Nora Miethke
Die Milliardenförderung für den Bau neuer Chipfabriken durch die Bundesregierung steht heftig in der Kritik. TSMC erhält für sein Gemeinschaftsunternehmen ESMC in Dresden fünf Milliarden Euro Subventionen, Infineon für den Bau der vierten Fab ebenfalls in Dresden eine Milliarde Euro. Der Zentralverband der Elektro- und Digitalindustrie (ZVEI) hat nun vor wenigen Tagen eine Studie vorgestellt, nach der sich diese Förderung aus Steuermitteln rechnet für die deutsche wie europäische Volkswirtschaft: Die jährliche Bruttowertschöpfung in Europa steigt laut der Studie um 33 Milliarden, die Steuereinnahmen legten um 7,9 Milliarden Euro pro Jahr zu, und es entstehen 69.000 neue Arbeitsplätze, davon allein 49.000 in Deutschland. Den meisten Menschen sind diese Effekte wie auch die Bedeutung der Mikrochips für den Klimaschutz nicht bewusst. Deshalb soll jetzt eine neue ZVEI-Plattform Mikroelektronik die Anliegen der Branche bündeln und ihre Bedeutung sichtbar machen.
Herr Urschitz, Sie sind Vorsitzender der neuen Plattform Mikroelektronik des Zentralverbands der deutschen Elektro- und Digitalindustrie. Warum bedarf es dieser Plattform, was ist das Ziel?
Wir haben die Plattform für Mikroelektronik gegründet, um den Austausch der relevanten Akteure zu befördern und das gesamte Ökosystem zu stärken. Es geht auch darum, dass wir ein breites Bewusstsein in der Bevölkerung darüber schaffen, wie Mikroelektronik beiträgt zu der Art, wie wir leben. Dass das nicht immer bekannt ist, zeigte mir ein Erlebnis neulich. Ein Nachbar fragte mich: „Worum geht es eigentlich in der Mikroelektronik, in der Sie arbeiten, Herr Urschitz?“ In der breiten Bevölkerung gibt es nur wenig Grundverständnis für die wirtschaftliche Bedeutung und Perspektiven der Mikroelektronik sowie dafür, dass sie die Schlüsseltechnologie ist, um den Wandel der fossilen Industrien hin zur Klimaneutralität zu vollziehen. Das wollen wir stärker in die Bevölkerung kommunizieren, und ich will mich persönlich dafür einsetzen, das sichtbar zu machen.
Gibt es schon Ansätze, wie Sie das machen wollen?
Wir machen das auf vielfältige Weise, etwa über Veranstaltungsformate wie dem Forum „Microelectronics for future“ in Berlin, auf dem hochrangige Gäste aus der Wirtschaft, Politik und auch Zivilgesellschaft zusammenkommen. Vor allem wollen wir wesentlich stärker soziale Medien nutzen. Es geht darum, ein besseres Verständnis darüber zu entwickeln, wie die Branche zur Sicherung unseres Wohlstands und zu Arbeitsplätzen beiträgt. Wir wollen so aber auch junge Menschen für die Branche begeistern, was nötig ist, um schon heute die Talente von morgen zu gewinnen.
Was ist denn die Botschaft an den kleineren Mittelstand, der sich zumindest in Ostdeutschland durch die starke Förderung der Halbleiterindustrie vernachlässigt fühlt?
Die Studie von ZVEI und VDE zeigt, dass die aktuellen Förderprogramme für die Mikroelektronik in Europa 65.000 direkte und indirekte Arbeitsplätze schaffen einschließlich Dienstleistungen, davon 49.000 in Deutschland, insbesondere auch in Sachsen. Ein direkter Arbeitsplatz führt zu sechs weiteren Arbeitsplätzen in der Zulieferindustrie. Nicht eingerechnet sind das Vielfache an Jobs, die in vertikalen Industrien wie dem Automobilbau oder die Energiewirtschaft, die von der Verfügbarkeit hochmoderner Halbleiter profitieren. Nur zwei Beispiele: Mikrochips werden gebraucht, um den Verbrauchern die Reichweitenangst bei E-Autos zu nehmen. Denn mit innovativen Sensoren und Mikrocontrollern kann die Reichweite einer Akkuladung länger werden und folglich die Batterie kleiner. Und alles, was kleiner und effizienter wird, wird auch billiger. Ähnliches gilt für den Bereich der erneuerbaren Energien. Innovationen, die die Kilowattstunde grünen Stroms auf einen bestechend niedrigeren Preis bringen können im Vergleich zum Gas, sind ohne Mikrochips nicht denkbar. Das zeigt die positive Hebelwirkung, wenn man in Halbleiter investiert.
Die Halbleiterproduktion ist selbst sehr energieintensiv. Sie betonen die Bedeutung für den Klimaschutz, aber schaden die vielen Chipfabriken nicht vielmehr dem Klima?
Die Chipproduktion ist energieintensiv. Doch wir haben für Infineon untersuchen lassen, dass die Chips, die wir 2023 hergestellt haben, das Vierzigfache an CO2-Emissionen einsparen helfen, die im Rahmen ihrer Produktion anfielen – beispielsweise in E-Autos, Windkraftanlagen und im Smart Home. Die Klimabilanz ist also positiv.
Viele kleinere Firmen in der Region Dresden befürchten, ihre besten Talente an die Chipfabriken zu verlieren. Wie kann die Plattform dazu beitragen, zusätzliche Fachkräfte für das Silicon Saxony Valley zu gewinnen?
Es ist natürlich nicht wünschenswert, wenn jeder im Teich des anderen nach Talenten fischt. Damit wäre dem Wachstum der Mikroelektronik und den angehängten Betrieben nicht gedient. Deswegen müssen wir dafür sorgen, dass insgesamt mehr Talente zur Verfügung stehen. Konkret können wir über die Plattform positive Geschichten erzählen, die den Menschen zeigen, dass Mikroelektronik wichtig ist für dieses Land und für die Transformation hin zu einer CO2-neutralen Wirtschaft und Gesellschaft, aber auch hochattraktive und hochbezahlte Arbeitsplätze anbietet, für die es sich lohnt, die Extra-Meile in der Ausbildung zu gehen.
Sind das auch die Botschaften, mit denen Sie junge Frauen in die Branche locken wollen?
Es ist mit der Botschaft, dass Mikroelektronik eine interessante Branche ist, allein nicht getan. Um das große Potenzial weiblicher Expertise in den Arbeitsprozess zu bekommen, bedarf es mehr. Die Rahmenbedingungen müssen verbessert werden wie die Verfügbarkeit von guten und bezahlbarer Kinderbetreuungsplätzen. Bei Infineon beispielsweise unterstützen wir die Vereinbarkeit von Beruf und Familie mit flexiblen Arbeitszeitmodellen. Mir ist bewusst, man kann nicht mit attraktiven Arbeitsplätzen werben, wenn die Kinderbetreuung leidet. Da muss ganzheitlich gedacht werden. Wir stehen mit der Plattform Mikroelektronik im ZVEI dafür ein, die Notwendigkeit dieser Ganzheitlichkeit auch den politischen Entscheidungsträgern zu vermitteln und dranzubleiben, dass es auch passiert. Aber es geht nicht nur darum, dass die Politik die richtigen Rahmenbedingungen setzt, sondern auch um unsere Haltung.
Und welche Haltung wünschen Sie sich in der deutschen Wirtschaft?
Es hat sich eine Kultur des Bewahrens und Optimierens eingeschlichen, das, was man erreicht hat, zu sichern. Aber es fehlt die Kultur, ins Risiko zu gehen, sich zu sagen: „Das machen wir jetzt“. Wir müssen uns wieder mehr zutrauen.