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Wie Terrot in Chemnitz vier Krisen übersteht

Die Rundstrickmaschinen sind ein sächsischer Exportschlager. In aller Welt stellen sie Fußballtrikots und Matratzenbezüge her. Doch der Betrieb hat zu kämpfen.
Lesedauer: 3 Minuten
Blick in die Textilproduktion.
Probelauf im Chemnitzer Maschinenbau: Eine neue Rundstrickmaschine wird eingestrickt, die erste Stoffbahn wächst unten heraus. Foto: Thomas Kretschel

Von Georg Moeritz

Chemnitz. Von Weitem sieht es aus wie ein gewaltiger Kronleuchter, was da bei Terrot in Chemnitz in sechs Wochen Arbeit entsteht. Doch statt Lampen stecken etwa 2.000 bewegliche Nadeln im Kreis in der Rundstrickmaschine. Das sächsische Exportprodukt wird später in der Türkei oder in Ostasien feine Stoffmuster Zeile für Zeile entstehen lassen. Trikots der Marken Nike und Adidas für Fußballchampions werden mithilfe von Terrot-Maschinen aus Chemnitz gestrickt. Sitzbezüge oder Dachhimmel für Autos wie etwa von Tesla gehören ebenfalls zu den Produkten – und auch für Matratzenbezüge sind die sächsischen Maschinen die richtige Größenklasse.
Der Betrieb mit fast 180 Beschäftigten sei ein „Hidden Champion“ in Sachsen, keine verlängerte Werkbank, sagt Robert Czajkowski. Der Manager wurde gemeinsam mit Dirk Lange im Jahr 2020 nach dem frühen Tod des Geschäftsführers Andreas von Bismarck in die Firmenleitung geholt. Kurz vor Redaktionsschluss dieser Ausgabe wechselte die Führung erneut. Nun sind der bisherige Prokurist Martin Vorsatz in Chemnitz sowie Gianpietro Belotti in Shanghai die Geschäftsführer der Terrot Textilmaschinen GmbH.

Textilkrise und Corona
Der Betrieb hat mehrere Krisen hinter sich, die vor einem Jahr in einem Insolvenzverfahren der Terrot GmbH gipfelten. Von insgesamt vier Krisen berichteten Czajkowski und Lange beim Pressebesuch im Chemnitzer Showroom zwischen bunten Stoffmustern: In den Jahren 2018/19 kommt es in einer Textilkrise zu Verschiebungen von Projekten, außerdem fallen Maschinen aus. Ein Restrukturierungsprogramm wird nötig. Doch dann lässt als nächste Krise die Corona-Pandemie 2020 die Aufträge aus dem wichtigen Textilproduktionsmarkt Asien einbrechen, das Geld wird knapp.
Damals beginnt Terrot in Chemnitz wie andere sächsische Betriebe, rasch in die Produktion von Schutzmasken einzusteigen. Der Maschinenbaubetrieb nutzt die eigenen Maschinen und wird laut Lange innerhalb von vier Wochen zu Sachsens größtem Maskenproduzenten. Auch Ingenieure und Buchhalter helfen bei Terrot dabei, die Schutzmasken zu falten und in Plastebeutel zu packen. Das begehrte und anfangs rare Produkt trägt dazu bei, auch in der Coronazeit an Einnahmen zu kommen.
Die Folgen der Pandemie lassen die Nachfrage nach den Textilmaschinen wieder wachsen: Viele Menschen konzentrieren sich auf ihr Heim, bestellen Textilien und erneuern auch gerne ihre Matratzen. Bequeme Kleidung wird gewünscht. Das kommt den Herstellern von Strickwaren entgegen. Schon vorher spürten sie, dass zum Beispiel anstelle der ehemals harten Jeansstoffe zunehmend körpernahe und elastische Hosen gefragt waren. Jeans wurden Leggins ähnlicher, damit stieg die Nachfrage nach elastischem Material aus Rundstrickmaschinen. Der Umsatz im Jahr 2022 erreicht 46 Millionen Euro, im Jahr darauf wird er deutlich darunter bleiben.

Lieferketten reißen
Denn eine neue Textilkrise bringt Terrot den nächsten Rückschlag: Materialpreise steigen, Lieferketten reißen. Der Vertrag zur Energieversorgung läuft aus, als Energie gerade sehr teuer ist. Das Unternehmen sei einfach nicht zur Ruhe gekommen, berichten die Manager. Zwar sei eine Kapitalerhöhung mit neuen Investoren gelungen und ein Plan bis 2025 mit Schwerpunkt Aufhebung des Investitionsstaus ausgearbeitet worden. Doch erneut zahlen Kunden später, Großprojekte werden verschoben. Anfang 2023 wird das Insolvenzverfahren eröffnet, mit Eigenverwaltung durch die Schuldner.
Als vierte Krise für Terrot wirkt sich laut Lange das Erdbeben in der Türkei aus. Damals machen die Chemnitzer gerade die Hälfte ihres Umsatzes in der Türkei, doch die Naturkatastrophe bremst die Branche. Auch die Terrot-Vertreterin in der Region sei umgekommen. Es waren ein paar Krisen zu viel, sagt der Sanierungsexperte rückblickend. Alle Optimierungen im Betrieb seien durch neue Kostenerhöhungen und höhere Zinsen wettgemacht worden.
Unter Zeitdruck suchten die Geschäftsführer mithilfe externer Berater nach einem Firmenkäufer. Die Insolvenz habe zu Verunsicherung bei Lieferanten und Belegschaft geführt, kaum ein Kunde wollte noch Anzahlungen leisten. Die Maschinenkäufer mussten sich fragen, ob sie später Ersatzteile bekämen.
Mehr als 200 Unternehmen wurden als mögliche Firmenkäufer angesprochen, so mancher Partner kam wegen der Textilkrise nicht infrage. Als einer der letzten möglichen Interessenten kam Santoni Shanghai dazu – ein chinesisches Unternehmen aus derselben Branche, im Besitz von Italienern.

Betriebsimmobilie gekauft
Santoni besitzt schon mehrere Rundstrickmaschinenmarken, darunter Soosan für kleine Durchmesser, Hengsheng für mittlere und Jingmei für große. Der Konzern ist führend bei Maschinen für Socken und nahtlose Produkte. Santoni-Chef Gianpetro Belotti, inzwischen auch Mit-Geschäftsführer in Chemnitz, sagt in der Pressemitteilung zur Übernahme von Terrot, die neue Verbindung biete das größte Angebot an technischen Lösungen auf dem Markt. Czajkowski freut sich über das „klare Bekenntnis zu Qualität, Leistung und ausgezeichneter Expertise“ des Käufers. Per Aushang informiert das Management die „lieben Terrotianer“, Gerüchte wegen eines möglichen Umzugs seien falsch. Santoni habe auch die Betriebsimmobilie gekauft. In Maschinen und Bau müsse investiert werden.
Die neuen Eigentümer haben laut Czajkowski und Lange drei Jahre Standortgarantie gegeben. Terrot arbeite im Premiumbereich – die Kunden des deutschen Maschinenbauers wollten keine chinesischen Maschinen kaufen, die sie zum halben Preis bekommen könnten. Zwei Konkurrenten gebe es für die Rundstrickmaschinen im Premiumbereich: in Japan und in Schwaben. Die Nachfrage nach atmungsaktiven und komfortablen Strickwaren werde wachsen.

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