Von Frank-Uwe Michel
An der Wand sind Computer aufgebaut. Auf den Bildschirmen flimmern Zahlenkolonnen. Davor Mitarbeiter, die im Kundenauftrag neue Software programmieren. Chef ist Carl-Philip Hänsch. Dessen Firma Launix – ein IT-Dienstleister – hat ihren Sitz in Ebersbach-Neugersdorf. Der Mann mit der Brille, dem strubbeligen Haar und dem zerzausten Bart hat das Geschehen um ihn herum im Blick, gibt Hinweise, legt kurz selbst Hand an die Maus, ist über alles, was auf den Monitoren passiert, im Bilde.
Bald schon – und darauf freut sich der 32-Jährige sehr – wird er kürzertreten in dem Unternehmen, das er 2012 noch während des Studiums zum IT-Fachmann gegründet hat. Nicht etwa, weil er die Füße hochlegen oder gern mehr Zeit mit seinen beiden Kindern verbringen möchte. Hänsch will völlig neue Wege gehen. „Bisher Unbekanntes entdecken, vermeintlich Unlösbares knacken und in Sphären vordringen, die heute noch als unmöglich gelten.“
Mit diesem Anspruch scheint er in einer von Deutschlands spannendsten Zukunftswerkstätten genau richtig zu sein. Exakt dort – im künftigen Zentrum für Astrophysik in Görlitz – hat sich der Neugersdorfer Software-Spezialist beworben. Inzwischen steht fest: Ab 1. März ist er dort als Doktorand angestellt, betreut dann sein florierendes Unternehmen nur noch nebenbei. Hänsch schmunzelt: „Das ist kein Problem. Wir sind gut aufgestellt, haben mit einer intelligenten Unternehmenssoftware ein innovatives Produkt herausgebracht. Da ist jetzt Vermarktung, Vertrieb und hoffentlich Wachstum gefragt. Das ist nichts, wobei ich als Entwickler helfen könnte. Deshalb nutze ich den Freiraum – und schiebe das Forschungszentrum mit an.“
Hänsch ist gebürtiger Neugersdorfer und hat schon als Jugendlicher bei Informatikwettbewerben Preise abgeräumt. Auch bei Schülerolympiaden war er dabei. Weil er so gut war, durfte er als Gast in Dresden die großen Chip-Fabriken besichtigen. „Da hat sich immer mehr verfestigt, dass ich beruflich mit Daten und Programmieren zu tun haben will.“
Genau das soll der Informatiker auch am Deutschen Zentrum für Astrophysik (DZA) tun. Das Großforschungszentrum entsteht derzeit in Görlitz und beschäftigt sich mit Astronomie, Digitalisierung und neuesten Technologien. Hänsch will hier zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Zum einen das vor zehn Jahren begonnene, dann aber unterbrochene Doktorstudium fortsetzen. Zum anderen aber auch neue wissenschaftliche Horizonte entdecken. „Ich habe Prof. Hasinger, die treibende Kraft hinter dem Forschungszentrum, bei zwei Vorträgen kennengelernt. Er hat mir Mut gemacht, mich zu bewerben.“

© Martin Schneider
Hänsch’s Aufgabe in den nächsten Jahren: Das riesige Rechenzentrum, das für die Astrophysiker entstehen soll, mit dem immensen Datenstrom aus aller Welt füttern. Der Neugersdorfer erklärt das Vorhaben so: „Über die ganze Erdkugel sind große Teleskope verteilt, sie beobachten den Himmel aus allen Richtungen.“ Die anfallende Datenmenge sei kaum vorstellbar: eine Milliarde Gigabyte. Sie nach Görlitz zu übertragen gäbe es zwei Möglichkeiten: Per Flugzeug oder Schiff regelmäßig Kisten mit Festplatten um den Globus karren. Oder das Internet nutzen. Dies jedoch, meint Hänsch, würde mit dem jetzt verfügbaren Standard Jahre dauern. Viel zu lange also, um in absehbarer Zeit das Zentrum in der Oberlausitz zum Laufen zu bringen und dort dann kontinuierlich mit den Informationen zu arbeiten. Der Experte aus dem Oberland soll deshalb als Teil eines Teams herausfinden, wie Rechner und Software aufgebaut sein müssen, um die Übertragungsgeschwindigkeit der Daten deutlich zu erhöhen.
Das Problem ist erkannt, die Lösung rumort bei Carl-Philip Hänsch bereits im Hinterkopf. Bei der Hardware, erklärt er, müsse man sich auf das beschränken, was aktuell vorhanden sei. Aber eine geeignete Software gebe es derzeit nicht. Gebraucht werde ein Betriebssystem, das derart große Datenmengen verwalten kann. Es gehe um Algorithmen, vernetzte Computer. Hänsch vermutet, dass auch Google und Facebook an solchen technischen Lösungen arbeiten oder über sie gar schon verfügen. Das sei aber Firmen-Wissen. „Beim DZA werden die Erkenntnisse als wissenschaftliche Veröffentlichungen erscheinen – ein Gewinn also für die gesamte Menschheit.“

© Paul Glaser/glaserfotografie.de
In fünf oder sechs Jahren, sagt Hänsch, soll mit dem Bau des Rechenzentrums in der Oberlausitz begonnen werden. Bis dahin müssen seine Entwicklungen so weit gediehen sein, das sie anwendbar sind. Für die Region bedeute dies: Allein schon wegen des Forschungszentrums müsse die Breitbandversorgung hier extrem aufgepeppt werden. Das werde Wirtschaftsansiedlungen nach sich ziehen, prophezeit der Experte. Dabei zieht er einen Vergleich mit dem Cern – dem europäischen Kernforschungszentrum in der Schweiz. Auch das sei vor Jahrzehnten ein wenig beachteter Fleck gewesen. Bis heute habe sich dort eine Vielzahl hochkarätiger Firmen angesiedelt, die von den Erkenntnissen, aber auch der Infrastruktur profitieren oder dem Zentrum zuliefern.
Mit seinen 32 Jahren will sich Hänsch jedoch nicht auf ewig ans Deutsche Zentrum für Astrophysik binden. „Ich bin ein Typ, der gern aufbaut, Pionierarbeit leistet.“ Seine Mission sieht er später unter anderem bei technischen Neuerungen für den Weltraum: Im Orbit Städte aufbauen, Raumkapseln in der Sonnenumlaufbahn installieren – damit Sonnenstrahlung abfangen und für die Menschheit nutzbar machen. „Ich selbst werde das vielleicht nicht mehr in all seiner Perfektion erleben. Aber die Vorarbeit dazu leisten – das ist mein Traum.“