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Warum ein Schnapsfabrikant aus Sachsen die Prozente drückt

Die Likörfabrik Gustav Müller in Dürrröhrsdorf-Dittersbach stellt seit 120 Jahren Hochprozentiges her. Jetzt reduziert die Firma den Alkohol im Gin. Sogar alkoholfreier Schnaps ist geplant.

Lesedauer: 5 Minuten

Man sieht Mathias Müller, Chef der Dürrröhrsdorfer Likörfabrik
"Schmeckt ziemlich lecker." Mathias Müller, Chef der Dürrröhrsdorfer Likörfabrik, hat einen Gin-Tonic erfunden, der fast ohne Alkohol auskommt: den Müller Dry Berry. Quelle: Mike Jäger

Jörg Stock

Dürrröhrsdorf. Es brennt bei Müllers. Kein Unfall, sondern Absicht. Nur mit Hitze lässt sich gewinnen, was der Primasprit aus den Wacholderbeeren und Holunderblüten, aus Lavendel und Hibiskus, Zitronenthymian und Aronia, um nur einiges zu nennen, geduldig heraus gelaugt hat. In der Brennblase geben die „Botanicals“ ihren Geist frei. Entwischen kann er nicht. Der Geist kommt in die Flasche. Er heißt Gin.

In der Likörfabrik Gustav Müller, gelegen an Dürrröhrsdorfs Hauptstraße, ist der Wacholderschnaps, gemessen an den 120 Jahren Firmenleben, ein Neuling. Um ihn herstellen zu können, hat Chef Mathias Müller die kupfernen Kessel vor dreieinhalb Jahren aus der Stuttgarter Gegend kommen lassen. Das Destillat liefert die Grundlage für seinen Müller Dry Gin, für den Dynamo-Gin 1953 und für den schwarzen Gin der Ulf-und-Benny-Kirsten-Edition, genannt „Der Schwatte“.

Hier ist echter Gin in Arbeit: Dynamo-Gin 1953 und schwarzer Gin Marke „Der Schwatte“, beide mit Alkoholgehalt von deutlich über vierzig Prozent.
Quelle: Mike Jäger

Diese Produkte haben ordentlich Umdrehungen. Der Alkoholgehalt liegt zwischen 43 und 45 Prozent. Jetzt kriegt Müllers Gin-Familie erneut Zuwachs: den Müller Dry Berry. Er ist anders als die anderen. Nicht nur wegen der johannisbeerroten Farbe. Sein Alkohol ist deutlich reduziert, auf zwanzig Prozent. Weil ein Gin laut Gesetz mindestens 37,5 Prozent haben muss, darf der Berry nicht Gin heißen. Doch das Etikett wird ähnlich aufgemacht sein wie beim Klassiker. Mathias Müller vertraut auf den Wiedererkennungseffekt, darauf, dass die Leute mitkriegen, was gemeint ist.

Cocktail ohne Schwips

Noch haben die Berry-Flaschen, die in Mathias Müllers Kontor stehen, überhaupt kein Etikett. Der Chef ist unzufrieden mit der Farbe der Gefäße. Es muss nachgearbeitet werden. Der Inhalt aber ist fertig und steht mit Eis, Tonic und Trinkhalm zum Probieren bereit: herbe Finesse, wenig Zucker, eine gewisse Leichtigkeit, eine spürbare Wacholdernote. Doch selbst nach mehreren Schlucken und Minuten kommt kein Schwips im Kopf an.

Destillation at Work: Seit dreieinhalb Jahren besitzt Gustav Müller eine eigene Brennblase.
Quelle: Mike Jäger

Genau das ist die „Message“, sagt Matias Müller. Er hat einen Gin Tonic erfunden, der den Sinnen nach ein Gin Tonic ist, der aber fast ohne Alkohol auskommt. Geht man nach Rezept, das auf der Flasche aufgedruckt sein wird, so liegt der Alkoholgehalt des Cocktails bei gut drei Prozent. Ein verblüffender Effekt, findet der Chef. „Es schmeckt ziemlich lecker.“

Deutsche trinken immer weniger

Mathias Müller wird seinen Berry als perfekt für eine zeitgemäße Trinkkultur bewerben. Wo es mit dem Alkoholkonsum hingeht, sieht er in seiner Firma. Bisher wurden hier rund 120.000 Flaschen mit 0,5 oder 0,7 Litern Spirituosen pro Jahr abgefüllt, dazu etwa 150.000 Miniaturflaschen von zwei bis vier Zentilitern. Das Wachstum war zweistellig.

Ernst Gustav Müller gründete die Firma im Jahr 1900. Heute schaut er von der Wand her zu, was sein Urenkel treibt.
Quelle: Mike Jäger

Mit dem Boom ist es erst einmal vorbei, sagt der Chef. Seiner Ansicht nach liegt das am Abschwung der Wirtschaft und der allgemeinen Kaufunlust. Aber es liegt auch daran, dass der Griff zur Flasche seltener wird. „Es ist eindeutiger Trend, dass die Leute weniger Alkohol zu sich nehmen“, sagt Müller, „und dass sie, wenn sie es tun, auf Qualität setzen.“

Bei uns dauert es manchmal länger. Aber wenn wir was rausbringen, funktioniert es meistens auch.

Mathias Müller, Likörfabrikant

Diesen Trend stützen die Zahlen des Bundesverbands der Deutschen Spirituosen-Industrie. Demnach lag der Pro-Kopf-Verbrauch an geistigen Getränken in Deutschland 2023 bei 5,1 Litern. Das bedeutet, dass der jährliche Konsum seit dem Einheitsjahr 1990 um mehr als einen Liter abgenommen hat. Auch bei Bier, Wein und Schaumwein geht der Verbrauch zurück. Alle alkoholischen Getränke zusammengenommen, trank jeder Deutsche 2023 gut 115 Liter – fünf Liter weniger als 2022.

Verliebt in alte Pullen: Vor Mathias Müllers Kontor steht seine Sammlung historischer Schnapsbehältnisse.
Quelle: Mike Jäger

Die Firma Müller ist ein echter Traditionsbetrieb. Gegründet zu Beginn des vorigen Jahrhunderts, punktet sie bis heute mit Klassikern. Der Wesenitz-Bitter etwa geht mit nahezu unveränderter Rezeptur zurück bis aufs Jahr 1906, als Ernst Gustav Müller ihn erfand. Aber man muss innovativ bleiben, sagt Mathias Müller, Gustavs Urenkel. „Man muss Neues wagen, gerade in diesen Zeiten.“

„Generation Z“ im Fokus

Der Low Gin ist so ein Wagnis. Ein Wagnis, das helfen soll, den alten Gustav Müller zu verjüngen. Mathias Müller denkt an die „Generation Z“, also junge Erwachsene bis dreißig, die laufend online sind, das Unverbindliche lieben und auf Fitness achten. Für sie passt der geplante Untertitel des Flaschen-Etiketts besonders gut: „Low & Easy“.

Typisches Produkt der Firma Müller während der DDR: steuerfreier Trinkbranntwein für Bergarbeiter.
Quelle: SZ/Jörg Stock

Dass die Deutschen weniger Alkohol trinken, muss dem Markt nicht zwangsläufig schaden. Laut Bundesverband ist die deutsche Spirituosenproduktion nicht zurückgegangen, eher im Gegenteil. Mathias Müller sagt, dass die Branche breit aufgestellt und darin geübt ist, sich neu zu erfinden. Viele Quereinsteiger seien in den letzten Jahren hinzugekommen, die den Markt befruchtet und inspiriert hätten. „Wettbewerb erhöht die Kreativität.“

Der Saft ist Topsecret

Über den Low Gin hat Mathias Müller seit mindestens zwei Jahren nachgedacht und etwa ein halbes Jahr experimentiert. Im Wesentlichen hat er seinen „High Gin“ aus der Brennblase mit diversen Fruchtsäften versetzt, die aus heimischer Produktion stammen. Aus welchen Früchten genau diese Säfte gewonnen werden, will er nicht verraten. Ursprünglich sollten die Früchte auf der Flasche abgebildet sein. Das hat er abgewählt. Zu viel Transparenz.

„Innovativ bleiben.“ Mathias Müller mit dem Prototyp seines neuen Nuss-Eierlikörs „Eihörnchen“.
Quelle: Mike Jäger

Während die Aufmachung noch in Arbeit ist, wurde der Gin Tonic mit Berry bereits ausgiebig getestet. Beim Dresdner Elbhangfest und auf anderen Märkten schenkte man das Getränk aus. „Es kam sehr gut an“, sagt Erfinder Müller. Man sei dementsprechend optimistisch. Er rechnet damit, dass es den Berry ab Februar oder März nächsten Jahres zu kaufen gibt.

Low Spirits noch kaum gefragt

Den Weg weg von den Umdrehungen will die Fabrik weitergehen. Schon ist eine Spirituose ganz ohne Alkohol in Planung, ein Gin Zero. Das ist gar nicht so absurd, wie es klingt, sagt Müller. Warum sollte beim Schnaps nicht gehen, was beim Bier längst funktioniert? Freilich werde es noch ein bisschen dauern, sagt er, „bis Produkte entstehen, die sich qualitativ am Markt durchsetzen.“

Im Moment ist es so, dass die Spirituosen ohne Spirit so gut wie keine Bedeutung haben in der Branche. Laut Spirituosen-Industrieverband wird der Anteil der Low Spirits in Deutschland, bezogen auf den gesamten Spirituosenmarkt, aktuell auf rund 1 Prozent geschätzt.

Folgerichtig setzt die Dürrröhrsdorfer Firma weiter vor allem auf Prozentiges. Mathias Müller tüftelt gerade am „Eihörnchen“, einem Eierlikör mit Nuss und 14 Prozent Alkohol. Zu Weihnachten sollte er fertig sein, klappt aber nicht. Auch hier gibt es Etikettprobeme. Das Senfgelb nervt ihn. Müller muss weiter basteln. Das ist er gewohnt. Und er ist sicher, dass es sich lohnt. Mögen bei ihm viele Dinge länger dauern. „Aber wenn wir was rausbringen, funktioniert es meistens auch.“

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