrich ist als Geschäftsführender Direktor (COO) für das operative Geschäft des Technikhändlers zuständig, der neben Filialen auch einen bekannten Online-Shop betreibt. Zum Sortiment gehören etwa Notebooks, Fernseher, Haushaltsgeräte oder Smartphones. „Was wir bei Temu in einer neuen Ausprägung sehen: Es werden willkürliche Rabatte gesetzt, die kaum nachzuvollziehen sind. Das verunsichert die Wettbewerber und am Ende auch die Kunden“, sagt Friedrich.

Er blickt aus verschiedenen Gründen skeptisch auf die Geschäftsmodelle der chinesischen Konkurrenz. Friedrich nennt das Umgehen von Zollschranken oder das Fälschen von wichtigen Kennzeichen wie des CE-Siegels durch Verkäufer auf den Plattformen. „Wir haben nur einen fairen Markt, wenn sich alle daran halten“, betont er. Cyberport achte genau auf die Einhaltung aller Vorschriften. „Da ist es nicht in Ordnung, wenn es Wettbewerber gibt, die das umgehen“, sagt Friedrich.

Ein fairer Markt funktioniere nur bei gleichen Regeln für alle, heißt es beim Taschenkaufhaus aus Leipzig

So sieht man es auch bei der Taschenkaufhaus GmbH aus Leipzig. In der EU gebe es viele Regularien für die Branche, sagt Constanze Beier, Geschäftsleiterin Verkauf. Deren Einhaltung sei „mit einem erheblichen personellen Aufwand und damit höheren Kosten verbunden“. Sie kann eine Reihe an Beispielen nennen: etwa Vorgaben für Transportweg und Verpackung, Kennzeichnungspflichten und Regelungen zum Datenschutz für in der EU ansässige Firmen.

Wenn nun Anbieter aus dem Nicht-EU-Ausland auf den Markt drängen, könnten sie für den Kunden attraktivere Preise anbieten. Die Folge laut Beier: „Es führt bereits mittelfristig zu einer klaren Verdrängung vor allem kleinerer regionaler Wirtschaftsunternehmen.“

Blick auf den Hauptsitz des Taschenkaufhauses in Leipzig: Das Unternehmen setzt auf Qualität und Beratung.
Quelle: Andre Kempner

EU-Kommission hat Temu auf dem Schirm

Mit ihren Warnungen finden die Unternehmen in der sächsischen Politik durchaus Gehör. Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) nimmt kein Blatt vor den Mund. „Temu ist Schrott. Der Markt wird geradezu überschwemmt. Verbraucher werden durch die Einfuhr umweltschädlicher, teilweise gesundheitsgefährdender und minderwertiger Produkte getäuscht“, sagt er. Zudem verzerrten die großen E-Commerce-Unternehmen mit Sitz in China den Wettbewerb. In seinem Ministerium ist man überzeugt: Der Aufstieg der Plattformen etwa aus Asien verändert die Handelslandschaft global.

Temu ist Schrott. Der Markt wird geradezu überschwemmt.

Martin Dulig, Sachsens Wirtschaftsminister

Kritik an mangelhafter Nachhaltigkeit

Inzwischen hat auch die EU-Kommission speziell Temu den Kampf angesagt und ein Verfahren eingeleitet. Relaxdays-Chef Martin Menz wirft der Politik aber eine längere Untätigkeit vor. „Dass die Politik das Vorgehen bisher weitgehend ignoriert hat, finde ich gewagt, allein, schon wenn man bedenkt, wie bedeutend der Handel mit seinen Arbeitsplätzen für die deutsche Wirtschaft ist“, sagt er.

Für ihn kommt noch etwas anderes hinzu: „Wir sprechen so häufig von Nachhaltigkeit – und dann lassen wir Produkte, über die wir kaum etwas wissen, mit dem Flugzeug massenweise, unkontrolliert in die EU einfliegen. Darin zeigt sich meines Erachtens die Handlungsunfähigkeit der Politik.“

Temu verteidigt sich

Und was sagen die Anbieter selbst? Temu betont, das Unternehmen nehme seine rechtlichen Verpflichtungen ernst. Zudem stellt der Marktplatz eine Zusammenarbeit mit den Regulierungsbehörden in Aussicht. Zur Qualität heißt es auf Anfrage, alle Händler und Unternehmen müssten auf der Plattform „die geltenden Gesetze, Vorschriften und Standards einhalten“. Beim Verdacht auf ein nicht regelkonformes Produkt werde es „sofort von der Plattform entfernt“.

Ähnlich äußert sich Shein: Man habe sich zu „verantwortungsbewussten Praktiken mit klaren Standards und Sicherheitsrichtlinien für uns und unsere Partner verpflichtet“, heißt es vom Unternehmen. Eine Sprecherin versicherte, Shein halte alle lokalen Gesetze ein. Bei Anschuldigungen gegen das Unternehmen oder Partner würden diese ernst genommen und Untersuchungen eingeleitet. Zudem setze Shein auf ein „umfassendes Compliance-Management-System“.

Die gute Nachricht für regionale Unternehmen und ihre Kunden ist derweil: Die Firmen haben den Konkurrenzkampf nicht aufgegeben – und sind von ihren Konzepten überzeugt. Relaxdays-Chef Menz sagt, man achte darauf, dass alle Produkte einwandfrei in den Verkehr gebracht werden. „Bei vielen Produkten, insbesondere solchen, die mit Kindern zu tun haben, gibt es bei vielen Menschen nach wie vor eine gewisse Sensibilität.“ Zudem liefere man die Produkte innerhalb von 24 bis 48 Stunden zu den Kunden. Temu und Shein benötigen aufgrund der langen Transportwege wesentlich länger.

Maik Friedrich ist COO des Dresdner Einzelhändlers von Consumer Electronics. Cyberport betreibt neben stationären Filialen auch einen großen Onlineshop.
Quelle: Cyberport SE

Cyberport hat ebenfalls eine Strategie, um im Kampf mit der neuen Konkurrenz zu bestehen. „Wir vertrauen auf unser Geschäftsmodell und setzen auf eine schnelle, sichere Lieferung und Regionalität“, erklärt Manager Friedrich. Und Constanze Beier vom Taschenkaufhaus betont, man verstehe sich weiterhin als Fachhändler – und setze auf hochwertige Produkte. „Uns ist es wichtig, dass unsere Kunden bei ihrer Kaufentscheidung unterstützt und gut beraten werden“, sagt sie. Doch am Ende kommt es auf den Kunden an. Beier drückt das so aus: „Der Endkunde entscheidet mit seinem Kaufverhalten selbst, wie die Handelslandschaft zukünftig aussehen wird – sowohl stationär als auch im E-Commerce.“

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