So manch einer gerät ins Staunen. Sonnensegel, Holzkisten, Planentasche oder Kirschkernkissen – diese Produkte und mehr fertigen Menschen mit Behinderung in den Roßweiner Werkstätten der Diakonie. Sie bohren, schrauben, nähen und messen, zum großen Teil für die Industrie. Wie Kirschkernkissen und Co. tatsächlich entstehen und mit welchen Problemen die Träger solcher Werkstätten zu kämpfen haben, darüber informierte sich gestern der geschäftsführende Vorstand der Sächsischen CDU-Fraktion auf Einladung des CDU-Landtagsabgeordneten Sven Liebhauser am Hauptsitz der Werkstatt an der Roßweiner Stadtbadstraße. Dort sind Näherei, Elektromontage und allgemeine Industriemontage untergebracht. „Die Montagearbeiten für die Industrie machen den Großteil der Arbeiten in den Werkstätten aus“, sagt Geschäftsführer Thomas Richter. „Wir haben inzwischen feste Partner.“ Das Roßweiner Armaturenwerk, heute Meibes System-Technik GmbH, gehört schon seit 1991 zu den Auftraggebern. Die Firmen Pierburg und GSH in Hartha sind ebenfalls Partner.
In der Näherei geht es auffällig ruhig zu. An einem großen Tisch fertigen Frauen Sonnensegel für Wintergärten. Sie messen, schneiden und nähen. Auftraggeber ist ein Online-Händler aus Leverkusen. Weitere Produkte sind Balance- und Kirschkernkissen. Auch der Drache Luftikus entsteht immer wieder aufs Neue. Er ist noch ein Überbleibsel aus der Zeit der Spielzeugfabrik, die vor der Wende am Standort war.
Eine Abteilung weiter modifizieren die Mitarbeiter Leuchtröhren für den Baustellenbetrieb, in dem sie Stecker an die Leuchten montieren. Insgesamt 22 Mitarbeiter sind in der Elektroabteilung beschäftigt. In einer weiteren Halle prüfen sie Thermostat-Ventile für Heizkörper, ein Auftrag von Meibes. Für ihre Arbeit bekommen sie zusätzlich zu ihrer Rente einen kleinen Lohn. Insgesamt 372 Mitarbeiter sind derzeit unter der Obhut der Roßweiner Werkstätten in Roßwein und Hartha beschäftigt.
Der gesetzliche Auftrag von den Werkstätten ist es, Menschen mit Handicaps durch Arbeit an der Gesellschaft teilhaben zu lassen. Sie betreuen und fördern, andererseits sind sie mit der Produktion für die Industrie der Wirtschaftlichkeit verpflichtet, pünktlich und in einwandfreier Qualität zu liefern. Das funktioniert, weil jeder betreute Mitarbeiter lange eingearbeitet wird bis sich die Abläufe gefestigt haben und jeder sein eigenes Tempo anschlagen darf. Auf zwölf behinderte Menschen kommt ein Betreuer, so schreibt es der Personalschlüssel vor. „Aber da sitzt das Problem“, sagt Werkstattleiterin Anne Möbius. „Wir brauchen einen besseren Betreuungsschlüssel, um auf die individuellen Persönlichkeiten der Mitarbeiter eingehen zu können.“
Ein weiteres Problem bestehe darin, dass in den Werkstätten früher die klassischen „Behinderten“ betreut wurden. Sie blieben fast lebenslang. Heute kämen zunehmend Menschen mit sozialen und psychischen Auffälligkeiten und Lernproblemen, sagt Richter. Ob sie tatsächlich für die Werkstatt geeignet sind, darüber befindet dann alle zwei Jahre erneut der Fachausschuss gemeinsam mit den Kostenträgern. Bevor ein Anwärter überhaupt in eine Werkstatt aufgenommen wird, durchläuft er dort eine 27 Monate dauernde Eingangs- und Bildungsphase. Kritik äußerte Richter ebenso an der aktuellen Förderpraxis des Freistaates: Es könne nicht sein, dass Fördermittelbescheide für das laufende Jahr im November bewilligt würden. Konkret betraf dies das Projekt Zwischenstopp in Bockelwitz. Nur mithilfe des Landkreises Mittelsachsen konnten größere Probleme abgewendet werden.
Von Dagmar Doms-Berger
Foto: © André Braun