Von Gabriele Fleischer
Chemnitz. Kaum betritt Linda Hüttner die imposante Industriehalle an der Fabrikstraße in Chemnitz, kommen Menschen und begrüßen sie. Ein Winken, ein paar Worte. Man kennt sich. Das hat seinen Grund. Hier sitzen seit Mai Mitarbeiter der Kulturhauptstadt Europas Chemnitz 2025 gGmbH – eine städtische Gesellschaft. Diese wird organisatorisch all das umsetzen, wofür die Stadt und mit ihr 38 Kommunen aus Mittelsachsen, dem Erzgebirge und Zwickau 2020 den Titel Kulturhauptstadt 2025 zugesprochen bekommen haben. Nach Büros in der oberen Etage wird in diesen Wochen unten das Besuchs- und Informationszentrum eingerichtet.
Im Januar soll es öffnen. Die große Fläche – einst Raum für Maschinen – wird im nächsten Jahr auch verschiedenen Veranstaltungen ein Podium bieten.
Die Unternehmerin Hüttner ist mit diesem Gebäude und ihrer aktuellen Nutzung gleich doppelt verbunden. Denn die Gunter Hüttner Bauunternehmung, die sie mit ihrem Bruder Daniel leitet, hat das geschichtsträchtige Gebäude federführend saniert – mit Denkmalschutzauflagen für Fassaden und Fenster, den Erhalt des Raumcharakters mit Portalkranbahn und Tragkonstruktion einschließlich Gussstützen. Die Dachkonstruktion musste laut Hüttner wegen ihres schlechten Zustandes abgerissen und neu aufgebaut werden. Die große Glasfassade im Südbereich war ein vom Denkmalschutz genehmigter Vorschlag des Familienunternehmens.
Wechselvolle Geschichte
Sicher, neben einigen Elementen, die vor allem die historische Optik ausmachen, erinnert nicht mehr viel an den einstigen Industriebetrieb. Aber das im Mai dieses Jahres übergebene Gebäude ist eine Reminiszenz an den Pionier des Chemnitzer Maschinenbaus Richard Hartmann. Der hatte 1842 eine Maschinenfabrik gegründet, aus der 1930 eine Aktiengesellschaft zur Fortführung des Textilmaschinenbaus wurde. Auch das Gebäude an der Fabrikstraße gehörte dazu. Eine Tradition übrigens, die schon mit dem Bau von Dampfmaschinen in der Industriestadt Chemnitz begann.
Linda Hüttner ist, und das ist der zweite Teil der Geschichte, in die Vorbereitung des Kulturhauptstadtjahrs eingebunden und hier deshalb auch nach der Fertigstellung regelmäßige Besucherin. Sie engagiert sich im 2022 aus einem Arbeitskreis der Architektenkammer Sachsen entstandenen Verein Baukultur für Chemnitz und ist mit verantwortlich für das Lichtkunstfestival „Light our Vision“. Dabei ist es ihre Vision und die ihrer Mitstreiter, allen voran der Vereinsvorsitzenden Lotte Claudia Fischer, für die Stadt in vielleicht 20 Jahren ein neues Flair zu schaffen. Zwischen dem Karl-Marx-Kopf, unter Chemnitzern auch als Nischel bekannt, und Oper soll ein Sport- und Kulturcampus entstehen – eine lebendige Innenstadt mit Gastronomie und bunten Läden, eben ein Anziehungspunkt für Einwohner und Besucher.
Nicht nur Meckerer
Nachdem das Lichtkunstfestival 2023 und 2024 erfolgreich über die Bühne gegangen ist, soll es auch 2025 zu einem Höhepunkt werden. Warum aber dieser Einsatz einer 45-jährigen Geschäftsführerin und zweifachen Mutter genau an dieser Stelle? „Weil ich bunte Bilder aus der Stadt schicken und Visionen sichtbar machen will“, sagt sie. Es ist zu spüren, wie sie für die Stadt brennt und vehement gegen das von Vorurteilen geprägte Schmuddel-Image von Chemnitz vorgehen will.
Denn es gebe nicht nur Meckerer und Nazis oder tote Ecken in der Stadt, sondern viele engagierte, weltoffene Menschen – und unentdeckte Orte, die mit dem Lichtkunstfestival in Szene gesetzt und aufgewertet werden sollen. Die Resonanz von 30.000 Besuchern beim dreitägigen Festival 2023 und dieses Jahr an vier Tagen mit 75.000 Gästen zeigt ihr, dass es der richtige Ansatz ist. Ihr Wunsch? Dass sich die Chemnitzer und die Besucher mit den Potenzialen dieser Stadt auseinandersetzen. Dabei denkt Hüttner auch an ihre 330 Mitarbeiter im Familienunternehmen: „Das sind fleißige Leute, die hart arbeiten und genauso Teil der Kulturhauptstadt sind.“ Und ja, Linda Hüttner weiß, dass auch Chemnitz Baustellen hat, aber die seien nicht größer als in anderen Orten. Sie wünscht sich, dass gerade der Mittelstand hier noch engagierter auftritt, mit dafür sorgt, dass die Stadt aufblüht. Natürlich lässt ihr Tag kaum Lücken, aber etwas für die Stadt zu tun, sei auch für ihr Unternehmen gut, findet sie. So würden Arbeitskräfte nicht vom Himmel fallen. „Aber wenn wir aufzeigen, was es hier alles gibt, dass Wohnungen, Plätze in Kindereinrichtungen nicht nur Wunschvorstellungen sind, dann kommen Menschen hierher, leben und arbeiten in Chemnitz.“
Dass Linda Hüttner einmal mit Verantwortung im 1990 durch ihren Vater gegründeten Familienunternehmen tragen würde, war zwar naheliegend, aber nicht selbstverständlich. Da sie aber immer fürs Handwerk gebrannt hat, ließ sie sich nach dem Abitur zur Stuckateurin ausbilden und schloss als eine der Besten ihres Fachs ab. Sie war mit dabei, als das Albert-Bad in Bad Elster restauriert wurde, und stellte eine Rosette als Gesellenstück her. „Die Erfahrungen als einzige Frau in der Ausbildung auch im Umgang mit Männern helfen mir heute sehr“, sagt sie und erzählt, dass sie nach der Lehre ein Architekturstudium angeschlossen hat, im Beruf arbeitete und später Assistentin der Geschäftsleitung bei ihrem Vater wurde. Der übergab Teile der Geschäftsführung 2012 zunächst an seinen Sohn und vier Jahre später die Firmenanteile sowie die komplette Geschäftsführung an ihn und seine Tochter.
Die Zusammenarbeit klappt
Doch wie wächst man in die Rolle als Geschäftsführerin? „Die praktischen Erfahrungen hatte ich, aber die Führungsrolle musste ich mir erst erarbeiten“, sagt sie selbstkritisch. Noch heute zaudere sie manchmal, wenn sie sich bei ihren Mitarbeitern hin und wieder unbeliebt machen muss. „Aber klare Ansagen gehören zum Job“, sagt sie.
Die Zusammenarbeit mit ihrem Bruder funktioniere, obwohl das ja unter Geschwistern auch anders sein kann. „Wir streiten mal, sind aber immer konsensfähig und können uns aufeinander verlassen.“ Dass das Unternehmen mit seinen 30 Auszubildenden zu Sachsens besten Ausbildungsbetrieben zählt, kommt schließlich auch nicht von ungefähr. In punkto Kulturhauptstadt fühlt sich Linda Hüttner von Familie und Kollegen in ihrem Engagement unterstützt. Dass das 2025 nicht endet, daran lässt sie keinen Zweifel.